Osnabrück gegen kirchliches Arbeitsrecht

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Rathaus Osnabrück, Foto: Stadt Osnabrück

OSNABRÜCK. (hpd) Der Rat der Stadt Osnabrück hat am 12. November einen als sensationell zu bezeichnenden Beschluss gefasst: Das kirchliche Arbeitsrecht wird kritisiert und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte für die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen gefordert.

Die Mehrheit des Rates hält eine Weiterführung der die Arbeitnehmer dis­krimi­nierenden Sonder­regelungen in kirchlichen Ein­richtungen für nicht mehr tragbar und verlangt vom Bundes­gesetz­geber Änderungen. Dabei wird auch das den Arbeit­nehmern bisher verweigerte Streik­recht befür­wortet.

"Im Kern geht es uns darum, dass auch in Ein­richtungen in kirchlicher Träger­­schaft die vollen Arbeit­­nehmer­­rechte gelten, Sonder­rechte und Diskrimi­nierungen abgebaut werden" teilten der SPD-Fraktions­­vor­sitzende, Frank Henning und der stell­­vertretende Fraktions­vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jens Meier, in einer Presse­erklärung mit.

Die aus der rot-grünen Zähl­gemeinschaft, UWG/Piraten sowie den Linken bestehende Rats­mehrheit will aber nicht bloß Gesetzes­änderungen anmahnen und abwarten. In Osnabrück sollen auch entsprechende praktische Initiativen in die Wege geleitet werden.

In dem Rats-Beschluss heißt es dazu, dass seitens der Stadt­verwaltung "mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen Ein­richtungen Gespräche (...geführt werden sollen), die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer entsprechenden Gesetzes­änderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden Sonder­rechte im Umgang mit den bei Ihnen Beschäftigten verzichten."

Die Stadtverwaltung wird außerdem aufgefordert, "zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Ein­richtungen/externen Trägern (konfessions­gebunden und konfessions­neutral) Verein­barungen bezüglich der arbeits­rechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewähr­leistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein."

Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche und die Wohlfahrtsverbände in kirchlicher Trägerschaft wie Caritas und Diakonie unterhalten in Osnabrück Kranken­häuser, Kinder­gärten, Schulen und weitere soziale Ein­richtungen mit rund 10.000 Beschäf­tigten. Keine geringe Anzahl bei etwa 150.000 Einwohnern.

CDU und FDP haben sich - wie zu erwarten war - dem Antrag widersetzt. Darüber braucht man keine Worte zu verlieren. Es gibt aber jenseits dieser Parteien – jedenfalls in Osnabrück – eine handlungs­fähige, an den Grund­rechten orientierte Mehrheit im Stadt­parlament. Genau zu beobachten wird sein, ob der erst im Oktober in einer Stich­wahl gewählte neue Ober­bürger­meister, der der CDU angehört, den von ihm abgelehnten Rats­beschluss nun mit dem gebotenen Engagement umsetzen wird.

Die Osnabrücker Initiative ist von heraus­ragender Bedeutung in der gegen­wärtigen gesell­schaftlichen Debatte um die (dringend gebotene) Reform des "Kirchlichen Arbeits­rechts". Das besondere Arbeits­recht der Kirchen verletzt die Grundrechte der Beschäf­tigten in kirchlichen Ein­richtungen in eklatanter Weise. Die Grund­rechte auf freie Meinungs­äußerung, auf Religions­freiheit und die Koalitions­freiheit sind für die Beschäf­tigten erheblich einge­schränkt, ja nahezu aufgehoben.

Soweit ein besonderes "Kirchliches Arbeits­recht" überhaupt jemals Legitimität besessen haben sollte - in Deutschland des 21. Jahr­hunderts ist es wegen der damit einher­gehenden Grund­rechts­verletzungen für mehr als eine Million Arbeit­nehmer ganz offenkundig illegitim. Auch deshalb, weil die Finanzierung durch die Steuer­zahler und die Sozial­versicherung erfolgen und nicht etwa aus Eigen­mitteln der Kirchen. Mit diesem Etiketten­schwindel muss Schluss gemacht werden!

Die Osnabrücker Initiative zeigt aber auch: die Zeit passiven Abwartens auf eine Tätigkeit des Bundes­gesetzgeber ist endlich vorbei. Dies wird die Debatte auf Bundes­ebene beein­flussen. Und zwar umso mehr, je mehr Kommunen in ganz Deutsch­land sich dem Beispiel von Osnabrück anschließen.

Osnabrück, die Stadt, in der in den Jahren 1645 bis 1648 der Westfälische Frieden zwischen dem Kaiser, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und Schweden ausgehandelt wurde, schreibt mit dem grandiosen Beschluss vom 12. November 2013 fast 400 Jahre später erneut religions­politische Geschichte: damals ein neues Religions­recht für das gesamte Reich, heute ein religions­politisches Signal in die gesamte Bundes­republik mit dem Appell an die Kirchen: Macht Schluss mit den Verletzungen der Menschen­rechte der Beschäftigten in Euren Betrieben!

Walter Otte

Dokumentation:

Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Die Linke, UWG/Piraten vom 22.10.2013 an den Rat der Stadt Osnabrück / Beschluss des Rates der Stadt Osnabrück 12.11.2013

Rede des Ratsherrn Felix W. Wurm zur Begründung des Antrags am 12.11.2013: "Gleiches Recht für alle"

Pressemitteilung von SPD und Grünen

Pressemitteilung der Grünen-Ratsfraktion vom 13.11.2013

Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 12.11.2013