MÜNCHEN. (hpd) Sprechen bayerische Richter im Namen des Kreuzes Recht? Diese Frage stellt sich bei einem Blick in bayerische Gerichtssäle, deren einziger Schmuck das Symbol der christlichen Kirche hinter dem Richtertisch ist. Nichts jedoch erinnert an das demokratische Rechtssystem. Das bayerische Justizministerium sieht darin keinen Widerspruch.
Vor gut drei Wochen berichtete der hpd über einen Brief, den Dr. Klussmann an den Bayerischen Ministerpräsidenten schrieb, weil ihm die Kreuze in bayerischen Gerichtssälen auffielen. Inzwischen ist eine Antwort aus dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz darauf eingetroffen, die dem hpd vorliegt.
Noch ehe der unterzeichnende Oberregierungsrat des Ministeriums auch nur auf eine sachliche Frage eingeht, unterstellt er Dr. Klussmann, nur deshalb gegen das Anbringen der Kreuze in bayerischen Gerichtssälen zu protestieren, weil er die Kirche generell ablehnt. Er kann oder will erst gar nicht auf den Gedanken kommen, dass auch einem gläubigen Katholiken diese Zurschaustellung religiöser Symbole in einem Gerichtssaal irritieren dürfte. Dann gibt er zu, dass in Bayern “in den Sitzungssälen der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Regel Wandkruzifixe angebracht” sind.
Dafür gibt es zwar keinerlei rechtliche Befugnis, aber seiner Auffassung nach verstoßen die Kreuze ja auch nicht “gegen die Pflicht des Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität.” Deshalb braucht der religiös-weltanschauliche Staat dagegen auch nicht einschreiten. Denn “das Neutralitätsgebot ist … nicht als Gebot zur Eliminierung des Religiösen aus dem öffentlichen Bereich zu verstehen.”
Das jedoch hat Dr. Klussmann nicht verlangt. Sondern nur das Entfernen der Kreuze aus den Gerichtssälen, in denen auch Recht über Konfessionsfreie und Angehöriger anderer Religionen gesprochen wird - auf Grundlage von Recht und Gesetz und nicht mit Hilfe des Alten Testaments. Wenn Gläubige unter dem Dach des Gerichts ihre Rituale pflegen wollen, dann sollen sie das tun dürfen. Jedoch nicht im Gerichtssaal. Es ist keine “Eliminierung des Religiösen”, wenn erwartet werden kann, dass Urteile im Namen des Volkes nicht von einer Jesus-Figur untermalt werden.
Der Oberregierungsrat hat auch darauf eine Antwort: Die religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates “bedeutet keine völlige Indifferenz in religiös-weltanschaulichen Fragen und keine laizistische Trennung von Staat und Kirche.” Dabei bezieht er sich auf ein Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (BayVerfGH 50. 156/187). In diesem Urteil jedoch ging es nicht um Kreuze im Gerichtssälen - sondern um Kreuze im Unterrichtsräumen.
Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wurde damals die Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (Volksschulordnung - VSO) für nichtig erklärt. In dem angesprochen Verfahren musste daher durch den Verfassungsgerichtshof neu entschieden werden. In diesem Urteil kamen die Richter seinerzeit zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass “das Kreuz … ein Symbol [ist], dessen Interpretation letztlich vom Wissen, von der Vorprägung und der inneren Einstellung des Betrachters abhängt. Einerseits kann es religiös als zentrales Symbol des christlichen Glaubens gesehen werden. Es kann aber auch als ein rein säkulares Symbol aufgefaßt werden, nämlich als überkonfessioneller Ausdruck der vom Christentum maßgeblich geprägten Werte und Normen der abendländischen Kultur und Tradition. Auch eine Verschmelzung beider Sichtweisen sowie andere Interpretationen sind denkbar.”
Sätze aus dem Urteil (Vgl. dort A 2 a) finden sich im Antwortbrief des Justizministeriums fast wortwörtlich wieder. Der Absender machte sich also nicht einmal die Mühe, selbst eine Antwort zu formulieren. Doch es scheint, als wäre er mit dieser Praxis nicht allein. Denn diese Sätze sind wohl schon zu Textbausteinen verarbeitet worden. Die genau gleichen Worte wählte Christa Stewens von der CSU bei abgeordnetenwatch.de in einer Antwort vom 23.09.2008.
“Der Staat” fährt der Oberregierungsrat mit Verweis auf ein weiteres Urteil fort, “darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich … mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren.” Wie das jedoch damit in Übereinstimmung gebracht werden kann, dass der Staat durch das Zulassen der aufgehängte religiösen Symbole im Gerichtssaal sehr wohl einen “bestimmten Glauben” bevorzugt und sich damit eindeutig auch identifiziert, erklärt der Brief nicht.
Im Gegenteil geht er davon aus, “dass weite Kreise der Bevölkerung” die Kreuze befürworten oder doch zumindest nicht ablehnen. Was eine ordentliche, flächendeckende und frühzeitige Indoktrination, die im Grundschulalter allerspätestens beginnt, ermöglicht. So lange und so kräftig, dass die Betroffenen nicht einmal mehr bemerken, wie sehr indoktriniert sie sind.
Aber immerhin: Wenn sich “Verfahrensbeteiligte … in ihrem Grundrecht der Glaubensfreiheit beeinträchtig fühlen und darlegen, dass das ‘Verhandeln unter dem Kreuz’ für sie eine unzumutbare innere Belastung darstellt, ist es eine Frage der Sitzungsleitung, im Einzelfall eine Verhandlung in einem Gerichtssaal ohne Kreuz zu ermöglichen.” Dabei wäre es andersherum korrekt: wer unbedingt Richter unterm Kreuz Recht sprechen hören möchte, könnte im Einzelfall darum bitten, dass ein Kruzifix aufgehängt wird.
Es wäre interessant zu sehen, was geschähe, wenn in einem bayerischen Gerichtssaal statt eines Kreuzes ein Bildnis des Fliegenden Spaghettimonsters hängen würde. Ob die Antwort des Justizministeriums ebenso ausgefallen wäre?