Religion und Gewalt

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BERLIN. (hpd) Ein Polizeipräsidium dürfte so ziemlich einer der letzten Orte sein, an den man denkt, wenn eine Diskussion darum ansteht, ob Religionen vor allem für eine Kriminalgeschichte taugen. Und doch: Gestern Abend trafen genau dort drei sehr unterschiedliche Haltungen aufeinander.

 

In Berlin soll in den kommenden Jahren ein Bet- und Lehrhaus gebaut werden. Ein Haus, in dem jede der drei monotheistischen Religionen ihre eigenen Räume haben wird, es aber auch einen offenen Raum für Begegnungen untereinander geben soll. Das sollte der Ausgangspunkt für eine Podiumsdiskussion werden, an der Rolf Schieder (Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt Universität Berlin), Michael Schmidt-Salomon (Schriftsteller, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung) und Cebrail Terlemez (Geschäftsführer des FID e.V. und Vorstandsmitglied des Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin e.V.) teilnahmen.

Allerdings wurde sehr schnell klar, dass es in der Diskussion nur sehr am Rande um das Bet- und Lehrhaus gehen würde. Sondern um einen verbalen Schlagabtausch der Weltanschauungen und Ideen. Wie so häufig schlug sich Michael Schmidt-Salomon dabei sehr souverän. Obwohl die Stühle der drei Diskutierenden und des Moderators Dirk Pilz (Journalist und Publizist) in etwa gleichem Anstand im Halbkreis auf dem improvisierten Podium standen machte es am Ende des Abends den Eindruck, als würde Schmidt-Salomon zentral in der Mitte sitzen und die drei anderen hätten ihm Platz gemacht. Doch kein Stuhl wurde verrückt.

Voller Saal
Voller Saal

Am Beginn des Abends wurden zwei kurze Einführungsreferate gehalten: von der stellvertretende Polizeipräsidentin von Berlin, Margarete Koppers sowie vom Vorstand des Bet- und Lehrhauses Petriplatz Berlin e.V., dem Pfarrer Gregor Hohberg. Frau Koppers wies darauf hin, dass in Fussnähe sowohl zwei Kirchen zu finden sind als auch eine Moschee. Auch die Synagoge sei nur ein paar U-Bahnstationen entfernt. Hohberg betonte, dass Berlin eine Stadt mit etlichen Religionen ist und eine lange Geschichte der Zuwanderung hat - auch von Menschen anderen Glaubens. Und keiner von beiden erwähnte auch nur mit einer Silbe die übergroße Mehrheit der Berliner Bevölkerung: die Konfessionsfreien. Die beiden kurzen Ansprachen ließen kurz befürchten, bei einer sakralen Veranstaltung gelandet zu sein.

Genau in diesem Sinne soll wohl auch das Bet- und Lehrhaus funktionieren: Die drei monotheistischen Religionen sollen gemeinsam beten und sich über ihre Religionen austauschen - von einem Dialog mit “Ungläubigen” war nicht die Rede.

Das bestätigte später Cebrail Terlemez sogar, als er davon sprach, dass er Bildung für etwas hält, dass “man nur dadurch erlangt, wenn man mit dem anderen spricht und versucht, dessen Religion zu verstehen.”

Doch soweit war es noch nicht. Man tastete sich erst einmal langsam an die Frage heran, ob Religionen die Ursache für Gewalt sein können oder gar sind. In diesem Vorgeplänkel sagte der Theologe Schieder: “Religion wird deshalb mit Gewalt gleichgesetzt, weil die Gläubigen fest im Glauben sind. Schon die Gestalt des gekreuzigtes Jesus hat die Gewalt in das Christentum gebracht.”

Worauf Terlemez entgegnete, dass nicht die Religion an sich gefährlich sei, sondern nur “die Menschen, die die Religion ge- und missbrauchen.” Was dann allerdings Religion ist, wenn nicht das, was Menschen daraus machen, blieb unbeantwortet. Insgesamt vertrat Terlemez eine Auffassung, die nicht unbedingt ein gutes und freundliches Menschenbild zeigte.

Schmidt-Salomon stellte darum auch klar, dass Menschen eben nicht immer egoistisch sind, sie sind in ihren Gruppen eher mitfühlend und empathisch - aber sie sind in gleichem Maße feindlich gegenüber anderen Gruppen.

Es machte den Eindruck, als würde Schmidt-Salomon die bis dahin dahinplätschernde Diskussion etwas langweilen, denn nun ließ er sich nicht mehr vom Moderator unterbrechen, der einen ellenlangen Fragenkatalog auf den Knien hatte, sondern sprach darüber, dass es offenbar eine Gesetzmäßigkeit sei, dass es auf der einen Seite eine immer mehr säkularisierte Gesellschaft gäbe, auf der anderen jedoch weltweit die Fundamentalisten Zulauf bekommen.

Daraufhin warf Schieder ihm vor, dadurch, dass er den Begriff Fundamentalismus nutzt, fundamentalistisch zu sein. Für ihn selbst sei Fundamentalismus “das selektive Herauslesen passender Stellen aus den Heiligen Schriften”. Das war ein unbemerktes Eigentor, denn Schmidt-Salomon hatte zuvor zwar selektiv aus der Bibel zitiert - aber genau diese Stellen werden von Theologen auch selektiert - allerdings auf die genau gegensätzliche Art und Weise: sie werden heraus-selektiert.

Cebrail Terlemez versuchte auf Schmidt-Salomons genüsslich vorgetragene Koranverse, die Anders- und Ungläubige mit Höllenqualen drohen, mit dem Hinweis zu kontern, dass auch gläubige Muslime in die Hölle kommen können. Es muss ihm selbst klargeworden sein, dass dieses Argument nicht unbedingt für die Religion spricht. Denn danach beteiligte er sich dann kaum noch an der Diskussion.

Podium
Podium

Schmidt-Salomon nahm den Ball trotzdem auf und verwies darauf, dass die Angst vor der Höllenstrafe sehr wohl politischen Einfluss hat. Denn Menschen, die unter dieser Angst leben müssen (weil sie es besser nicht wissen), sind leider auch bereit, im Namen der Religion Gewalt auszuüben.

Darauf entgegnete der Theologieprofessor: “die Toleranz ist in der Bibel enthalten, die Juden waren tolerant.” Auch die Ausrottung der anderen Völker durch die Juden in der Bibel sei niedergeschriebenes Wunschdenken gewesen, da die Bücher erst lange nach der Zerstreuung der Juden geschrieben wurden.

Worin aber besteht das Spezifische an der Gewalt durch die Religionen?, wollte der Moderator wissen. Schmidt-Salomon verwies darauf, dass es einen kritischen-rationalen Zugang zur Welt bedarf. Dann kann der Mensch erkennen, dass Religionen nicht notwendig sind, um die ethischen Fragen zu beantworten, die die menschliche Gesellschaft benötigt. Rolf Schieder entgegnete, alles sei Religion, “wofür Menschen sterben würden”. Diese Bemerkung wurde sogar von der Mehrheit des Publikums eher befremdlich aufgenommen.

Terlemez versuchte sich noch einmal, in die Debatte einzubringen. “Religion wird immer dann gefährlich, wenn es um Macht geht - ansonsten sind sie friedlich.” Er erklärte dem Podium und dem Publikum, dass der Islam sich friedlich verbreitet hat und nicht durch das Schwert. Daher sei Religion auch Privatsache. Religion gerät immer dann in Gefahr, wenn sie politisch wird. Das konterte Schieder mit dem Hinweis darauf, dass selbst in Deutschland die Politik nicht religionsfrei sei. Immerhin haben alle Minister der neuen Regierung auf die Bibel geschworen.