BERLIN. (hpd) Der Verein “Digitale Gesellschaft” lud heute zu einer Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt ein - und nur wenige kamen. Dabei hat das letzte Jahr gezeigt: die (digitale) Welt ist nicht mehr die gleiche wie vor einem Jahr.
Genau vor einem Jahr - am 5. Juni 2013 - erschienen die ersten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden. Der Artikel von Gleen Greenwald über die jahrelange, heimliche Speicherung aller Telefonverbindungsdaten der US-Bürger durch die NSA markierte den Beginn einer beispeillosen Enthüllungsserie. Snowden veröffentlichte Dokumente über die Verizon-Gerichtsanordnung zur Datensammlung, dann über PRISM. Seitdem ist erschreckend wenig geschehen. So gut wie keine politischen Konsequenzen wurden gezogen und vor allem auch unsere Regierung glänzt durch Untätigkeit. Das lange Zögern des Generalbundesanwaltes Harald Range, wegen des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin Ermittlungen anzustellen, ist nur ein Beispiel dafür.
Was für Range bedeutet, dass er gegen Unbekannt ermitteln lässt, denn für ihn “mangelt es am Anfangsverdacht für eine konkret verfolgbare Straftat.” Diese Aussage auf der gestrigen Pressekonferenz bezog sich auf die mehr als 2.000 Strafanzeigen, die der Bundesanwaltschaft von Privatpersonen vorliegen.
Kein Anfangsverdacht? Die veröffentlichten Dokumente Snowdens sprechen eine deutlich andere Sprache. Jeder deutsche Staatsbürger wird durch den us-amerikanischen Geheimdienst “National Security Agency” (NSA) und dem britischen Pedant GCHQ ausgespäht. Jeder Einzelne, der ein Telefon benutzt, Mails schreibt oder in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, wird grundsätzlich als “Terrorist” angesehen und überprüft. Hiergegen möchte Herr Range nicht vorgehen - weil sich die USA eventuell “verschnupft zeigen könnten”. Das jedoch sind sie längst; denn der souveräne Staat Deutschland hat es gewagt, auch nur anzudeuten, möglicherweise und eventuell in der Späh-Affäre zu ermitteln.
Doch was ist ein einziges Handy - auch wenn es das der Kanzlerin ist (die im Übrigen schon abgehört wurde, als sie es noch nicht war. Sondern Oppositionsführerin in der rot-grünen Regierung unter Schröder.) wenn die Kommunikation der gesamten Welt abgehört wird? Für die Linken-Chefin Katja Kipping darf deshalb Ranges Entscheidung aber “nicht das letzte Wort sein”. “Es kann nicht sein, dass die Privatsphäre von 80 Millionen Bürgerinnen weniger wert ist als die der Kanzlerin. Das ist Zwei-Klassen-Justiz” wird sie in der FAZ zitiert.
Es ist leider kein Witz, wenn Range sagt, dass “seine Behörde versuche …, an Dokumente zu kommen, die laut Edward Snowden bei verschiedenen Medien liegen sollen.” Die bereits veröffentlichten Dokumente dürften dafür genügen. Es hat den Anschein, als wolle sich der Generalbundesanwalt aus seiner Verantwortung schleichen. Das allerdings wundert wenig: greift doch auch diese Behörde auf die geheimen Ermittlungen eben der Dienste zurück, gegen die sie ermitteln soll. Es waren Hinweise der NSA, die zu Ermittlungen gegen terroristische Zellen in Deutschland führten oder gegen Firmen, die Material zum Bau von Massenvernichtungswaffen lieferten.
Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung hat das heute früh in einem Radiokommentar so ausgedrückt: “Snowden ist bereit, hier auszusagen. Jetzt gibt es die ganz große Furcht, er könnte tatsächlich kommen…” denn das könnte auch den eigenen Geheimdiensten gefährlich werden. Denn schließlich war es der Bundesnachrichtendienst (BND), der dem Generalbundesanwalt mitteilte, dass die Informationen “wonach monatlich bis zu 500 Millionen Verbindungsdaten von Deutschen abgegriffen worden seien, … auf einer falschen Interpretation der Dokumente von Edward Snowden” beruhten.
Genau diese Geheimniskrämerei um offensichtliche Dinge führt auch dazu, dass der Bundestagsuntersuchungsausschuss zur NSA-Affäre Edward Snowden nicht nach Deutschland vorladen darf. “Niemand soll erfahren, was er zu sagen hätte, schon gar nicht das Parlament und damit die Öffentlichkeit. Mit allen Mitteln verhindern Regierungsbeamte und Politiker, dass der wichtigste Zeuge in der Spähaffäre befragt wird” schreibt die ZEIT.
Markus Beckedahl forderte daher bei der Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt heute Vormittag die lückenlose Aufklärung der NSA-Affäre und Asyl für Edward Snowden in Deutschland - eine Aktion von Campact in Kooperation mit Digitalcourage e.V. und dem Whistleblower-Netzwerk e.V. bittet um “ein Bett für Snowden”.
Eine genaue Dokumentation der bedeutendsten Erkenntnisse und wichtigsten Reaktionen hat Heise veröffentlicht.