Ob Menschen andere bestechen oder versuchen, sie zu bestechen, hängt davon ab, aus welchem Land das Gegenüber kommt. Die eigene Nationalität spielt hingegen nur eine nachgelagerte Rolle. Das zeigt ein großangelegtes Experiment von Forschenden der Universität zu Köln, der Universität Amsterdam und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin.
Korruption verursacht nicht nur materielle Schäden, sondern untergräbt auch das Fundament einer Gesellschaft. Bisher konzentrierte sich die Verhaltensforschung vor allem auf die Korruption innerhalb einzelner Länder. Doch mit zunehmender Globalisierung interagieren immer mehr Menschen über Ländergrenzen hinweg. Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen ist, hat Korruption in einer hochkontrollierten, internationalen Umgebung untersucht. Dazu nahmen in der Hauptstudie mehr als 5500 Menschen aus 18 Ländern online an einem Bestechungsspiel teil. Sie schlüpften mit ihrer jeweiligen Nationalität in die Rollen von Bürgerinnen und Bürgern bzw. von Beamtinnen und Beamten. In der Bürgerrolle mussten sie entscheiden, ob sie eine Lizenz teuer auf offiziellem Wege kaufen oder die zuständigen Beamten bestechen, um die Lizenz günstiger zu erhalten und um am Ende des Experiments mehr Geld ausgezahlt zu bekommen. Die Testpersonen in der Beamtenrolle konnten das Bestechungsgeld entweder annehmen oder ablehnen. Insgesamt ging es auch darum, dass es der Gesellschaft schadet, Bestechungsgeld anzubieten oder anzunehmen: Jedes Mal wenn zwei Teilnehmende sich auf eine Schmiergeldzahlung einigten, hatte dies Kosten für die Gesellschaft. In der Studie wurde dann weniger Geld an eine weltweit tätige Nichtregierungsorganisation gespendet, die sich für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzt.
Insgesamt mussten die Testpersonen 18 Mal entscheiden, ob sie bestechen – einmal für jede Nation in der Stichprobe. Anschließend sollten sie schätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Beamtinnen und Beamten das Bestechungsgeld annehmen. Bei einer weitgehend zutreffenden Einschätzung bekamen sie einen Bonus ausgezahlt. In einem weiteren Schritt tauschten die Teilnehmenden die Rollen.
Das Ergebnis: Testpersonen aus allen Nationen boten den Beamtinnen und Beamten aus Ländern, die als korrupt gelten, überdurchschnittlich viel Bestechungsgelder an. Indische Beamtinnen und Beamten bekamen zum Beispiel fast doppelt so oft Bestechungsgelder angeboten wie kanadische. "Unsere Studie zeigt, dass die Nationalität der Interaktionspartner und die damit verbundenen Erwartungen einen größeren Einfluss auf das Anbieten von Bestechungsgeldern haben als die eigene Nationalität", sagt Bernd Irlenbusch, Professor für Unternehmensentwicklung und Wirtschaftsethik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied des Exzellenzclusters ECONtribute, das zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft forscht.
Allerdings über-, beziehungsweise unterschätzten die Teilnehmenden die Annahmequoten: Beamtinnen aus Ländern mit dem Ruf, korrupt zu sein, ließen sich seltener auf die Bestechungsversuche ein, als die Teilnehmenden erwarteten. Gleichzeitig unterschätzten sie, wie häufig Beamtinnen und Beamten aus Ländern, die keinen korrupten Ruf haben, das Geld annahmen. So erwarteten die Teilnehmenden im Schnitt zum Beispiel, dass 42 Prozent der US-amerikanischen Mitspielenden in ihrer Rolle als Beamten Bestechungsgelder annehmen würden, während diese tatsächlich in 56 Prozent der Fälle bestechlich waren. Unter russischen Beamtinnen und Beamten im Spiel lag die Annahmequote mit 33 Prozent deutlich unter dem geschätzten Wert von 47 Prozent.
Die Ergebnisse zeigen ein grundsätzliches Muster menschlichen Verhaltens: "Menschen machen ihr Verhalten häufig davon abhängig, wie sie erwarten, dass es bei anderen üblich ist", sagt Irlenbusch. Um Korruption international zu bekämpfen, sei es sinnvoll, Vorurteile über die Bestechlichkeit bestimmter Nationen abzubauen.
"Wir brauchen mehr Bewusstsein dafür, dass selbst Menschen aus vermeintlich korruptionsfreien Kulturen bereitwillig Schmiergelder anbieten, wenn sie glauben, dass ihr Gegenüber sie annimmt. Das Korruptionsgeschehen ist also deutlich dynamischer als die alte Annahme, dass manche Kulturen korrupt sind und andere nicht", ergänzt Nils Köbis, korrespondierender Autor der Studie und Senior Researcher am Forschungsbereich Mensch und Maschine des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Er forscht zu Korruption, (un-)ethischem Verhalten und sozialen Normen. "Aufklärung über solche falschen Stereotype kann also zur Korruptionsreduktion beitragen. In anderen Studien finden wir, dass Informationen über das nicht- korrupte Verhalten anderer, Menschen dazu bewegen können, sich selbst weniger korrupt zu verhalten", so Köbis weiter. (mpg)