Europawahl 2014

Warum ist Europa wichtig? (6)

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Rob Buitenweg

AMSTERDAM. (hpd) In dieser Interview-Serie geht es jeden Mittwoch um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.

Rob Buitenweg ist Vorstandsvorsitzender des Nederlands Humanistisch Verbond und im Vorstand der European Humanist Federation (EHF). Er war Professor für Menschenrechte an der Humanistischen Universität Utrecht und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu humanistischen Themen.

Hier geht er auf humanistische Werte und die Bedeutung der unterschiedlichen europäischen Verträge zum Schutz von Grundrechten ein.

 

Hallo Rob Buitenweg,

dank des Engagements des Niederländischen Humanistischen Verbandes (Humanistisch Verbond Nederland) wurde Gotteslästerung kürzlich aus dem niederländischen Strafgesetzbuch gestrichen. Ihre weiteren zentralen Themengebiete sind Trennung von Kirche und Staat, Asylrecht und selbstbestimmtes Sterben.

Wie wichtig ist die europäische Ebene für Ihre niederländischen Aktivitäten und welche Themen stehen bei Ihnen eher auf der “humanistischen Tagesordnung” der Europapolitik?

Rob Buitenweg: Der Humanismus der Niederlande und der anderen Länder ist nicht nur von nationalen Gewohnheiten und Regelungen betroffen, sondern auch von europäischen Maßnahmen und Beschlüssen. Deshalb ist es für den Humanistisch Verbond (HV) wichtig, innerhalb der European Humanist Federation (EHF) mit anderen humanistischen Organisationen zusammenzuarbeiten.

Schließlich arbeiten 28 Länder innerhalb der EU zusammen, also innerhalb der politisch-ökonomischen Union in Brüssel. Im Europäischen Rat, einem Gremium für Kultur, Demokratie und Menschenrechte in Straßburg, arbeiten 47 europäische Länder zusammen. Humanistische Organisationen sollten daran anschließen und sich zusammentun, was in der EHF geschieht.

Ein wichtiges Thema der EHF ist die Trennung von Kirche und Staat. Beide müssen auf ihrem eigenen Terrain bleiben und sich nicht in das der anderen Seite einmischen. Vor diesem Hintergrund hat sich die EHF heftig gegen Artikel 17 im Lissaboner Vertrag gewehrt. Dieser besagt, dass die die europäischen Gremien einen offenen, ehrlichen und transparenten Umgang mit Kirchen und nicht-konfessionellen Organisationen pflegen sollen. Das besiegelt eine Beziehung zwischen Staat und Kirchen, was uns ganz und gar nicht gefällt. Artikel 17 bietet Kirchen und nicht-konfessionellen Organisationen die Gelegenheit, von europäischen Gremien gehört zu werden. In der Praxis stellt sich bislang jedoch heraus, dass leider hauptsächlich Kirchenvertretungen eingeladen werden und somit profitieren – wodurch von gleicher Behandlung keine Rede sein kann.

Wir konnten wir uns aber leider nicht gegen Artikel 17 durchsetzen. An der Stelle gilt es noch viel zu kämpfen. Zusammen mit meinen EHF-Kollegen habe ich zwar Artikel 17 akzeptiert, setze mich aber für eine weitgehende Form der Neutralität bei der Umsetzung ein.

Für niederländische Humanisten war die prinzipelle Trennung von Kirche und Staat kein Schwerpunkt. Wir akzeptieren, dass es eine Beziehung zwischen Staat und weltanschaulichen und religiösen Organisationen gibt, zum Beispiel in Form von finanzieller Unterstützung von deren Aktivitäten. Die EHF ist sich bewusst, dass eine strikte Trennung diese Sphären nicht erreichbar sein wird, aber eine neutrale Haltung und Politik schon.

Es geht uns um ein anderes Modell der Säkularität. Darin steht die prinzipelle Trennung nicht im Mittelpunkt, sondern die Neutralität des Staates, der Kirchen und nicht-konfessionelle Organisationen gleich behandelt.

 

Welche europäischen Gesetze und Initiativen sind wichtig für den HV und die EHF?

Sowohl der HV als auch die EHF unterstützen Gesetze, die humanistischen Werten einen Rahmen geben. Dazu gehören Richtlinien zur Gleichbehandlung der Geschlechter, gegen die Diskriminierung Homosexueller oder ethnischer oder kultureller Gruppen usw.

HV und EHF unterstützten das Zustandekommen der Charta der Grundrechte in der EU und das Vorhaben der EU, dem Europäischen Vertrag für Menschenrechte beizutreten. Dabei handelt es sich um eine wichtige Entwicklung, denn bis vor Kurzem waren die EU-Mitgliedsstaaten an die Grundrechte in ihren eigenen Verfassungen gebunden und an Menschenrechtsverträge des Europäischen Rates und an internationale Verträge der UNO. Erst 2007 wurde im Lissaboner Vertrag beschlossen, dass die EU sich auch selbst an juristisch verbindliche Regeln halten muss, indem sie die den Vertrag für Menschenrechte unterschreiben soll. Dieser Vertrag kommt vom Europarat und umfasst Bürgerrechte wie etwa Meinungs- und Religionsfreiheit.

 

Welche Rolle spielt Europapolitik bei Ihrem Engagement für eine bessere Asylpolitik?

Die EU hat eine weitestgehend gemeinsame Asylpolitik entwickelt. Das Prinzip der Solidarität ist dabei wichtig, sowohl gegenüber Asylanfragern und Flüchtlingen als auch zwischen den beteiligten Staaten. Ein großes Problem bereitet der Flüchtlingsstrom aus afrikanischen Ländern nach Südeururopa, da die betroffenen Länder dem nicht gewachsen sind. Der HV weist immer wieder darauf hin, dass die menschliche Aufnahme nicht allein Sache der Staaten entlang des Mittelmeeres ist, sondern von ganz Europa. Dies zu organisieren, lässt bislang stark zu wünschen übrig. Deshalb ist die Situation in vielen Ländern menschenunwürdig.

Der HV setzt sich auch für Personen ein, die kein Aufenthaltsrecht haben, aber auch nicht ausgewiesen werden können. Diese “Geduldeten” dürfen nicht arbeiten und fallen nicht unter sozialstaatliche Regelungen. Sie leben im Schatten der Gesellschaften und werden oft in Lagern untergebracht. Auch Kinder. Ihre Lage ist menschenunwürdig und deshalb unseren vollen Einsatz wert.

 

Menschenrechtsaktivist vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
Foto: © Evelin Frerk

 

Welche weiteren Themen stehen auf der Tagesordnung?

Gesetzte gegen Gotteslästerung und gegen Diffamierung von Religiösität hat der HV schon immer bekämpft. Derartige Strafgesetze können zur Folge haben, dass Kritik an religlösen Praktiken, die gegen Menschenrechte verstoßen, also etwa Beschneidung und Kinderhochzeiten, nicht frei geäußert werden darf. Manche Befürworter solcher Verbote gehen sogar so weit, dass sie den Spieß umdrehen und behaupten, es sei eine Menschenrechtsverletzung, wenn man sie frei kritisieren dürfe. Eine absurde Verdrehung! Im UNO-Menschenrechtsrat haben einige Länder (unter Federführung der Organisation der islamischen Länder) dafür plädiert, die Diffamierung von Religionen als Missbrauch des Rechts auf Meinungsäußerung und sogar als Menschenrechtsverletzung zu betrachten.

 

Die Niederlande haben sich dagegen gewehrt und der HV hat deutlich gemacht, dass eine solche Verdrehung unsinnig und unmoralisch ist. Wir probieren, niederländische VertreterInnen in europäischen und weiteren internationelen Organisationen und Gremien aufzufordern, sich für die Freiheit der Meinungsäußerung einzusetzen, auch wenn es um die Kritik an religiösen Praktiven und Überzeugungen geht.

Aktive Sterbehilfe ist in den Niederlanden unter anderem durch unsere Aktivitäten unter bestimmten Bedingungen und mit hohen Sorgfaltspflichten erlaubt. Momentan wird diskutiert, ob auch Personen ohne Gesundheitsprobleme, die nicht mehr leben wollen, sowie Jugendliche und Kinder dazu Zugang erhalten sollten.

Der HV findet Selbstbestimmung so wichtig, dass auch Erwachsene ohne ernste Krankheiten auf Wunsch ihr Leben würdevoll beenden können sollen. Die Diskussion zum selbstbestimmten Lebensende von Minderjährigen regen wir zwar an, sind aber noch zurückhaltend dabei, dies ein Recht zu nennen.

Das ganze Thema selbstbestimmtes Sterben ist für viele europäische Humanisten sehr wichtig, da es in ihren Länden dazu keine Möglichkeiten, sondern Strafen gibt. Der HV arbeitet innerhalb der EHF mit den entsprechenden humanistischen Orgsanisationen zusammen, um die Diskussionen in ihren Ländern voranzubringen.

 

Welche Möglichkeiten nutzen Sie, sich für ein säkulares Europa einzusetzen?

Wir betrachten die Gleichbehandlung von religiösen und weltanschaulichen Organisationen als einen wichtigen humanistischen Wert in einem neutralen Europa und seinen neutralen Mitgliedsstaaten. Wir nutzen unsere politischen Kontakte in den Niederlanden und in Europa, um sie für den Einsatz für ein säkulares Europa zu überzeugen. Dabei geht es natürlich auch um Kontakte zu Gleichgesinnten, wie beispielsweise mit der Europa-Abgeordneten Sophie in ’t Veld von der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP).

 

Wer unterstützt Ihre Aktivitäten; bestimmte Gremien, Netzwerke oder Parteien?

Für den HV ist der Europarat in Straßburg recht wichtig. Dort versteht man sich als Hüterin europäischer Werte und entwirft Verträge zu Menschenrechten, beispielsweise den Europäischen Vertrag für Menschenrechte und das Europäische Sozialcharta. In diesem Vertrag des Europarates geht es zum Beispiel um das Recht auf Arbeit und auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Bemerkenswerterweise hat die EU beide noch nicht unterschrieben, sondern nur ihre Mitgliedsstaaten. Zum Glück hat der Europarat die Charta der Grundrechts der EU beschlossen und sich vorgenommen, den Europäischen Vertrag für Menschenrechte zu unterzeichnen.

Da der HV findet, dass die EU an Menschenrechtsverträge gebunden sein sollte, verfolgt er diese Entwicklungen sehr genau. Wir pflegen hierzu engen Kontakt mit der International Humanist and Ethical Union (IHEU), die vom Europarat und von der UNO als NGO anerkannt wird.

 

Und auf der Gegenseite, wer behindert Ihre Arbeit? Hauptsächlich Kirchenvertreter, die sich europaweit organiseren?

Die Gegenseite besteht meist aus den Kirchen. Wenn sie eine Politik anregen, die die Menschenwürde bedroht oder wenn sie Regelungen initiieren oder bekräftigen, die das individuelle Selbstbestimmungsrecht einschränken, wird der HV diese mit aller Kraft verteidigen. Das gilt aber auch für die Aktivitäten nicht-konfessioneller Organisationen insachen Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung.

Die Römisch-katholische Kirche hat sein sehr aktives European Centre for Law and Justice, das den Europarat beeinflusst. Dagegen müssen auch wir lauter werden.
Um die humanstische Stimme europaweit zu kräftigen, ist eine verstärkte Zusammenarbeit humanistischer Organisationen nötig.

 

Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen für ein selbstbestimmtes Europa ein?

Ich bin optimistisch und erwarte eine Form des Zusammenlebens, die immer mehr auf humanistischen Werten beruht. Aber ich erwarte nicht, dass das schnell passieren wird. Es wird Millimeterarbeit sein. Aber jeder Millimeter in Richtung zu mehr Menschenwürde ist wichtig.

 

Warum ist es wichtig, bei der Europawahl am 25. Mai abstimmen zu gehen?

Die EU bestimmt unser Leben in zunehmendem Maße. Sie verabschiedet Richtlinien, an die wir uns halten müsssen und viele Maßnahmen der EU-Länder geschehen zur Umsetzung von Beschlüssen aus “Brüssel”. Bei der Entscheidungsfindung in Brüssel spielt das Europäische Parlament in Straßburg aber eine wichtige Rolle. Wir müssen uns deshalb für die Wahl von Abgeordneten einsetzen, die unsere Auffasungen teilen und ihnen Gehör verschaffen können.

Wenn wir nicht zur Wahl gehen, wird unsere Stimme nicht gehört und kann auch nicht bis zu europäischen Entscheidungen durchdringen.

 

Außer zur Wahl zu gehen, wie kann man sich sonst für ein säkulkares Europa einsetzen?

Aktives Mitglied einer humanistischen Organisation werden.

 

Das Interview führte Corinna Gekeler

 
Bislang in der Interview-Serie zur Europawahl erschienen:

Sophie in ´t Veld: Europa-Abgeordnete der niederländischen linksliberalen D66 und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP)

Dr. Margret Steffen: Gewerkschaftssekretärin für Gesundheitspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung und Expertin für gewerkschaftliche Europapolitik

Werner Hager: Sprecher der Säkularen Grünen NRW, der sich insbesondere mit Europapolitik befasst

Elfriede Harth: Katholische Feministin, die sich für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung engagiert

Conny Reuter: Generalsekretär von SOLIDAR, Co-Präsident der Liasion-Gruppe der europäischen Netzwerke beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss  und bis 2013 Präsident der Europäischen Sozialplattform.