Anlässlich des heutigen Weltsuizidpräventionstags macht der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) (kurz: Dignitas-Deutschland) darauf aufmerksam, dass, um Suizide zu reduzieren, zunächst Suizidversuche vermieden werden müssten.
Was Menschen mit Suizidüberlegungen tatsächlich brauchen, sind umfassende, für ihre Situation relevante Informationen als Entscheidungsgrundlage zur Planung ihres weiteren Lebens bis ans Lebensende. Denn wer viele Handlungsoptionen kennt, kann eine bessere Wahl treffen. So sollten nebst verbleibenden Therapieoptionen auch palliative Möglichkeiten bekannt sein. Viele Mitglieder von Dignitas-Deutschland, denen nach sorgfältiger Prüfung eine Freitodbegleitung zugesagt wurde, machen von selbiger gar keinen Gebrauch. Die Gewissheit, dass einem am Ende geholfen wird, entfaltet einen erheblichen präventiven Charakter.
Dem jährlichen internationalen Erinnerungstag an das Erfordernis einer verantwortungsbewussten Suizidprävention am 10. September kommt in diesen Zeiten in Deutschland eine besondere Bedeutung zu, da die Thematik der Suizidhilfe in einiger Bewegung ist.
Einschränkungen der Selbstbestimmung sind der Suizidversuchsprävention abträglich
Seit der Verkündung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 26. Februar 2020 sind in der öffentlichen Berichterstattung Stimmen zu vernehmen, die neuerliche Einschränkungen und Erschwernisse der Selbstbestimmung am Lebensende für angemessen halten und einfordern. Den liberalen Befürwortern von Suizidhilfe, die das Erfordernis nach Forschung zur Thematik anmahnen, wird nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil. Der Resonanzboden für überstürzte Regulierungsentschlossenheit scheint ungleich größer.
Ohne Suizidversuchsprävention ist Suizidprävention unvollständig
Suizidprävention als Schutzkonzept für Menschen ist nicht komplett, ohne dass auch für Suizidversuchsprävention hinreichend gesorgt ist. Suizidversuchsprävention sorgt sich darum, riskante oder unüberlegte Suizidversuche zu vermeiden, indem Betroffenen andere Möglichkeiten angeboten werden. Nur durch eine ergebnisoffene Beratung mit zusätzlichen Informationen zur Verbesserung ihrer Entscheidungsgrundlage haben Betroffene eine Wahl und sehen von unüberlegten Suizidversuchen ab. Ein Wissen darum, professionalisierte Suizidhilfe in geordnetem und schützendem Rahmen bekommen zu können, wenn man sie benötigt, gibt Menschen die Kontrollgewissheit zurück, die mancher verloren glaubt, der in Verzweiflung und Überhastung einen gefährlichen Suizidversuch unternimmt. Einen Suizidversuch, der auch für weitere Personen Gefahr für Leib und Leben mit sich bringen kann, oder psychische Traumatisierung wie etwa bei Lokführern und Polizisten, die einen Schienensuizid mit ansehen oder aufräumen mussten.
Kontrollgewissheit bringt somit indirekt effektiv Suizidpräventive mit sich, so dass Suizidversuchsprävention automatisch auch Suizide reduziert. Es ist verständlich, wenn es manch einem auf den ersten Blick paradox erscheint, dass ausgerechtet ein Suizidhilfeangebot Suizide reduziert. Inakzeptabel ist es dennoch, wenn Anstrengungen unternommen werden, Suizidhilfe zu erschweren, ohne Effekte und Konsequenzen erforscht zu haben. Ohne wissenschaftliche Fundierung muss stets auch damit gerechnet werden, dass neue Gesetze ganz anderes Verhalten bewirken, auch unerfreuliches, als Gesetzgeber intendiert hatten. Gesetzgebung ohne hinreichende vorausgehende Wissenschaft ist insoweit fahrlässig.
Überregulierung, Fehleinschätzungen, Heuchelei
Es mag rein ideologische Intentionen geben, die Hürden und Verbote aufgestellt wissen wollen. Etwa Religiosität in dieser oder jener Ausrichtung. Vielen selbstbewussten Äußerungen, die Regulierung fordern, scheinen aber auch einfach Irrtümer und Fehleinschätzungen zugrunde zu liegen. Wer sich nicht heuchlerisch und scheinheilig, sondern aufrichtig um Leid und Elend sorgt, der sollte sich zunächst ein Bild des entsetzlichen Geschehens im Bereich der Suizidversuche machen, bevor er professionalisierte Suizidhilfe überreguliert. Überregulierung passiert schneller, als mancher denkt, und schlägt direkt auf Leiden und Leben durch. "Nächstenliebe", die ja von den meisten Weltanschauungen und Moralen für sich reklamiert wird, die diese Bezeichnung verdient, schaut nicht weg, sondern sieht sich das Leiden der Betroffenen an und achtet die Würde jedes Einzelnen, indem sie Menschen in ihrer schwierigsten Lebensphase nicht alleine lässt.
Darauf ohne Unterlass hinzuweisen, entspricht dem Selbstverständnis Dignitas-Deutschlands als Menschenrechtsorganisation. Auch und insbesondere am diesjährigen 10. September, dem Weltsuizidpräventionstag. Der Weg zu effektiver Suizidprävention führt über Suizidversuchsprävention.