Über das neue Buch von Yascha Mounk

Einwände gegen die Identitätssynthese

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Die Gefahren der Identitätspolitik thematisiert Yascha Mounk in seinem neuen Werk: "Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee". Der deutsche Politikwissenschaftler, der in den USA lehrt, betont dortige bedenkliche Tendenzen, aber aus einer liberalen Blickrichtung, nicht als schlichter Reaktionär.

Bekanntlich schwappt auch nach Deutschland eine Identitätswelle hinüber, gibt es doch hier ebenfalls Debatten über die Diskriminierung unterschiedlicher Minderheiten. Die Anhänger des gemeinten Denkens leiten daraus eine verstärkte Gruppenseparierung mit Identitätsfixierung ab, nicht ein auf die Individuen bezogenes universalistisches Menschenrechtsverständnis.

Mittlerweile erschienen zu den damit einhergehenden Gefahren einige kritische Monographien, ein besonderes Buch zum Thema kommt jetzt aus den USA. Geschrieben hat es Yascha Mounk, ein in Deutschland 1982 geborener Politikwissenschaftler, der an der John Hopkins-Universität in Baltimore in den USA lehrt. Seit 2023 gehört er auch zum Herausgeberrat der Wochenzeitung Die Zeit. Insofern ging die Beziehung zur deutschen Gesellschaft und Politik nicht verloren. Sein Buch "Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee" ist allerdings von den Erfahrungen in den USA geprägt und erschien in seiner Originalausgabe ebendort in englischer Sprache.

Cover

Darin bildet "Identitätssynthese" den entscheidenden Terminus. Gemeint ist damit eine Denkungsart, die von drei Positionen geprägt ist. Als entscheidend für Erkenntnisprozesse zur Gesellschaft gelten die jeweiligen Gruppenidentitäten, definiert über "Gender" oder "Race". Dadurch erkenne man den mangelnden Nutzen universeller Wertvorstellungen, bestätigten diese doch nur die Dominanz über marginalisierte Gruppen durch privilegierte Gruppen. Und entscheidend für das eigene Engagement sei eben die Herkunft aus einer besonderen Identitätsgruppe. Die ideengeschichtliche Entwicklung bildet dann bei Mounk den ersten Schwerpunkt: Er blickt auf postmoderne Denker aus Frankreich bis hin zur "Critical Race Theory" in den USA. Anschließend beschreibt der Autor bezüglich des "Identitätssyndroms" dessen Siegeszug, fanden einschlägige Auffassungen doch nicht nur an US-amerikanischen Hochschulen weite Verbreitung. Auch Großkonzerne nutzen Identitätsinhalte für ihre jeweiligen Vermarktungsstrategien.

Bis in die Buchmitte hinein vermisst der Leser dabei die kritische Reflexion, welche Mounk dann in einem ausführlichen Kapitel nachholt. Ganz unterschiedliche Gesichtspunkte führt er dabei an, jeweils aus einer liberalen Perspektive. Denn es kann durchaus von einer Einschränkung der individuellen Freiheit durch die Fixierung auf Gruppenidentität erfolgen. Ein ganzes Kapitel ist etwa der Meinungsfreiheit gewidmet, welche Mounk angesichts der beschriebenen Entwicklung im legitimierenden Sinne thematisiert. Er spricht auch von den "Freuden gegenseitiger Beeinflussung", bezogen auf die Aversion gegenüber der "kulturellen Aneignung". Abschließend formuliert der Autor eine Antwort auf die Identitätssynthese, die er im Liberalismus und Universalismus sieht. Für die konkrete Auseinandersetzung mit dem gemeinten Denken liefert er sechs wichtige Grundprinzipien, welche auf mehr Fairness und Verständnis setzen. Der letzte Gesichtspunkt enthält auch eine Warnung: "… aber nicht zum Reaktionär werden".

Das Buch umfasst knapp über 500 Druckseiten. Mit dem bilanzierenden Blick darauf lässt sich sagen: Einiges hätte wegfallen können, anderes fehlt. Zum erstgenannten Gesichtspunkt: Der Autor arbeitet gelegentlich mit Beschreibungen einzelner Fälle, welche die abstrakte Argumentation auflockern mögen, aber mitunter doch nicht so sehr in der Sache weiterbringen. Dafür hätten einige bedenkliche Aspekte der Identitätspolitik noch stärker betont werden können, etwa die Abkehr von Aufklärung und Rechtstaatsprinzip in der "Critical Race Theory". Immer wieder macht der Autor die "progressive Linke" für die entsprechenden Tendenzen verantwortlich, wozu man sich mehr Differenzierung und Information gewünscht hätte.

Besonders leserfreundlich sind die am Ende jeden Kapitels vorgenommenen Zusammenfassungen. Die deutschsprachige Ausgabe enthält noch ein eigenes Vorwort. Darin fasst der Autor seine Einwände zusammen und betont ausdrücklich die Frontstellung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Einer Gesellschaft mit bloßen Gruppenidentitäten würde in der Tat der Zusammenhalt fehlen. Aufgrund solcher Irrläufer von links sollte man aber tatsächlich nicht zum Reaktionär werden.

Yascha Mounk, Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee, Stuttgart 2024, Klett-Cotta, 505 Seiten, 28 Euro (eBook 21,99 Euro). ISBN: 978-3-608-98699-0

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