BERLIN. (hpd) Was haben Coaching-Seminare für Manager und Massengottesdienste urbaner Pfingstgemeinden gemeinsam, fragte sich der niederländische Künstler Aernout Mik und ging dem mit der Erarbeitung der Videos einer Installation "Speaking in Tongues / Mit fremden Zungen" nach. Sie ist im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen.
Aernout Mik, der bereits auf den Biennalen von Venedig und Sao Paolo reüssierte, beobachtete Rituale und Extase, aber auch strikte Durchorganisation und das Management von Menschenmassen bei religiösen Veranstaltungen in den Megacitys Lagos und Rio de Janeiro. Der 1962 in Groningen geborene Performance- und Installationskünstler filmte Verzückung und Heilserwartung in den Gesichtern der Gläubigen und stellte sie mit einem Massen-Aufgebot von über 200 Schauspielern und Statisten nach. Zu sehen sind in seinem Werk fast die gleichen Gesten, die gleiche vertrauensselige Selbstvergessenheit und die gleiche selbstbewusste Führerschaft, die diejenigen beanspruchen, die nicht nur solche Veranstaltungen leiten, sondern sich mit ihnen auch selbst feiern.
Nur der Kontext hat gewechselt. Als Rahmen dienten nicht, wie in den Metropolen am Wendekreis des Krebses, luftige riesige wellblechüberdachte Hallen, so gemütlich wie Fabrikräume, die Tausende von Gläubigen fassen, sondern die sachlichen und gleichzeitig festlichen holzgetäfelten Veranstaltungsräume des Hauses der Kulturen der Welt. Und gegeben werden nun nicht Gottesdienst und Kirchenfest, sondern die Schau imaginärer Firmenveranstaltungen, in denen Mitarbeiter auf ihre Firma eingeschworen werden und Firmenbosse sich selbst huldigen, und Coaching-Seminare für Manager der Führungsriege.
Beides kann nun der Betrachter bis zum 12. Januar dort am Spreeufer zueinander in Beziehung setzen. Mit der Ausstellung beschließt das Haus eine Veranstaltungsreihe zum Thema "The Global Prayers – Faith in the City/ Beten global. Glaube in der Stadt".
Hier wie dort fahren Hände in die Höhe, als sei das Heil zum Greifen nahe. Draußen, vor dem Lab des Hauses, im Foyer, die dokumentarischen Videoaufnahmen, bunt und exotisch, die alle gleichzeitig über ein halbes Dutzend Bildschirme flimmern. Drinnen, im Lab, auf je zwei großen Doppelleinwänden ähnliche Gesten und Mimik, diesmal inszeniert und in einen nur scheinbar ganz anderen Zusammenhang transponiert. Von jungen Menschen in Schlips und Anzug und Business-Kostüm. In beiden Fällen geht es um Hoffnung um Angst, um Aufstieg und Fall, um Heilsversprechen, um die Verlockung, dazu zu gehören zu einer besonderen Gemeinschaft, um Hingabe und Gefolgschaft. Um Selbstaufgabe und Rettung in letzter Minute. Um Bedingungslosigkeit.
Da fallen sie draußen in ganzer Länge zu Boden, als gälte es einen übermächtigen Herrscher milde zu stimmen. Sie drehen sich, auf ihren Gesichtern mehr Schmerz als Glück, um sich selber wie die Derwische. In nur scheinbarer Vereinzelung. Das Ganze folgt einer genau dirigierten Choreografie.
Da üben junge Mitteleuropäer ihr Vertrauen in das Team der Firma im Blinde-Kuh-Spiel. Wohlfrisierte Damen schütteln ihre Mähnen, lassen sich fallen und von versierten Performance-Leitern wieder aufrichten, auffangen in einem neuen Gemeinschaftsgefühl, wie es ihnen nun die Firma zu verleihen vermag. Religion als Geschäft draußen. Geschäft als Pseudo-Religion drinnen. Das Profane der Religion einerseits und die Aura des Religiösen andererseits. Es entsteht eine visualisierte Gleichung, deren Faktoren umkehrbar sind.
Auch was Mik in Brasilien und Nigeria aufnahm, wirkt authentisch, aber nicht anarchisch. Zwar winden sich die von religiöser Inbrunst besessenen Südländerinnen selbst mit Schaum vorm Mund noch scheinbar ausgesprochen sinnlich am Boden – und das ohne Regieanweisung – doch die Saalordner und Ministranten der Mega-Veranstaltung sind uniformiert, und ihre Macht über die Menschen ist gerade an ihren knappen militärisch steifen Gesten ablesbar. Die Rückkehr zum Elementaren der Jungmanagerinnen wirkt dagegen wie die etwas infantile, versuchte Rückbesinnung an Disco-Nächte ihrer Teenager-Zeit.
Viel Show ist in beiden Fällen dabei, ja, die Essenz des Ganzen, wo nach dem Innersten des Menschen gegriffen wird. Männer und Frauen, die eine wohl kalkulierte Freiheit der Entgrenzung üben, die hier wie dort nicht funktioniert, ohne dass andere über sie wachen und sie beaufsichtigen und in Bahnen lenken. Mitspielen wird eingefordert. Und das ist kein Spiel.
Simone Guski
bis 12.1.2014 Mi – Mo 11 – 19 Uhr, Fr u. Sa bis 22 Uhr im Haus der Kulturen der Welt: Aernout Mik. „Speaking in Tongues“, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Eintritt frei