Der von Helmut Ortner herausgegebene Band "EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen" fand nicht nur in der säkularen Szene große Resonanz. Dafür sorgten zahlreiche Radio-Interviews, Besprechungen und die Tatsache, dass auch größere Buchhandelsketten den Titel ins Sortiment nahmen.
Helmut Ortner, seit Jahren erfolgreicher und vielfacher Buchautor, war in bisher 15 Städten auf Lese-Tour. Und hat erlebt, wie unterschiedlich die Zuhörerschaft reagiert.
Sie waren in zahlreichen Orten auf Lese-Tour: als Teil der "Säkularen Buskampagne", auf Einladungen von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) nahestehender Gruppierungen, aber auch in Buchhandlungen und in Polit-Foren. Gibt es hier eigentlich Unterschiede, ob man in einer gbs-Veranstaltung, also gewissermaßen vor Gleichgesinnten, oder vor einem gemischten Publikum in einer Buchhandlung liest?
Helmut Ortner: Ich freue mich über jedes Publikum, ob Ungläubige, Zweifler, Gläubige oder besonders Gläubige. Das Publikum, das zu den Lesungen kommt ist überwiegend 50-plus, aber das ist auch der Fall, wenn ich mit anderen meiner Büchern unterwegs bin. Insgesamt aber bin über die Resonanz eher erstaunt: bis zu 150 Leute kommen ... In mittleren Städten – etwa Trier, Heidelberg – kommen oft mehr als in Großstädten. Dort ist das Veranstaltungsangebot ungleich umfangreicher, die Konkurrenz um ein interessiertes Publikum grösser ...
Worin unterscheidet sich die Zuhörerschaft?
Zunächst: es gibt ja nicht viele Einladungen von Buchhändlern. Religions- und Glaubenskritik scheuen die Buchhändler. Deren Käuferschaft ist häufig eher traditionell und konservativ, da will man niemanden verärgern. Aber dort, wo ich aus EXIT gelesen habe, gab es lebhaftes Interesse. Klar, auch mitunter heftigen Disput, erwartbare Verteidigungs-Plädoyers, lautstarke Ablehnung. Aber auch Betroffenheit, wenn es etwa um die Missbrauchsfälle in den Kirchen und das skandalöse Versagen des Rechtsstaats bei Verfolgung und Aufklärung ging ...
Mir ist alles Missionarische fremd, aber ich schätze kultivierten, authentischen Streit. Insofern sind Lesungen und Diskussionen vor einer unterschiedlichen Zuhörerschaft häufig anstrengend, weil kontrovers, aber doch anregender – mitunter unterhaltsamer – als eine Lesung vor Gleichgesinnten. Demokratie lebt von Disput. Über Bücher und Texte soll gestritten werden. Langweilige Bücher braucht niemand ... Interessant ist übrigens, dass es kaum Nachfragen aus dem links-alternativen Buchhandel gibt. Da steht Religionskritik nirgendwo auf der Agenda ...
Was war eigentlich der entscheidende Impuls, den umfangreichen Sammelband als Herausgeber anzupacken, also eine Vielzahl prominenter Autorinnen und Autoren für so ein Vorhaben zu gewinnen?
Vor zwei Jahren habe ich eine Essaysammlung mit dem Titel "Dumme Wut -Kluger Zorn" veröffentlicht. Der Impuls, ein Buch wie EXIT zu publizieren, kann durchaus mit einem latenten Zorngefühl zu tun haben, das mich immer dann überfiel, wenn ich feststellen musste, in welcher Weise in unserem Staat das im Grundgesetz formulierte Neutralitätsgebot von Kirche und Staat fortwährend verletzt wird.
Also habe ich Autorinnen und Autoren angefragt, die ebenso kompetent wie streitbar sind, Texte zu einem Band beizusteuern. Beinahe alle haben rasch zugesagt. Die Tatsache, dass ich in der Vergangenheit eine Reihe von Büchern veröffentlicht habe und Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung bin, war da sicherlich von Vorteil. So ist ein spannender, lesbarer Band daraus geworden. Fünfzehn Autorinnen und Autoren haben Essays geschrieben. Und so unterschiedlich und breit die Themen sind, so unterschiedlich die Tonalität: einig sind sich aber alle, dass es nicht nur eine klare Trennung von Kirche und Staat, sondern vor allem weniger Religion in dieser Welt braucht.
Es gibt auch kritische Stimmen, die monieren, den Texten fehle eine radikale Kritik an Glaubens-Konstruktionen ...
Ja, es ist kein glaubens-feindliches, aber ein religions-kritisches Buch. Die Menschen haben die Freiheit und das Recht, zu glauben, was sie wollen und das auch frei zu äußern. Religion steht es im laizistischen Rechtstaat frei, ihren Platz im Leben zu behaupten. Sie dürfen sich nur keinerlei staatliche Unterstützung und Privilegien erwarten. Weltanschauliche Daseinsfragen können allerorten diskutiert werden – der Staat aber muss eines sein: gottlos.
Ein Buch, das sich als Plädoyer für einen laizistischen Staat versteht ...?
Nun, da gibt es ja verschiedene Ansätze und Ausformungen ... Für mich ist der Glaube Privatsache. Ich bin ein Ungläubiger. Gottlos glücklich. Salopp gesagt: ich halte die Märchenwelt, die Heilsversprechen, die verlogenen Phrasen – und aggressiven Dogmen – für Mumpitz. Heute würde man sagen FAKE-History. Zum Wesenskern einer rechtsstaatlichen Demokratie aber gehört es, dass Menschen die Freiheit und das Recht haben, zu glauben, was sie wollen und das auch frei zu äußern. Der Bürger darf seinen Gott – oder mehrere Götter – haben. Das aber sollte Privatsache sein.
Das EXIT-Buch versteht sich, so sagen Sie, "als Beschleuniger einer notwendigen Debatte". Nach wie vor genießen Religionen und ihre Mitglieder erhebliche Privilegien, nach wie vor verstößt der Staat gegen das in unserer Verfassung formulierte Neutralitätsgebot. Kann ein Buch hier dazu beitragen, Veränderungen voranzutreiben?
Ich, ich bin ja Realist. "Bücher", sagt Voltaire, "sind dazu da, dass die Leser sie ergänzen ...". In diesem Sinne verstehe ich meine Arbeit als Autor und Herausgeber. Und klar, es freut mich, dass die erste Auflage bereits in einem Jahr zahlreiche Leserinnnen und Leser fand, dass der Verlag im Februar eine Paperback-Ausgabe herausbringt, das Buch in niederländischer Übersetzung erscheint und weitere Übersetzungen in Planung sind.
Nächste Lesungen:
- 28.November – Düsseldorf, Jazz-Schmiede, Himmelgeister Straße 107g, Eingang: Ulenbergstraße um 19 Uhr. ACHTUNG! Die Veranstaltung kann live im Stream auf Facebook verfolgt werden!
- 3.Dezember – Bochum, Kulturbahnhof, Langendreer Wallbaumweg 108 um 19 Uhr
- 12.Dezember – Lesung und Podiumsdiskussion: Helmut Ortner, Adrian Gillmann und Dr. Jaqueline Neumann (ifw – Institut für Weltanschauungsrecht, Essen), Romanfabrik, Hanauer Landstraße 185 um 20 Uhr
Helmut Ortner, EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen - Eine Abrechnung, Nomen Verlag, Frankfurt, 360 Seiten, 24 Euro (Im Januar erscheint eine aktualisierte Paperback-Ausgabe, voraussichtlich 18 Euro)
ZUR PERSON
Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht, u.a. Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter - Georg Elser und Fremde Feinde - Der Justizfall Sacco & Vanzetti. Zuletzt erschienen Wenn der Staat tötet - Eine Geschichte der Todesstrafe (2017) sowie Dumme Wut, kluger Zorn (2018). Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Er ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano Bruno-Stiftung.
2 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Herr Ortner schreibt, <warum hier weniger Religion brauchen> ich dagegen bin der festen Überzeugung, dass die Welt KEINE Religionen braucht.
Verloren geht nur die Angst vor dem Tod und die Angst vor ewigem Höllenfeuer.
Da die Kirchen weltweit das größte Vermögen besitzt, welches diese mit Mord, Betrug, Fälschung, Erpressung, Lügen, Erbschleicherei u.s.w. erlangt hat, und noch immer einstreicht, könnte man damit die dringlichsten Sozialen Probleme der Erde auflösen.
Also löst euch endlich von der klerikalen Nabelschnur und werdet selbstbestimmt und frei, so wie es unsere Tiere sein sollten und hört auf diese diese zu schlachten und zu fressen,
dann geht es euch allen Körperlich und Geistig besser.
Fragen dazu beantworte ich gerne.
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
@Helmut Ortner Die abrahamitische Religionen basieren nicht auf Glauben oder Aberglauben, sie sind logisch konstruierter Aberglauben.