Nipster: Rechtsextreme mit urbanem Lifestyle

Vegane Nazis?

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Der Begriff "vegan" bzw. "Veganismus" geht zurück auf den Engländer Donald Watson, einen überzeugten Antimilitaristen, der im Jahre 1944 in England die Vegan Society gründete. Bis dahin war der weitergefasste Begriff "Vegetarismus" üblich, der sich lediglich auf fleischfreie, nicht aber auf prinzipiell tierproduktfreie Kost bezog.

Die heutige Definition des Begriffes "vegan" bezeichnet Menschen, die die Nutzung tierlicher Produkte nach bestem Vermögen meiden, sprich: sich rein pflanzlich ernähren. Also: kein Fleisch, kein Fisch, keine Milch, keine Milchprodukte wie Joghurt oder Käse, keine Eier. Ethisch motivierte Veganer achten zudem auch bei ihrer Kleidung oder ihren Schuhen darauf, dass sie frei von Tier(qual)produkten sind – also kein Leder, keine Wolle, keine Seide, keine Daunen –, und dass die verwendeten Konsum- oder Gebrauchsgüter, auch Kosmetika, ohne Tierversuche hergestellt wurden.

Tierethisch motivierter Veganismus ist also weit mehr als nur eine bloße Ernährungsvariante, er ist eine Philosophie oder Lebensart, die so weit als möglich und praktisch durchführbar, alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung von Tieren für Nahrung, Kleidung oder für andere Zwecke zu vermeiden sucht und zugleich tierleidfreie Optionen und Alternativen entwickelt. Ethisch motivierte Veganer wenden sich insofern auch gegen Jagd und Fischerei oder gegen die Ausbeutung von Tieren zu Unterhaltungszwecken wie im Zirkus oder im Zoo; selbstredend auch gegen Tierversuche in der Pharmaindustrie. Und mehr noch: im Grunde genommen geht es um die Befreiung jedes empfindungsfähigen Wesens von Unterdrückung und Ausbeutung, egal ob menschlich oder nicht-menschlich.

Allerdings gibt es auch Veganerinnen und Veganer, denen ethische Fragen oder auch Fragen des Umwelt- oder Klimaschutzes nicht so wichtig oder auch völlig egal sind, die vielmehr in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen vegan leben. Und nicht zuletzt gibt es auch sogenannte Lifestyleveganer, denen es vor allem um Fitness geht oder die einfach auf einem Trend mitsurfen und gut aussehen wollen.

Aktuell gibt es laut Allensbach rund 8 Millionen Vegetarier*innen in Deutschland, also etwa 10 Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommen laut Marktforschungsinstitut Skopos rund 1,3 Millionen vegan lebende Menschen, was rund 1,6 Prozent der Bevölkerung entspricht. Vor 10 Jahren gab es hierzulande erst 80.000 Veganer*innen, ein steil ansteigender Trend also, überproportional verbreitet unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Balaclavas

Vor geraumer Zeit nun tauchten über das Medienportal FSN-TV (= Frei-Sozial-National) des szenebekannten Neonazis Patrick Schröder sogenannte "Küchenshows" auf, in denen, live gestreamt, zwei mit Sturmhauben (= Balaclavas) vermummte junge Männer ihre veganen Kochkünste vorführten. (Die je 30- bis 60-minütigen Auftritte der beiden sind bis heute über Youtube abrufbar, die Live-Shows indes wurden, wohl wegen fehlender Streaming-Lizenz, nach wenigen Folgen eingestellt.) "Balaclava-Küche" nannte sich das Ganze, und auf den ersten Blick sah es aus wie eine Satire à la Postillion. Bei genauerer Hinsicht aber zeigte sich, dass hinter all der Blödelei, die die beiden "Veganköche" vor der Kamera abließen, eine höchst bedenkliche Agenda steckte. Zu Beginn einer ihrer Shows etwa begrüßten sie die Zuschauer mit "identitärem Gruß" und wiesen sich damit als Anhänger jener völkischen Bewegung aus, die der "Islamisierung" Europas den Kampf angesagt hat. Identitäres Credo: "Wir hassen Ausländer".

Zeichnung aus: KoK #36
Zeichnung aus: KoK #36

Die beiden Balaclava-Köche – dem Vernehmen nach entstammen sie der Neonaziszene des Raumes Hannover – stellten sich ausdrücklich als "Nazi-Hipster", kurz: "Nipster", vor, als Rechtsextreme mit urbanem Lifestyle, die Hip-Hop hören und sich vegan ernähren. Hoodies und Schuhe von Zalando statt Bomberjacken und Springerstiefel. Damit aber keine Zweifel aufkamen, dass sie echte Nipster sind, trugen sie in ihrem ersten Video stylische T-Shirts mit dem Konterfei von Rudolf Hess vorne drauf, in einem weiteren T-Shirts mit der Aufschrift "Haus Montag". Bei diesem Haus handelt es sich um eine Neonaziimmobilie in Pirna, in der seit 2013 die Kreisgeschäftsstelle der "NPD Sächsische Schweiz-Osterzgebirge" untergebracht ist. Laut Informationen des Verfassungsschutzes führt die NPD im "Haus Montag" Mitgliederversammlungen, Schulungs- und Vortragsveranstaltungen durch. Auch rechte Liedermacher und Bands treten dort auf.

Ganz offenbar handelte es sich bei den "Kochshows" der beiden FSN-Nipster um einen Versuch, an die prosperierende Veganbewegung anzudocken, sprich: mit jugendkulturkompatiblem Gehabe neue Anhänger für die Identitären zu gewinnen. In ganz ähnlicher Strategie hatten Neurechte seit den 1980ern schon mit tierschützerischer oder tierrechtlicher Rhetorik Propaganda für ihre Sache gemacht.

Aryanism

Groteskerweise aber gibt es tatsächlich ideologisch unterfütterten "rechten Veganismus". Auf der Website der US-amerikanischen "Aryanism"-Bewegung etwa, einem Sammelbecken alter und neuer Nazis, findet sich eine eigene Seite zu veganer Ernährung. Garniert mit Hakenkreuzen sowie jeder Menge Hitler-, Goebbels- und Rosenberg-Zitaten wird Veganismus als unabdingbar dargestellt für das Wiedererstarken der "weißen Rasse". Arier, wie es heißt, seien "von Natur aus" prädisponiert, sich vegan zu ernähren, wie sich allein schon in ihrer kulturellen Überlegenheit gegenüber allen sich von Fleisch ernährenden nomadischen Herdenvölkern zeige – ausdrücklich genannt werden "die Juden" und ihre wesentlich auf Milch- und Fleischkonsum basierenden Ernährungsvorschriften (Kashrut) –, die eben keine oder nur minderwertige Kultur hervorgebracht hätten.

Die amerikanischen Neu-Arier stellen Veganismus als "Kennzeichen jedes authentischen Nationalsozialisten" dar. Der wahre, sprich: ethisch motivierte Veganer sei der "Archetyp des noblen arischen Kriegers", dessen vornehmste Aufgabe darin bestehe, die "Welt von jüdischer Kontrolle zu befreien". Breit ausgewalzt wird auf Hitlers angeblich "rein arische" Ernährung Bezug genommen, die er nach dem "Endsieg" allgemeinverbindlich habe einführen wollen. Tatsächlich ernährte Hitler sich alles andere als vegan. Allenfalls vermied er "rotes Fleisch", das heißt: Gerichte aus Rind, Schwein oder Lamm. Der Grund dafür war ein sehr profaner: er glaubte, mit dem Verzicht auf Fleisch könne er die äußerst unangenehmen Körperausdünstungen reduzieren, unter denen er seit seiner Kindheit litt. Insbesondere aber war er davon überzeugt, dass konsequenter Fleischverzicht ihn von seiner krankhaften Flatulenz kurieren könne – es entwichen ihm ständig geräuschvolle und höchst übelriechende Darmwinde –, die ihm, vor allem in Gegenwart von Frauen, außerordentlich peinlich war. Dessen ungeachtet verzichtete er nie auf seine bayerisch-österreichischen Lieblingsspeisen: Leberknödel, gefüllte Wachteln und Kalbsbrühwürste; auch Kaviar vertilgte er in großen Mengen. Der angebliche Vegetarismus bzw. Veganismus Hitlers war Teil einer von Goebbels bewusst in die Welt gesetzten Propaganda: der "Führer" als unermüdlich für sein Volk sich aufopfernder Asket, der weder rauchte noch trank, der kein Fleisch aß und keine Frauenaffären hatte. Dieses Mythenbild entrückte ihn gleichsam in höhere Sphären.

In seinen berüchtigten Tischgesprächen auf dem Obersalzberg machte Hitler sich immer wieder über Gandhis Philosophie konsequenter Gewaltlosigkeit und den daraus hergeleiteten Vegetarismus lustig. Vegetarier oder Veganer, die sich seiner Auffassung nach dem "ewigen Kampf des Stärkeren gegen das Schwächere" entzögen, verachtete er zutiefst. Aber selbst wenn er sich vegetarisch oder gar komplett vegan ernährt hätte – was nachweislich nicht der Fall war –, hätte er dies allenfalls getan, um weniger zu furzen. Was zweifellos gut gewesen wäre für seine Tischgenossen und sicher auch für Eva Braun. Aber sonst? Who gives a shit what the Fuehrer fed on. Oder um es in Sprache und Geist der "noblen arischen Krieger" auszudrücken: Arschlöcher bleiben Arschlöcher, auch wenn sie sich vegan ernähren.

Erstmals erschienen in "Kochen ohne Knochen" (KoK) #36, August 2019