BELGIEN. (hpd) Ende Juli wurde in Belgien ein Gesetz verabschiedet, das die Burka aus der Öffentlichkeit verbannen soll. Die Reaktionen darauf waren eher negativ, schnell war der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit bei der Hand. Doch in der Debatte blieben wesentliche Argumente bislang unberücksichtigt, meint Vera Wawrzyniak von der AG Frauenrechte und Religion bei TERRE DES FEMMES.
Im April 2011 trat in Frankreich ein Gesetz gegen das Tragen der Vollverschleierung in Kraft. Am 23. Juli 2011 hat nun auch Belgien das Tragen verboten. Bereits vor einem Jahr hat TERRE DES FEMMES in einer Erklärung zur Debatte um die Burka Stellung gegen die Vollverschleierung und das mit ihr einhergehende Menschenbild sowie den dahinter stehenden totalitären Gesellschaftsentwurf bezogen. Im Fall der Vollverschleierung bedeutet ein Verbot eine längst fällige Grenzsetzung gegenüber religiösem Fundamentalismus und stellt eine Unterstützung für diejenigen dar, die den Schleier nur dann ablehnen können, wenn sie sich auf die Gesetzgebung des Landes, in dem sie wohnen, beziehen können.
Leider scheint es fast schon ein Automatismus, dass die Kritik an der Vollverschleierung nicht als Widerstand gegen religiösen Fundamentalismus gesehen, sondern pauschal als „Ausländerfeindlichkeit“, „Intoleranz“ oder „Vorurteilsbeladenheit“ bezeichnet und abgetan wird. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates Hammarberg äußerte anlässlich des belgischen Verbots, dass dieses die betroffenen Frauen, die er allein als Opfer sieht, stigmatisiere, zu ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft beitrage, statt sie zu befreien. Das Verbot sei eine „Kapitulation vor den Vorurteilen der Fremdenhasser“. Die Anwältin zweier Vollverschleierung tragender Frauen, die nun gegen das Verbot vor das belgische Verfassungsgericht ziehen, nennt es gar einen „Frontalangriff auf die muslimische Welt“. DIE islamische Welt? Haben wir nicht gelernt DEN Islam, DIE muslimische Welt gibt es nicht? Wir sind bereit zu differenzieren: Hier geht es um die Ausübung von Religion, im besten Fall um eine auf demokratischen und aufklärerischen Grundsätzen basierende persönliche und spirituelle Beziehung zu selbstgewählten Göttern und Göttinnen, dort um Dogmen und Fundamentalismus, der auch die Menschenrechte als menschengemacht ablehnt.
Aber es stimmt schon: wie schön wäre es, wären die Burkaverbote wirklich reiner Ausdruck aufgeklärten demokratischen Denkens und würde dieses Stück Stoff allein deswegen abgelehnt, weil es als das wahrgenommen wird, was es ist: ein aus der Antike stammendes, überholtes Symbol sexistischer Gebote und überspitzte religiöse Tradition. Leider aber ist dieses Verbot sicher auch von Abendlandschützern und den Teilen der Rechten abgestimmt worden, die sich von „Überfremdung“ nicht „art-„ bzw. „volksgerechter“ Religion bedroht sehen, die aus christlich fundamentalistischem Milieu stammen, meinen märtyrerhaft gegen den Untergang des christlichen Abendlands, eine „Islamisierung“ Europas aufstehen, und. wie jüngst in Norwegen geschehen, mit Gewalt reagieren zu müssen. Sehr schnell wird man, kritisiert man den Islam, mit diesen in eine Schublade gesteckt, wird auf höchst vereinfachende und kurzsichtige Weise gedacht und argumentiert, wie die oben genannten Beispiele zeigen. Und ein weiterer Punkt, der kurzsichtig übersehen wird, ist, dass es nämlich nicht nur die sog. „Fremden“ sind, die MuslimInnen sind. Nicht wenige deutsche „Natives“ sind in den letzten Jahren zum Islam übergetreten, und sind überzeugte Trägerinnen der Verschleierung.
Zu Recht wird immer wieder beklagt, Minderheiten würden nicht gehört. Wobei Minderheiten, MigrantInnen, mittlerweile eins zu eins mit dem Islam gleichgesetzt werden, ohne dass auf die Vielfältigkeit der Lebensentwürfe von MigrantInnen tatsächlich Rücksicht genommen würde. Gehört werden religiöse Gruppen und Ämter, kirchliche BeraterInnen, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgen. Und nicht zuletzt ist es das von diesen religiösen Gruppen betriebene Lobbying, dem wir die analytische Schieflage zu verdanken haben, wer sich gegen die positive Religionsfreiheit (immerhin gibt es auch eine so gut wie nie erwähnte negative Religionsfreiheit) stellt, stelle sich gegen die Menschenrechte, stehe Rechts, sei der Demokratie nicht fähig (vergleiche die jüngsten Bemerkungen des Erzbischofs Zollitsch zum Besuch des katholischen Papstes im Bundestag [www.heise.de/tp/artikel/35/35120/1.html ]). Die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn genau diese positive Religionsfreiheit die Einschränkung der Menschenrechte mit sich bringt und den Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter verletzt, ist bisher nicht zufriedenstellend geklärt.