Die Kläger, der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) sowie der Bund für Geistesfreiheit Bayern (bfg Bayern) sehen durch die Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit ihrer Mitglieder verletzt und fordern im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Einhaltung der staatlichen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Ziel der Klage ist, dass die bayerische Staatsregierung dazu verpflichtet wird, den Kreuzerlass zurückzunehmen und die Kreuze zu entfernen.
Am 5. Oktober 2018 hatten der bfg München und der bfg Bayern zusammen mit 25 weiteren Mitstreiter*innen Klage eingereicht, deren Ziel es ist, die bayerische Staatsregierung dazu zu verpflichten, den Kreuzerlass beziehungsweise § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) zurückzunehmen. Dort heißt es: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen."
Darüber hinaus geht es in der Klage darum, dem Freistaat aufzuerlegen, die angebrachten Kreuze in den über 1.100 staatlichen Dienststellen zu entfernen sowie den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen Körperschaften zu empfehlen, die Kreuze wieder abzunehmen.
Beide Körperschaften des öffentlichen Rechts fordern die Einhaltung der staatlichen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität und sehen durch die Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit ihrer Mitglieder verletzt.
Am 17. September 2020 hatte das Verwaltungsgericht München (VG) die Klage von allen 27 Kläger*innen abgewiesen. Das VG war der Meinung, es sei nicht hinreichend dargelegt worden, durch welche Kreuze die Kläger*innen betroffen seien und es sei nicht hinsichtlich der Häufigkeit und Schwere der Betroffenheit differenziert worden.
Das VG war jedoch zuvor, am 27. Mai 2020, zu dem Beschluss gekommen, dass einer der Anträge der Kläger*innen – nämlich § 28 AGO aufzuheben – im Wege der sogenannten Normenkontrollklage zu behandeln ist. Daher hat das VG diesen Teil der Klage an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) verwiesen. Denn aus Sicht des VG greift § 28 AGO unmittelbar in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG ein ("Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich"). Damit widerspricht das Gericht der Auffassung des Beklagten, des Freistaats Bayern, dass es sich beim "Kreuzerlass" lediglich um eine rein behördeninterne Geschäftsordnungsregelung handle, die keine unmittelbare Außenwirkung auf die Bürger*innen habe, sondern stellt fest, dass § 28 AGO eine Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung sei und einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstelle (Beschluss VG S. 8 Nr. 13, S. 11 Nr. 18–19 und S. 14 Nr. 25 – siehe Anlage).
Assunta Tammelleo, Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München und Initiatorin der Klage, sieht sich durch das VG bestätigt: "Alle Kläger*innen müssen in ihrem Leben eine Behörde aufsuchen oder werden gar dort hingebracht – zum Beispiel von der Polizei oder einem Rettungsdienst. Von der Geburtsanzeige bis zur Sterbemitteilung, von der Kfz-Zulassung bis zu einem Bauantrag, von einer Gewerbeanmeldung bis zur Eheschließung – es gibt kaum einen Bereich, in dem die Kläger*innen nicht damit konfrontiert sind, dass ihnen das Kreuz als quasi-staatliches Symbol demonstrativ vorgehalten wird."
Auch über die Absichten der bayerischen Staatsregierung äußerte sich das VG am 27. Mai 2020 klar und deutlich. Der mit dem "Kreuzerlass" erfolgte Zweck sei "gezielt darauf gerichtet, jeden Behördenbesucher mit dem Kreuz zu konfrontieren, müssen doch die Kreuze gut sichtbar im Eingangsbereich angebracht werden. Der Beklagte vermittelt durch seine Regelung, dass er vom Kreuz geprägt ist und führt dies zielgerichtet dem Bürger 'vor Augen'. Er legt es gezielt darauf an, dass die Bürger beim Betreten der Behörde ums Kreuz 'nicht herumkommen'."
Insbesondere sind auch der Bund für Geistesfreiheit München und Bayern sowie deren Mitglieder vom "Kreuzerlass" betroffen, "weil das Kreuz als das zentrale Symbol der christlichen Religionsgemeinschaften den Kennzeichen und Symbolen anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vorgezogen und in demonstrativer Weise schon im Eingangsbereich präsentiert wird. Als religionskritische Weltanschauungsgemeinschaft sehen wir uns hier nicht nur einer Ungleichbehandlung ausgesetzt, sondern auch einer Herabsetzung der eigenen Weltanschauung durch die Bevorzugung der christlichen Religion, obwohl wir als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Religionsgemeinschaften juristisch gleichgestellt sind", stellt Tammelleo fest.
Das Grundgesetz hat aber durch Artikel 140 "dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität" auferlegt, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1965 feststellte. Der Kreuzerlass und die Anbringung der Kreuze im Eingangsbereich der bayerischen Behörden verletzt dieses Neutralitätsgebot aus Sicht des Bundes für Geistesfreiheit. "Denn das Kreuz ist nicht 'Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns', wie es im Kreuzerlass steht, sondern es ist ein 'religiöses Symbol des Christentums', wie das VG richtig feststellt", so Tammelleo.
Tammelleo zeigt sich, obwohl die Klage vom VG abgewiesen worden ist, angesichts der Beschlüsse beziehungsweise Stellungnahmen des VG hoffnungsfroh: "Dass das Verwaltungsgericht München inhaltlich in weiten Teilen unserer Argumentation gefolgt ist, stimmt uns alle sehr zuversichtlich. Jetzt erwarten wir, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Berufungsverfahren einen Verstoß gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit feststellt und Ministerpräsident Markus Söder und die bayerische Staatsregierung verpflichtet, die Kreuzpflicht in Bayern wieder zurückzunehmen. Andernfalls werden wir die Klage gegen den Kreuzerlass bis zum Bundesverfassungsgericht fortführen."
Der Prozess vor dem VGH beginnt im Verwaltungsgericht München, Sitzungssaal 5, Bayerstr. 30, 80335 München am 25. Mai 2022 um 13.30 Uhr.