Berliner Urteil: Diakonie geht in Berufung

Es mag interessant sein, wie man von EKD-Seite die Ambitionen der Großen Koalition zum kirchlichen Arbeitsrecht einschätzt – und leider passend zum Koalitionsvertrag, in dem dazu kein Wort steht. Aber wie man gerade feststellen darf, muss bzw. darf man eine Politik auch weit über dieses geduldige Papier hinaus erwarten.

Dass aber ein unabhängiges Gericht die "üblichen Interpretationen" an Signale des Gesetzgebers anzupassen habe, zeugt doch von einem sehr speziellen Verständnis von Gewaltenteilung auf EKD-Seite.

Da Frau F. weiterhin auf ihr Recht auf Diskriminierungsschutz bestehen und Verdi sie voraussichtlich weiterhin unterstützen wird, wird es also dort weitergehen. Zunächst hängt das weitere Schicksal des Berliner Falls und des Schadenersatzes von Frau F. davon ab, welches Urteil das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg als nächste Instanz sprechen wird. Abhängig davon könnte es der Fall womöglich bis zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt oder gar zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe von dort zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schaffen.

Oder ein Gericht legt den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor, um die Abweichung des §9 AGG prüfen zu lassen.

In beiden Fällen wäre weiteren zahlreichen Betroffen geholfen, da sie ihr gutes Recht nicht weiterhin mühsam in Einzelklagen erstreiten müssten. Und der Gesetzgeber wäre gefordert, das AGG der EU-Richtlinie anzupassen. Was dann ja sogar zu den bereits geltenden Bestimmungen der beiden Kirchen selbst passen würde. Geht das Diakonische Werk in Berufung, könnte das also der nächste nötige Schritt in diese Richtung sein.

Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG)

Das BUG unterstützt Diskriminierungsfälle im Rahmen des AGG. Die Geschäftsführerin Vera Egenberger kommentiert die Stellungnahme des Kirchenrechtlers Heinig wie folgt: "Der von Kirchenseite offensichtlich befürchtete Paradigmenwechsel ist bereits 2010 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem darauf basierenden Urteil des Bundesarbeitsgericht zu erkennen." Sowohl in Straßburg als auch in Erfurt wurde die Privatsphäre des Kirchenmusikers bzw. des Chefarztes als abzuwägendes Grundrecht neben der bisher üblichen Höherbewertung der kirchlichen Selbstbestimmung angemahnt. Weder der katholische Arbeitgeber in Essen noch der in Düsseldorf hätten ihren Mitarbeitern nicht aufgrund ihrer neuen Partnerin kündigen dürfen.

"Erst das Urteil des Arbeitsgerichts in Aachen zur Diskriminierung eines konfessionslosen Bewerbers durch eine katholische Klinik und jetzt der Berliner Fall auf evangelischer Seite: Beide Richter fanden sehr deutliche Worte, dass konfessionelle Arbeitgeber nicht grenzenlos agieren können. Wir sehen den begrüßenswerten  Paradigmenwechsel bereits seit Längerem und hoffen auf ein baldiges höchstinstanzliches Urteil," so Frau Egenberger weiter. "Der Berliner Richter hat sich auf die EU Richtlinie gestützt, weil diese auch für Deutschland bindend ist. Im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen Deutschland wurde bereits in 2007 die Formulierung des §9 AGG hinterfragt. In der Antwort der damaligen Bundesregierung hierauf wurde nämlich  unterstrichen, dass die Richtlinienformulierung sich in der Auslegung des §9 natürlich wiederfinden würde. Daher sehen wir ein ganz anderes Signal des Gesetzgebers als von Herrn Heinig beschrieben."