(hpd) Die letzten Tage der Eule – die Eule ist das Symbol für Weisheit und Philosophie der antiken griechischen Kultur – beleuchtet die Zeit, die man heute in Europa als den Beginn des düsteren Mittelalters einstuft.
Die Geschichte des Untergangs des Römischen Reiches und der wachsende Einfluss der Christen ist eine Zeit, bei der die Kirchen und die Frommen nicht gut weg kommen. Man stellt fest, dass das frühe Christentum sich ähnlich benommen hat wie die Taliban heute, die Kulturschätze bedenkenlos vernichten.
Aus einer toleranten Gesellschaft mit vielen Göttern wurde eine Monokultur, aus einer Bevölkerung, in der die Mehrheit lesen, schreiben und rechnen konnte und die tausende Bibliotheken und Schulen im ganzen Reich ihr eigen nannte, wird ein Heer von Analphabeten, in dem nur noch wenige Geistliche "Heilige Schriften" hegten und kopierten. Bei den Christen gab es nur noch ein Buch, das die Menschen brauchten, und das war die Bibel. Bäder mussten schließen, Wissen, Philosophie und Kunst gingen unwiederbringlich verloren.
Quintus Aurelius, Gastwirtssohn aus dem Bären in Vangiones, dem heutigen Worms, wird vom Schicksal in den Strudel dieser Zeit geworfen. Bei einem Überfall auf die Stadt wird seine Verlobte geraubt und in die Sklaverei entführt. Als er eine Spur hat, folgt er ihr in ferne Teile des Römischen Reiches und bis ans Ende der damaligen Welt, um sie nach mehreren erfolglosen und gefährlichen Reisen schließlich doch noch an den Rhein zurückzuholen.
Und als jemand, der noch die klassische Bildung durch einen griechischen Hauslehrer genoss, will er nicht tatenlos zusehen, wie Bibliotheken schließen und Bücher verschwinden. Das in ihnen aufbewahrte Wissen droht auf immer verloren zu gehen. Er macht sich zur Aufgabe, oft unter Lebensgefahr, Schriften zu sammeln, die unter den neuen Herrschern nicht mehr geduldet werden, um sie für die Nachwelt zu bewahren. Doch erst heute tauchen sie mitsamt seiner Lebensgeschichte in Worms wieder auf.
Historisch gut recherchiert werden die blutigen Wirren des Kulturkampfes zwischen christlichem Frühmittelalter und Antike wieder lebendig. Tief tauchen die Leser in die Welt der Spätantike ein, von den damaligen religiösen – als „Heiden“ geschmähten – Kulten bis zu den mühsamen Reisen über die Alpenpässe und das Mittelmeer. So wird dieser Roman zu einem großartigen Kaleidoskop einer untergegangenen Welt.
Man begegnet dem heiligen Augustinus, der Philosophin Hypatia und sogar den berühmten Nibelungen am Rhein. Dieser Roman erzählt die mitreißende, liebevoll beschriebene Geschichte einer großen Liebe inmitten des Untergangs einer Menschheitsepoche.
Werner Koch
Die letzten Tage der Eule, Nils Opitz, tredition Verlag 2013, ISBN 3849550958, 19,99 Euro