(hpd) Der Historiker und Holocaust-Überlebende Arno Lustiger erinnert in seinem Buch an die Rettungstaten Einzelner und von Gruppen. Damit liegt ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Zivilcourage auch in der Ära der NS-Diktatur vor, welcher an mitunter schon in Vergessenheit geratene andere Helden erinnert.
„Der Begriff ‚Widerstand’ wird meist auf Aktionen beschränkt, die auf die Beseitigung des Naziregimes gerichtet waren, aber auch die Rettung der Juden war aktiver und dazu oft erfolgreicher Widerstand. Deshalb ist es wichtig, über die fast unbekannten, unbesungenen Helden des deutschen Rettungswiderstandes zu forschen und zu berichten“ (S. 29). Diese Sätze formulierte der Historiker Arno Lustiger in seiner Rede im Bundestag am 27. Januar 2005 anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz, der weltweit als Holocaust-Gedenktag begangen wird. Der 1924 in Polen geborene Lustiger war selbst als Häftling in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald gewesen und hatte die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg dank solcher Retter überlebt. In seinem Buch „Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit“ erinnert er meist anhand von einzelnen Personen entsprechend seiner Forderung in der Bundestagsrede an solche wenige bekannte und viele unbekannte Helden auf Basis einer jahrzehntelangen Informationssammlung.
Bereits am Anfang macht Lustiger darauf aufmerksam, dass er zu Beginn seiner Recherchen nicht an ein Buch gedacht und somit auch nicht die Quellen seiner Notizen dokumentiert habe. Insofern kommen seine Ausführungen ohne einschlägige Nachweise aus. Außerdem bemerkt der Autor: „Wegen der Nähe des Themas zu meinen persönlichen Erlebnissen fällt es mir oft schwer, einen von meinem Lebenslauf unbeeinflussten Sachverhalt hundertprozentig objektiv darzustellen“ (S. 11). Nach einführenden Worten zur Bedeutung des Themas und zum Forschungsstand über den „Rettungswiderstand“ finden sich nach Ländern aufgeteilt Berichte über die Handlungen und Schicksale der unterschiedlichsten Retter, welche von einer Reihe von Gastautoren ergänzt werden. Bei der Darstellung der Personen will Lustiger keine Hierarchisierung vornehmen: „ ... was für mich zählt, ist die Bereitschaft der Retter, ihre und ihrer Angehörigen Freiheit, Gesundheit und Leben einzusetzen, um den ihnen manchmal unbekannten Menschen beizustehen und sie zu retten“ (S. 24).
Zu ihnen gehörten Analphabeten und Intellektuelle, Gräfinnen und Prostituierte, Politische und Unpolitische, Religiöse und Säkulare, Soldaten und Zivilisten. Mit Blick auf seine eigenen und andere Arbeiten bemerkt Lustiger: „Keinem der Forscher ist es gelungen, eine gemeinsame Persönlichkeitsstruktur aller Retter zu entdecken. Zu groß waren die Unterschiede der beteiligten Personen, der Länder, in denen sie lebten, und der sozialen Schichten, aus denen sie stammten. Gemeinsam ist ihnen allen: der Wille zu handeln, zu retten, und dabei mussten sie alle die Angst vor der schweren Drangsal im Falle der Entdeckung überwinden“ (S. 21). Bezogen auf Letzteres heißt es dann mit differenzierender Einschätzung noch weiter: „Für den Retter, der sich zum Handeln entschlossen hatte, veränderte sich ... das ganze Leben. Mit Blick auf den existenziellen Charakter eines solchen Entschlusses waren auch nicht alle, die Hilfe verweigerten, als diese gefordert war, notwendigerweise gleichgültige Menschen.“ (S. 22).
Lustiger hat mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Zivilcourage geliefert, drohen doch ansonsten viele Fälle des „Rettungswiderstandes“ dem Vergessen anheim zu fallen. Das Buch erinnert an bekannte Fälle wie die von Oskar Schindler oder Raoul Wallenberg - merkwürdigerweise aber nicht an Wilm Hosenfeld, der u.a. den Pianisten Wladyslaw Szpilman rettete -, aber auch an viele unbekannte Helfer in verschiedenen Ländern. Jede der erzählten Geschichten ist dabei ein Beitrag zu einer positiven Seite dieser doch so dunklen Ära der Vergangenheit. Mit Wertungen hält sich Lustiger eher zurück, bleibt aber bei ihnen differenziert: „Auch wenn ... die Haltung der Kirche als Institution und des Papstes kritisch gesehen werden muss, bleibt festzuhalten, dass einzelne Geistliche, vom einfachen Pfarrer bis zu Bischöfen und Kardinälen, Klosterbruderschaften und Konvertiten uneigennützig Juden geholfen haben“ (S. 285). Lustigers Buch enthält viele Namen, die als Vorschläge für die Be- bzw. Umbenennung von Plätzen und Straßen dienen können.
Armin Pfahl-Traughber
Arno Lustiger, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011 (Wallstein-Verlag), 462 S., 29,90 €