(hpd) Im Mai 2007 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" eine Titelgeschichte mit der Überschrift „Der Kreuzzug der Gottlosen"
. Fair und informativ, aber auch oberflächlich und polemisch berichtete man darin über eine neue Generation von Skeptikern und Wissenschaftlern, welche die Welt von Religionen befreien wollten. Ihre Waffen seien Darwin, das Internet und das wachsende Unbehagen über die Einmischungen von Bischöfen und Islam-Predigern, Polit-Frömmlern und Kirchen. „Richard Dawkins", so der „Spiegel" über die Vertreter dieser Bewegung, „ist der Meisterdenker all jener, die es sich vorgenommen haben, die Welt endgültig vom Glauben zu befreien ..."
Der in Oxford lehrende Evolutionsbiologe gilt nach dem Votum der Leser der britischen Zeitschrift „Prospect" und dem US-Magazin „Foreign Policy" als einer der drei führenden Intellektuellen der Welt. Dawkins hatte mit „The Selfish Gene" (Das egoistische Gen, 1976) und „The Blind Wachmaker" (Der blinde Uhrmacher. Ein neues Plädoyer für den Darwinismus, 1986) einflussreich wirkende Bücher über die evolutionäre Entwicklung des Menschen und der Welt geschrieben. Die eingängige Darstellung in Verbindung mit provozierenden Zuspitzungen machten die Bücher zu Bestsellern, welche aber nicht unumstritten blieben und mitunter missverständlich wirkten.
2006 veröffentlichte Dawkins sein Buch „The God Delusion", das die zuvor nur in Form von Aufsätzen oder Vorträgen enthaltene Religionskritik des Autors in gebündelter Form enthielt. In Großbritannien und den USA stand es mehr als 30 Wochen auf den Bestsellerlisten. Mittlerweile liegt unter dem Titel „Der Gotteswahn" auch eine deutsche Übersetzung mit insgesamt 575 Seiten vor. Es dürfte sich damit schon jetzt um einen modernen Klassiker der atheistischen Religionskritik handeln. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass bereits fünf Gegenbücher zum Werk vorliegen. Die Kritik an ihm stammt aber nicht nur von Gläubigen, sondern auch von Atheisten. Dies hängt wohl teilweise damit zusammen, dass Dawkins bei seinen Lesereisen und Vorträgen wie ein Missionar auftritt. Auch wenn er es sicherlich anders meint, suggeriert der Evolutionsbiologe, Religionen allein seien verantwortlich für das Elend und die Probleme der Welt. Bereits im Vorwort bemerkt der Autor, er wolle „bewusstseinsbildend wirken - unser Bewusstsein schärfen, dass Atheist zu sein ein realistisches Ziel ist, noch dazu ein tapferes, großartiges Ziel" (S. 11).
„Der Gotteswahn" gliedert sich in zehn Kapitel: Zunächst wendet sich Dawkins gegen die gesellschaftliche Bevorzugung des Glaubens auch in der westlichen Welt, bestehe doch selbst dort ein unangemessener Respekt vor religiöser Identität und mangelnde Bereitschaft zum kritischen Umgang mit ihr. Dem folgen drei ausführliche Kapitel zu den Gottesbeweisen, die Dawkins im Sinne einer wissenschaftlichen Hypothese einer kritischen Prüfung aussetzt. Er geht dabei davon aus, dass die Beweislast für die Gottesexistenz bei den Gläubigen und nicht hinsichtlich des Gegenteils bei den Ungläubigen liege. Dem folgend setzt sich Dawkins mit den Argumenten für die Existenz Gottes von Thomas von Aquin bis in die Gegenwart aus einer formal-logischen Perspektive auseinander und veranschaulicht dann die Unwahrscheinlichkeit der Existenz eines solchen transzendenten Wesens. Hierbei bringt er die Ergebnisse der modernen Evolutionsforschung gegen solche Auffassungen in Stellung und bilanziert klar: „Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht" (S. 223).
Dawkins geht es aber nicht nur um eine Widerlegung derartiger Auffassungen, sondern auch um eine Erklärung für deren Akzeptanz durch so viele Menschen - noch dazu in aufgeklärten und säkularen Gesellschaften. Hierbei thematisiert er u.a. die unmittelbaren Vorteile der Religion im Evolutionsprozess des Menschen und verweist auf deren Funktion für die Vermittlung von Geborgenheit, Gemeinschaftsgefühl und Trost. Er betont aber auch, „dass solche nützlichen Effekte durchaus nicht den Wahrheitsgehalt der jeweiligen Religionen belegen" (S. 231). Selbst das Bestehen von Ethik und Moral bedürfe keiner Religion, hätten sich solche Normen des sozialen Miteinanders im Laufe der Evolution des Menschen doch unabhängig von konkreten Religionen entwickelt. Darüber hinaus enthielten Altes und Neues Testament mehr als nur problematische Vorgaben für die Gestaltung menschlichen Handelns.
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich dann mit den Gefahren der Religionen, welche in ihren fundamentalistischen Prinzipien verankert seien, der Indoktrinierung von Kindern mit einem Glauben, was Dawkins als seelische Misshandlung gilt, und dem mangelnden Nutzen für Inspiration und Trost von Religion, welche sie mit ihren geringen Wirkungen nicht wahrer mache. „Der Gotteswahn" endet mit einem Bekenntnis zur Lebensbejahung einer atheistischen Weltanschauung ohne Selbstmitleid, Selbsttäuschung und Wunschdenken.
Auch dieses Buch von Dawkins, das teilweise auf ein Projekt für das britische Fernsehen zurückgeht, ist wie die meisten seiner vorherigen Veröffentlichungen gut verständlich geschrieben und inhaltlich klar positioniert. Gerade dies dürfte mit seine hohe Verbreitung als „Überraschungsbestseller" erklären. Dawkins trägt seine Auffassungen je nach Sicht in lockerem Plauderton oder mit gewisser Schwatzhaftigkeit vor. Da fließen persönliche Erlebnisse aus der eigenen Kindheit oder dem späteren akademischen Leben in so hoher Zahl ein, dass man sich mitunter eine starke Reduzierung des Textes gewünscht hätte. Gerade dadurch gehen nämlich wichtige Aussagen des Autors in der Menge der Seiten unter. Dies gilt etwa für die richtige und wichtige Deutung, wonach der Nutzen der Religionen für Moral oder Trost real sein mag, aber kein Beleg für Richtigkeit und Wahrhaftigkeit der postulierten Gottesbeweise ist, liegen doch subjektive Empfindungen und objektives Sachverhalte auf unterschiedlichen Ebenen.
Neben diesen formalen Aspekten bedarf aber auch eine inhaltliche Seite einiger kritischer Anmerkungen. Die von Dawkins zu Recht eingeforderte Erklärung für das Entstehen von Religionen - etwa im Sinne einer kritischen Theorie für die Genesis des Glaubens - bleibt etwas blass und unterkomplex. Durchaus überzeugend verweist der Autor auf die unmittelbaren Vorteile der Religionen im Laufe des menschlichen Evolutionsprozesses, veranschaulicht gerade aber bei dem „Heimspiel" in seinem Fachgebiet nicht das dabei deutlich werdende Ineinandergreifen unterschiedlicher Aspekte. Gleichzeitig nimmt er hierbei die sozialwissenschaftliche Perspektive, die Religion als Erkenntnis-, Herrschafts-, Identitäts-, Integrations- und Orientierungsfaktor begreift, nicht näher zur Kenntnis. Allgemein bezieht sich Dawkins bei der kritischen Auseinandersetzung mit Religion all zu sehr auf Darwin und verengt damit den Blick auf die naturwissenschaftliche Dimension. Sicherlich lassen sich dabei bedeutende und innovative Erkenntnisse gewinnen, daraus sollte aber weder ein Kult um die Person Darwin noch ein einseitiges Verständnis der Evolutionsbiologie erwachsen, welche Teile des atheistischen und säkularen Spektrums prägen.
Einer kritischen Kommentierung bedarf auch die bereits im Vorwort vertretene Auffassung, eine Welt ohne Religion wäre wohl möglich eine Welt ohne Frauenunterdrückung und Kriege, Terror und Verfolgungen. Möglicherweise ließe sich das Ausmaß reduzieren, aber ansonsten dient doch Religion primär der Legitimation solcher Erscheinungsformen. Die eigentlichen Ursachen dürften an anderer Stelle zu suchen sein.
Diese wie die vorherigen kritischen Anmerkungen können und wollen nicht das Verdienst des Autors und den Wert des Buches mindern. Dawkins kann überzeugend die postulierten Gottesbeweise nach der kritischen Prüfung mittels vernünftigen Argumentierens widerlegen und auch den Monopolanspruch der Religionen auf die Begründung von Moral delegitimieren. Gerade darin besteht der aufklärerische Wert seines Buches, das durch die Popularität des Autors und des Verlages wohl möglich auch in Deutschland größere Beachtung findet. Bislang blieb die Wahrnehmung kritischer Positionen auf einen marginalen Teil der Gesellschaft beschränkt, mit Kritikern ging man alles andere als fair um. Vielleicht trägt „Der Gotteswahn" zu einer breiteren Debatte bei. Die im Namen der Religionen für eine offene und pluralistische Gesellschaft ausgehenden Gefahren sind nicht nur auf die islamische Variante begrenzt.
Armin Pfahl-Traughber
Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Berlin 2007, (Ullstein-Verlag), 575 S., 22,90 €
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.