Queers for Palestine (Teil 2)

Flirt mit dem islamischen Patriarchat

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Radical Queer March, Berlin (2019)
Radical Queer March

Der "Internationalist Queer Pride of Liberation", Berlins sogenannter alternativer CSD, war am letzten Samstag im Juli dieses Jahres wieder einmal eine mustergültige Manifestation der Queers for Palestine. Rund 10.000 Teilnehmer verkörperten die antagonistische Koexistenz von ungezügelten Queeraktivisten und patriarchaler islamischer Sexualmoral – sichtbar im Mitlaufen einer klar muslimisch geprägten, propalästinensischen Szene: Maskulinistisch auftretende Männer und zahlreiche strikt verschleierte Frauen. Neben Solidaritätsbekundungen mit der Hamas und Mordaufrufen wie "Death to the IDF" soll auch die Fahne des Geschlechterapartheid-Regimes Iran geschwenkt worden sein. Wie passt das zusammen?

Verbindend sind antiwestliche Ressentiments, Israelfeindschaft und ein Postkolonialismus, der Muslime zum Ersatzproletariat stilisiert. Auch im angeblich progressiven Sexualitätsverständnis einer Genderlinken liegen Tücken, die es für das islamische Patriarchat anschlussfähig machen.

Das offenkundig Paradoxe: Wären die Queers for Palestine tatsächlich solidarisch mit den Palästinensern, müssten sie die Hamas klar ablehnen. Denn queere Menschen würden im Gazastreifen, wo militanter Islam und archaische Stammeskultur vorherrschen, keinen Tag ungestraft überleben. Wären sie wirklich LGBTQ-freundlich, müssten sie Israel als einzigen sicheren Hafen für queere Menschen im Nahen Osten unterstützen.

Zu Recht sprechen viele Kritiker von einem Stockholm-Syndrom à la "Chicken for KFC". Doch mit dieser Pathologisierung entledigt man sich meist einer tieferen Auseinandersetzung.

Comeback des Reaktionären im Gewand des Progressiven

Die genannten Vordenkerinnen Butler, Davis und Puar sagen also unmissverständlich, was sie dem islamistischen Terror abgewinnen können. Doch: Nicht jeder Queers for Palestine-Aktivist kennt ihre Texte. Es sind darüber hinaus etliche eingesickerte Selbstgewissheiten des Genderparadigmas und der Transideologie, die einem rigiden Islam – bewusst oder unbewusst – die Hand reichen.

Den Anfang macht eine Schiefheilung durch Begriffe wie "Genderidentität" oder "nonbinary": Queere Menschen argumentieren meist ex negativo, dass sie sich "nie ganz als Frau" oder "als Mann" definiert haben. Damit begründen sie ihre Abweichung von der jeweiligen Geschlechtsidentität oder untermauern ihre Hinwendung zu dieser im Sinne einer Transition zum Transmann oder zur Transfrau. Suggeriert wird somit, dass sogenannte Cis-Frauen oder Cis-Männer immer und zu jeder Zeit eine vollständige Einheit von innerer, äußerer, sozialer und biologischer Geschlechtlichkeit erleben. "Jahrhunderte der Familienzwänge, der Zwangsheirat, der erzwungenen Schwangerschaft, der Verbannung in die Küche, also Jahrhunderte der Passivierung, [entsprächen; Anm. d. A.] eigentlich bruchlos der Identität dieser Frauen", so die Politikwissenschaftlerin Chantalle El Helou.1 Wenn queere Menschen sich darüber hinaus als non-binär empfinden, impliziert dies folglich, dass die äußeren Pole "binär Mann" und "binär Frau" grundsätzlich als starr, eindeutig und traditionell zementiert gelten. Mit der Forderung nach kongruenter "Identität" verfestigt sich ein reaktionäres Geschlechterbild, das traditionelle Rollenmuster nicht aufbricht, sondern subtil stützt und konserviert. Die inneren Nuancen von Geschlechtlichkeit werden somit negiert.

Verdrängung der Frau

Besonders gravierend ist die queerfeministische "Entkörperung", die Geschlechterfragen zunehmend von biologischen Gegebenheiten entkoppelt. In radikaler Form nivelliert Gender das biologische Geschlecht vollständig und reduziert Geschlechtlichkeit auf eine reine Sozialkonstruktion. Dabei wird übersehen, dass viele geschlechtsspezifische Benachteiligungen – etwa weibliche Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Doppelbelastung oder Wettbewerbsnachteile im Sport – gerade aus der biologischen Differenz heraus resultieren.

In extremen Ausprägungen des Queerfeminismus geraten Homosexuelle zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Der Vorwurf: Ihr Begehren richte sich exklusiv auf bestimmte primäre Geschlechtsmerkmale – sofern diese aus queerfeministischer Sicht überhaupt existieren. "TERFS can suck my trans dick", wie auf einem Plakat des Berliner CSD 2023 zu lesen war, markiert den Gipfel von Homophobie und Vergewaltigungsandrohung unter der Maskerade des Queerfeminismus. Die Aussage "sex matters" würde Judith Butler nicht unterschreiben. Sie konstatiert: "Die Begriffe Mann und männlich können (...) ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich"2. Diese Perspektive blendet den objektbezogenen Charakter sexueller Orientierung aus – besonders problematisch für Homosexuelle, die lange für ihr gleichgeschlechtliches Begehren kämpfen mussten.

Verschwindet das politische Subjekt "Frau" als Anachronismus, droht auch der Verlust seiner Errungenschaften. Manifestationen wie Unisex-Toiletten, Akronyme wie FLINTA3 oder die Zulassung biologischer Männer im Frauensport zeigen eine Verdrängung von Frauen im Namen der "kulturellen Aneignung" des "Frau-Seins"4. Bemerkenswert ist, dass Transfrauen zunehmend Zugang zu geschützten Räumen wie Frauengefängnissen oder Damensaunen erhalten – ein Vorgang, der als Fortschreibung männlicher Raumnahme im progressiven Gewand kritisiert wird. Das Brustbügeln – eine "harmful traditional practice" aus West- und Zentralafrika – und das Binding, heute Teil mancher weiblich-männlicher Transition, eint die Feindseligkeit gegenüber dem weiblichen Körper und das Kaschieren seiner Silhouetten.

Homophobie unter der Transflagge

Der Kurzschluss, Sex und Gender gleichzusetzen, eröffnet Räume für folgenschwere Phänomene wie "transing gays" oder "transing kids with identity crises". Der Jugendpsychiater Alexander Korte sieht im Transaktivismus gar ein Präventionsprogramm gegen Homosexualität. Transitionen von maskulin wirkenden Lesben zu Transmännern oder feminin wirkenden Schwulen zu Transfrauen reihen diese wieder in die heteronormative Matrix ein. Alice Schwarzer verweist außerdem auf Studien, wonach mehr Mädchen als Jungen den Eindruck haben, "im falschen Körper" zu leben und geschlechtsangleichende Operationen anstreben. Ohne Diagnose von Geschlechtsdysphorie und vor Abschluss der Adoleszenz kann die Option "Trans" unangepassten Mädchen vorschnell suggerieren: "Ihr braucht nur den Körper, der zu eurem seelischen Befinden passt."5

Transitionen von maskulin wirkenden Lesben zu Transmännern oder feminin wirkenden Schwulen zu Transfrauen reihen diese wieder in die heteronormative Matrix ein. (...) In islamischen Gesellschaften stehen diese Praktiken oft nicht für Anerkennung von Transidentität, sondern für Homophobie und rigide Geschlechtertrennung.

Solche Prozesse ähneln Trans-Erscheinungen in patriarchalen Kulturen Asiens, Europas, Afrikas und Ozeaniens. Susanne Schröter nennt Beispiele wie "xanith im Oman, hijras in Indien und Pakistan, kathoey in Thailand, mahu auf Tahiti, fa'afafine auf Samoa, tobelija in Albanien, igba ohu in Nigeria, travestis in Brasilien oder nadleehe bei den Zuni". Ergänzen lässt sich die Islamische Republik Iran, die geschlechtsangleichende Operationen gezielt fördert. In islamischen Gesellschaften stehen diese Praktiken oft nicht für Anerkennung von Transidentität, sondern für Homophobie und rigide Geschlechtertrennung. Schröter resümiert, die Transition biete dort einen Ausweg aus homophober Verfolgung – teils die einzige Möglichkeit, mit dem Partner oder der Partnerin zusammenzuleben – und diene letztlich der Stabilisierung heterosexueller Konformität.6

Befreiung von der Sexualität statt sexueller Befreiung

Eine Schlüsselrolle in dem Verhältnis des (Queer-)Feminismus zum Islam spielt auch die Verklärung des Kopftuchs zum feministischen Symbol und zur "empowernden Praxis". Der vermeintliche Exotinnenstatus sogenannter Hijabis wird von postkolonial gestimmten Queerfeministinnen als besondere Diversität gefeiert und die Abkehr von Schönheitsidealen als Akt feministischer Befreiung gehandelt. Statt sexueller Befreiung findet eine Befreiung von der Sexualität statt. Um den Anforderungen des Sexus im Selbstverwirklichungswettbewerb zu entfliehen, begnügen sich sogenannte islamische Feministinnen mit der "Freiheit unter dem Schleier" – frei nach Khola Maryam Hübsch (2014).

Ayaan Hirsi Ali (2022) erkennt in Islamismus und Transaktivismus die größten Bedrohungen für Frauen im Westen, da beide auf die Eliminierung des Weiblichen abzielen. Chantalle El Helou attestiert dem "Queersexismus" eine bewusste und unbewusste Absicht, emanzipationsfeindliche Vorstellungen von Sexualität zu stärken: Dreh- und Angelpunkt sei die mangelnde Toleranz von Queeraktivisten gegenüber sexueller Ambiguität, wo Identitätskritik zum repressiven "Identitäts-Hausarrest" geriert.

Unentwegt kritisiert etwa der Autor Magnus Klaue die kontraproduktive Wirkung von Maßnahmen gegen zunehmende Sexualverbrechen im öffentlichen Raum, bei denen muslimische Migranten überdurchschnittlich als Täter auftreten. Statt das Problem direkt anzugehen, werde mit Umgangsvorschriften, Symbolpolitik und Geschlechtertrennung reagiert. Dieser Antisexismus, so Klaue, gleiche sich der restriktiven islamischen Sexualmoral an. Er thematisiert sogenannte Awareness-Teams, die prinzipiell jede Annäherung zwischen den Geschlechtern reglementieren können sowie einen queerfeministischen Empörungseifer, der die Zurschaustellung weiblicher Körper auf Werbetafeln pauschal mit dem "Sexismusvorwurf" attackiert. Dies könnte zu einer sakralisierten Wahrnehmung des weiblichen Körpers führen und einen neuen Puritanismus einläuten, der an islamische Verhältnisse erinnert.7 In dasselbe Muster fallen weit geschnittene "Subway-Shirts" für Frauen als Schutz vor sexueller Belästigung sowie die Einrichtung von Frauenabteilen in U-Bahnen als Reaktion auf den Anstieg von Sexualdelikten im ÖPNV – letzteres ein Vorschlag der Berliner Grünen im November 2024.

Verrat an Frauen, Juden und Homosexuellen

Als nach dem 7. Oktober 2023 Berichte über die sexualisierte Gewalt der Hamas und die Verfolgung queerer Palästinenser in Gaza zunehmend publik wurden, konfrontierten Kommentatoren die queere Palästina-Solidaritätsszene mit zynischen "Chicken-for-KFC"-Memes. Dass ausgerechnet progressive Gender-Theorien mit der reaktionären Sexualmoral islamistischer Regime sympathisieren, ist kein Zufall. Beide eint ein autoritäres Bedürfnis nach geschlechtlicher "Eindeutigkeit", die Aushöhlung von Frauenrechten zugunsten identitätspolitischer Dogmen und ein tiefsitzendes Unbehagen gegenüber Homosexualität.

Provokant gefragt: Warum auch Homosexuelle in den Palästinensergebieten unterstützen, wenn Homosexualität ohnehin nur eine westliche Erfindung ist? Warum Solidarität mit misshandelten israelischen Frauen zeigen, wenn man bereits Schwierigkeiten hat, überhaupt zu definieren, was eine Frau ist, und es sich beim 7. Oktober entweder um eine Propagandalüge oder schlicht um "legitimen Widerstand" handeln soll?

In Teil 1 erklärte hpd-Autor Moritz Pieczewski-Freimuth, wie Judith Butlers Pseudo-Identitätskritik, Angela Davis' Intersektionalitätsansatz und Jasbir K. Puars Fantasien von Pinkwashing und Homonationalismus zwangsläufig in Israelhass und Hamas-Sympathie münden.

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1 El Helou, C. (2023): Vom Queersexismus zur Emanzipation: ein Lagebericht mit Auswegen. Deutschland: Querverlag.

2 Butler, J. (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp.

3Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-binäre Menschen, Trans Personen, A-Gender-Personen

4 Louis, C. (2022): Das Verschwinden der Frauen. In: Schwarzer, A., & Louis, C. (2022). Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift. Kiepenheuer & Witsch.

5 Schwarzer, A., & Louis, C. (2022): Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift. Kiepenheuer & Witsch. 

6 Schröter, S. (2022): Transgender in anderen Kulturen. In: Schwarzer, A., & Louis, C. (2022). Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift. Kiepenheuer & Witsch. 

7 Klaue, M. (2017): Die Antiquiertheit des Sexus – Bd. I. XS-Verlag.