TRIER. (hpd) Thomas Junker, Professor für Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen, referierte an der Trierer Universität über „Homosexualität im Lichte der Evolution“ und widmete sich den Fragen, ob Homosexualität widernatürlich oder natürlich ist, in welchem Zusammenhang Fortpflanzung und Sexualität stehen sowie welche Relevanz der Naturbegriff überhaupt in diesem Zusammenhang hat.
Das Schwulenreferat des Asta hatte im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe Homosella das GBS-Beiratsmitglied zum Vortrag geladen – mit großem Erfolg, denn der Seminarraum war gefüllt bis in die hinterste Ecke, das Publikum lauschte gebannt den Ausführungen Junkers.
Unterschiedliche Einstellungen je nach Epoche
Homosexualität aus der Biologie heraus erklären zu wollen, sei noch vor einiger Zeit als Biologismus verschrien worden, begann Junker seinen Vortrag. Die Idee, dass Homosexualität nicht natürlich sei, sei auch heute noch extrem weit verbreitet. Er habe während der Vorbereitung auf den Vortrag darüber nachgedacht, ob ihm neben den Politikern Wowereit und Westerwelle auch ein bekennend schwuler Wirtschaftsboss einfalle, doch sei ihm dies nicht geglückt.
Zurückzuführen sei diese Zurückhaltung vermutlich auf christliche Traditionen und Junker verweist auf den Katechismus der katholischen Kirche, nach dem homosexuelle Handlungen angeblich gegen das Gesetz verstießen, da Sexualität allein der Weitergabe des Lebens beim Geschlechtsakt dienen solle. Diese Haltung habe sich zum Teil auch in der Verhaltensforschung niedergeschlagen. Irenäus Eibl-Eibesfeldt zum Beispiel sah Homosexualität als „Perversion“, die das Geschlechtsleben betrifft. Anders bewertete dies jedoch Marquis de Sade, der 1795 den Standpunkt vertrat, jede Neigung sei von der Natur eingegeben. Deshalb ein unglückliches Individuum zum Tode zu verurteilen, sah de Sade als „Barbarei, ein Wahnsinn“.
Immer wieder zeigte Junker in seiner Präsentation Bilder bekannter homosexueller Männer, wie Achilles und Patroklos, Alexander den Großen, Leonard Bernstein oder Klaus Mann und verwies darauf, dass sich der Umgang mit Homosexualität grundlegend geändert habe: In der Antike seien Homosexuelle stolze Angehörige der Krieger-Kaste gewesen, heute müssten sich ebendiese verstecken.
Evolutionsbiologische Perspektiven
Biologische Thesen zur Entstehung von Homosexualität sehen vorgeburtliche hormonelle Einflüsse, Lernerfahrungen oder Prägungen – die berüchtigte „Verführungstheorie“ –, wie auch genetische Dispositionen als Ursachen. So scheinen tatsächlich genetische Effekte die sexuelle Orientierung bei Männern zu 34-39 Prozent zu erklären (bei Frauen sind dies nur 18-19 Prozent), der Rest ließe sich auf Umwelteinflüsse zurückführen.
Um die evolutionsbiologische Forschung auf den Punkt zu bringen, stellte Thomas Junker drei Fragen:
- Wie eng ist die Verbindung von Sexualität und Fortpflanzung, d.h. gibt es
a) Fortpflanzung ohne Sexualität (ja: bei Pflanzen und Bettwanzen) und
b) warum gibt es Sexualität ohne Fortpflanzung? - Unter welchen Bedingungen ist Homosexualität eine biologische Anpassung?
- Ist natürliches Verhalten notwendigerweise gut und erstrebenswert?
Der „Darwinsche Imperativ“ besagt, dass der Zweck der Lebewesen in der Fortpflanzung besteht, da es ohne Fortpflanzung kein Leben gäbe. Daneben stellte Junker Darwins „Nützlichkeitstheorie“ vor, nach der jede Einzelheit in der Struktur eines Lebewesens für einen Vorfahren einen besonderen Nutzen hatte. Worin besteht also der biologische Nutzen von Homosexualität? Sie könnte, so Junker, ein (nachteiliger) Nebeneffekt eines nützlichen Merkmals sein oder aber selbst nützlich sein, das heißt, Homosexualität könnte den Fortpflanzungserfolg der Individuen erhöhen.
Aus biologischer Sicht ist die persönliche Fortpflanzung weniger wichtig als es die effektive Verbreitung der Gene ist. Eine Alternative besteht in der reproduktiven Arbeitsteilung, wie man sie bei Bienen und Ameisen findet – letztere stellen eine der größten lebenden Biomassen. Bei diesen Insekten reproduziert sich eine Königin, Hunderttausende bis Millionen der mit ihr verwandten Arbeiterinnen sind steril. Dabei spiele die „kin selection“, die Verwandtenselektion, eine wichtige Rolle, da die eigenen Gene auch in den Verwandten Nichten, Neffen und Enkelkindern anteilig vorhanden und daher unterstützenswert sind. So dass sich, so Junker, zwei unterschiedliche Strategien entwickelt hätten: die direkte Fortpflanzung und die indirekte Fortpflanzung. Bei Säugetieren findet sich die indirekte Fortpflanzung etwa bei den Nacktmullen – und bei den Menschen.