Der Fall Hohmann – 10 Jahre danach

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Screenshot ARD

BERLIN. (hpd) 2003 hielt die „Tätervolk-Rede“ Deutschland wochenlang in Atem. Die Worte des Politikers Martin Hohmann stießen auf heftigen Widerspruch, teils jedoch auf Zustimmung. Schnell fand die Karriere des Hardliners ein Ende. Der letzte große Antisemitismus-Skandal Deutschlands (Antizionismus einmal ausgeklammert) verdient eine abschließende Betrachtung.

Und das nicht obwohl, sondern gerade weil neben Juden gleichermaßen Atheisten im Mittelpunkt der Rede standen. Der Fall Hohmann zeigt, dass Fundamentalismus auch außerhalb amerikanischen Politbetriebs ein Problem darstellt. Er lenkte den Blick auf die Christliche Rechte in Deutschland – und markierte gleichzeitig deren Niedergang.

Was war geschehen?

Martin Hohmann, strammer Katholik, aber bis dahin eher blasser Hinterbänkler für den Wahlkreis Fulda, hatte im hessischen Neuhof weit ausgeholt. In seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit warf er die Frage auf, ob man auch die Juden als Tätervolk bezeichnen könne. Nicht nur unter den Nazis, sondern auch während der Russischen Revolution starben Millionen von Menschen. Doch die Kommunisten als solche ließ Hohmann außen vor. Der genauere Blick durchs Visier offenbarte: Nicht Russen, sondern Juden dominierten die obersten Ränge der Partei. Dieses Muster zieht sich durch Politbüro und Zentralkomitee, nicht nur in der Sowjetunion, auch im übrigen Europa ist es zu erkennen. Ebenso machte Hohmann unter den Angehörigen der Geheimpolizei Tscheka, also den Vollstreckern des Regimes, Juden aus.

Bei seiner Recherche hatte sich der Politiker ausgerechnet auf ein Buch des Industriellen Henry Ford gestützt. „Der internationale Jude“ machte antisemitische Vorurteile in weiten Teilen der USA salonfähig. Zudem produzierte Autokönig Ford LKWs für die Wehrmacht und wurde von Adolf Hitler mit dem Verdienstorden vom Deutschen Adler ausgezeichnet.

Doch das macht Hohmanns Ausführungen nicht prinzipiell falsch – Juden waren an der russischen Revolution in überproportionalem Maße beteiligt. Einseitig sind seine Schlussfolgerungen dennoch. Juden wurden im Zarenreich diskriminiert und erhofften sich von der neuen Staatsordnung die Gleichberechtigung. Genauso waren sie aber auch unter den Opfern der Sowjetunion prominent vertreten. Stalin, der selbst Antisemit war, hatte bereits zu Beginn der 30er Jahre Juden aus dem inneren Machtzirkel entfernt, eine Entwicklung, die mit der Großen Parteisäuberung vollendet wurde. Nur noch wenige von ihnen dienten dem Staat in der Hochphase der kommunistischen Verbrechen. Zudem beging Hohmann einen Fehlschluss. Zwar könnte man aus der Tatsache, dass die meisten jüdischen Parlamentarier der Weimarer Republik der SPD angehörten, ableiten, dass Juden ebenfalls sozialdemokratisch wählten, mehrheitlich entschieden sie sich jedoch für die bürgerlichen Parteien.

In einem zweiten Schritt stellte Hohmann die rhetorische Frage, ob man Juden ebenso wie Deutsche als Tätervolk bezeichnen könne. Er verneinte dies, griff aber dennoch zu einer Analogie. Wenn der Vorwurf, die Juden seien ein Tätervolk, doch offenkundig überzogen sei, könne man den Deutschen ebensowenig ihre Vergangenheit vorhalten. Hohmann ist kein Antisemit, der Gewalt gutheißen würde und die Anhänger der NPD sind für ihn bloß „Dumpfbacken“, lediglich die Geschichte seines Vaterlands möchte er ins rechte Licht gerückt sehen. - Der typisch deutsche Schlussstrich eben.

Bereits zuvor war Hohmann mit ähnlichen Thesen aufgefallen. Die Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Berlin lehnte er ab, schließlich habe Deutschland genug gebüßt und müsse sich selbst verzeihen können. Entsprechend äußerte er sich auch im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen an NS-Zwangsarbeiter. In der Debatte anlässlich der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht konterte er mit einem persönlichen Angriff: Tabakerbe Jan Philipp Reemtsma, der Kopf hinter dem Projekt, wolle mit Schuldzuweisungen nur von der Rolle seiner Familie im Dritten Reich ablenken.

Dennoch war Hohmann als Rechtsausleger nicht allein

Unterstützung kam auch vom damaligen Kommandeur der Spezialeinheit KSK. Der Bundeswehr-General Reinhard Günzel hatte Hohmann in einem Brief seine Solidarität ausgesprochen. Daraufhin enthob ihn Verteidigungsminister Struck seines Amtes. Wie später öffentlich bekannt wurde, hatte Günzel von seinen Truppen Disziplin wie bei den Spartanern und der Waffen-SS verlangt.

Auch in der eigenen Partei konnte sich Hohmann auf Solidarität verlassen. Einige Abgeordnete, unter ihnen Norbert Geis solidarisierten sich mit ihm, eine Unterschriftenkampagne fand die Zustimmung von über 1600 Unionsanhängern. Die CDU-Fraktion stimmte im November mit 195 Stimmen gegen einen Verbleib Hohmanns, 28 Parlamentarier widersprachen, 16 enthielten sich. Nach dem Ausschluss erlebte der Kreisverband Fulda eine Austrittswelle.

2005 kämpfte Hohmann erneut um den Einzug in den Bundestag. Er trat als parteiloser Kandidat in seinem Wahlkreis an. Zwar erhielt er 21% der Erststimmen – ein Achtungserfolg – der Parlamentssitz ging jedoch an den offiziellen Vertreter der  CDU. Danach stand Hohmann einer erfolglosen rechtsgerichteten Wählervereinigung  des Politikers Henry Nitzsche nahe. Dieser war 2006 ebenfalls aus der CDU ausgeschlossen worden.

Die Gottlosen als Täter

Was die Presse im Jahr 2003 jedoch übersah, war, dass Hohmann durchaus ein Tätervolk benannte. Aber nicht die Juden, sondern die Gottlosen waren es, die Schuld an den nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen trugen.  Nichts weiter als die Neuauflage des Vorwurfs, dass Atheisten keinen Respekt vor Schöpfung und Heiligkeit des Lebens hätten, was unweigerlich zu Morallosigkeit und Massenmord führe. Auch Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn, dem seine Kritik an Stalin mehrere Jahre Gulag-Haft einbrachte, hatte sich ähnlich geäußert. Nach literarischen Werken wie „Der Archipel Gulag“, das den Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunigte, wandte er sich immer mehr russisch-nationalen Positionen zu. In seinem Spätwerk beschuldigte er Atheismus und Juden an der Katastrophe, die Russland jahrzehntelang erdulden musste.

Wie sich zeigt, sind es vor allem rechtskonservative Kräfte, die Atheisten pauschal historische Verbrechen anlasten wollen. Der Kern des Arguments ist simpel. Wer den Nationalsozialismus als atheistisch klassifiziert, kann ausblenden, dass Kirchenvertreter beider Konfessionen Hitlers Regime und Angriffskriege bejubelten, jedoch keine Worte für seine Opfer fanden. Ebenso lässt sich Antisemitismus verbergen, wenn man Juden schlicht als als Gottlose bezeichnet. Sicher, Hohmann ist kein Rechtsextremer, er glaubt nicht an Rassentheorien und „Untermenschen“. Doch auch ein Antisemitismus, der sich nur gegen ein bestimmtes Segment der Judenheit, nämlich das säkulare, richtet, bleibt antisemitisch. Ähnliche Denkmuster finden sich im Bible Belt der USA.

So erklärt sich auch, dass Hohmann als Bürgermeister Neuhofs die Wiederinstandsetzung des jüdischen Friedhofs der Gemeinde anordnete und sich 2004 mit ultraorthodoxen Rabbinern der Gemeinde Neturei Karta traf. Diese lehnt den Staat Israel ab und stellt den Holocaust in Frage. Aus ihrer Sicht hätte nur der Messias selbst einen jüdischen Staat errichten dürfen, nicht jedoch ein weltlicher Politiker. Ähnlich argumentiert auch der ehemalige iranische Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad, der in seiner Amtszeit zwar Israel und den Zionismus, nicht jedoch das Judentum als solches angriff. Tatsächlich waren die wichtigsten zionistischen Vordenker, wie z.B. Theodor Herzl, atheistische oder säkulare Juden.

In den letzten Jahren trat Hohmann nur noch selten in der Öffentlichkeit auf. 2011 nahm er an einer Wallfahrt der Piusbruderschaft teil. Hohmann bekannte sich dort zur Tridentinischen Messe und sprach sich neben Abtreibung auch gegen homosexuellen Lebensstil aus. Die Piusbruderschaft stand in den letzten Jahren wegen Antisemitismusvorwürfen und ihres konservativen Familienbilds selbst in der Kritik.

Hohmanns Kernargument über die moralische Verkommenheit der Atheisten hat sich jedoch gehalten. Neu ist allerdings, dass in den vergangenen Jahren eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit stattgefunden hat.  In seiner Dreikönigspredigt vom 6. Januar 2005 stellte der Kölner Erzbischof Joachim Meisner die gottlosen Verbrechen Nationalsozialismus, Kommunismus und Abtreibung auf eine Stufe. Für diese Aussage erhielt der Hardliner der deutschen Bischofskonferenz zwar Zustimmung von Hohmann, musste sich aber vom Zentralrat der Juden in Deutschland den Vorwurf gefallen lassen, den Holocaust zu verharmlosen.

Auch der Augsburger Bischof Walter Mixa hatte in seiner Osterpredigt 2009 Atheisten für linke und rechte Verbrechen verantwortlich gemacht. Erneut zog er den Zorn der Medien auf sich. SPIEGEL ONLINE ließ Michael Schmidt-Salomon zu Wort kommen, der die Argumente Mixas zurückwies.

Anfang 2012 wollte sich der CSU-Politiker Norbert Geis in der Talkrunde bei Anne Will nur von Hohmanns Äußerungen über Juden distanzieren, stimmte seinen Analysen über „Gottlose“ allerdings zu. Grünen-Politiker Volker Beck widersprach ihm vehement. Nachdem humanistische Verbände Strafanzeige gestellt hatten, zog dieser seine Aussagen zurück. Auch Geis' Zeit ist abgelaufen. Dem neuen Bundestag gehört er nicht mehr an. Dabei war es ausgerechnet eine Scheidungsanwältin, gegen die das bayerische Urgestein die innerparteiliche Nominierung verlor.

Es ändert sich

Großen Einfluss hat die Christliche Rechte in Deutschland ohnehin nicht mehr. Zwar durften sich Vereine wie ProChrist oder der Arbeitskreis Christlicher Publizisten im Glanze Christian Wulffs sonnen, doch war dieser Bündnis rein taktisch. Als zweifach verheirateter und geschiedener Familienvater kann der ehemalige Bundespräsident wohl kaum evangelikale Werte vertreten. Bei einem seiner letzten Treffen mit dem ACP musste sich Wulff dafür rechtfertigen, dass er mit Aygül Özkan erstmals eine muslimische Landesministerin berufen hatte, die zudem das Kruzifix im Klassenraum hinterfragte.

Wie schnell sich der Wandel vollzogen hat, zeigt sich am deutlichsten im Kernland der CDU. 2004 wurde der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Hans Filbinger, für die Bundesversammlung nominiert, um Horst Köhler zum Bundespräsidenten zu wählen. Diese Entscheidung war umstritten, denn im 2. Weltkrieg hatte der Politiker als Marinerichter Todesurteile gegen Deserteure ausgesprochen. Als Filbinger 2007 starb, würdigte ihn Amtsnachfolger Günther Oettinger in einem Nachruf dennoch als Gegner des Nationalsozialismus. Nach öffentlichem Protest und Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel zog dieser seine Aussagen zurück. Zwei Jahre darauf wurde Oettinger nach Brüssel wegbefördert. Sein Amtsnachfolger Stefan Mappus verlor die jahrzehntelange Unionsherrschaft nach der kürzesten Amtszeit eines baden-württembergischen Ministerpräsidenten überhaupt – ausgerechnet an die Grünen.

Lukas Mihr