(hpd) Von einem „linken Faschismus" sprach der Philosoph Jürgen Habermas angesichts von Dogmatismus und Fanatismus,
Gewaltbereitschaft und Intoleranz vieler Achtundsechziger. Vierzig Jahre später will nun der Historiker Götz Aly offenbar das Buch zu dieser These liefern. Bereits zu Beginn heißt es: „Doch die Selbstermächtigung der Achtundsechziger zur gesellschaftlichen Avantgarde, ihr Fortschrittsglaube ihre individuelle Veränderungswut, ihre Lust an der Tabula rasa und - damit bald verbunden - an der Gewalt erweisen sich bei näherem Hinsehen als sehr deutsche Spätausläufer des Totalitarismus" (S. 8). Daher betitelte Aly sein Buch auch „Unser Kampf" - eine kaum versteckte Anspielung auf Hitlers „Mein Kampf", womit der Autor die Achtundsechziger in einen inhaltlichen Zusammenhang mit der Bewegung und Ideologie des Nationalsozialismus bringt. Ausdrücklich betont er die damit zusammenhängenden Gemeinsamkeiten in einem Kapitel, das die nationalsozialistische Studentenbewegung vor 1933 mit der linken Studentenbewegung von 1968 vergleicht.
Solche Aussagen – noch dazu von einem ehemaligen Achtundsechziger und Maoisten – wirken provokativ. Doch wie überzeugend sind die damit verbundenen Gleichsetzungen? Werden nur Gemeinsamkeiten formaler oder auch inhaltlicher Art ausgemacht? Wie repräsentativ sind die gefundenen Ähnlichkeiten? Derartigen Fragen hat sich eine kritische Lektüre des Buches zu stellen. Aly stellte sie sich leider nur in Ansätzen. Der Historiker fiel bislang immer wieder durch seine innovativen Forschungsansätze zur Analyse des Nationalsozialismus auf, hatte aber durch die einseitige Betonung bestimmter Ursachen für die Politik der Hitler-Regierung auch zurecht Widerspruch ausgelöst. Leider zieht sich der letztgenannte kritikwürdige Gesichtspunkt erneut all zu stark durch sein Buch „Unser Kampf". Hinzu kommt eine mehr essayistische und weniger strukturierte Anlage des Bandes. Und schließlich verstört in einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch auch die immer wieder auszumachende persönliche und subjektive Sicht des Autors.
Doch wie argumentiert Aly? In den zwölf Kapiteln hebt er anhand verschiedener Themenfelder die angesprochenen Gemeinsamkeiten hervor: Er beklagt das Selbstverständnis als Avantgarde und den Hang zum Aktionismus; er kritisiert die Beschwörung des Kampfes und die Verdammung des Pluralismus; er verwirft das eschatologische Denken und den „linken" Personenkult. Besondere Kapitel widmen sich dem aufkommenden Antiamerikanismus, der ebenso wie die vehemente Israel-Kritik als Abwehr historischer Schuld im Kontext des Nationalsozialismus gesehen wird. Immer wieder nutzt Aly darüber hinaus NS-Anspielungen in der Wortwahl: Für ihn strebten die Achtundsechziger eine „Machtergreifung in Westberlin" (S. 84) an, bei Demonstrationen waren in Anlehnung an das Horst Wessel-Lied „die Reihen festgeschlossen" (S. 96). Hier setzt Aly leider weniger auf inhaltliche Analyse und mehr auf insinuierende Effekte. Für eine differenzierte und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema sprechen derartige Methoden nicht!
Einige angebliche oder tatsächliche Besonderheiten der Achtundsechziger Bewegung hebt er hervor, um damit gekünstelt und krampfhaft seine zentrale These zu belegen. So schreibt Aly etwa, die NS-Studentenschaft wollte „wie ihre Nachfahren von 1968 ... Standesunterschiede" nivellieren (S. 174). Ist nun jeder, der soziale Unterschiede überwinden will, damit schon nationalsozialistisch? Sicherlich meint Aly dies wohl nicht ernsthaft, gleichwohl steht es so in seinem Buch geschrieben. Zutreffend kritisiert er auch die Begeisterung der Achtundsechziger für den „Massenmörder Mao" (S. 104). Nur, entgegen seiner Darstellungen waren dessen Verbrechen in der damaligen westlichen Welt nicht ausreichend bekannt. Immerhin lobten Anfang der 1970er Jahre selbst noch Politiker wie Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß den chinesischen Diktator. Dies entschuldigt gleichwohl nicht die Achtundsechziger, denen jegliche Distanz zu anderen kommunistischen Diktaturen wie in Kuba oder Vietnam fehlte.
Insgesamt verschenkt Aly die Gelegenheit, die vielen wirklich kritikwürdigen Aspekte der Achtundsechziger Bewegung heraus zu arbeiten. Sein Buch gibt dazu eine Reihe von wichtigen Anregungen. Eine vor allem im politischen Umfeld der „Ehemaligen" kursierende Perspektive, welche in romantischer Jugenderinnerung an eine schöne Zeit der Rebellion schwelgt, verdient in der Tat eine andere Sicht der Dinge. In elitärem Selbstverständnis und politischem Realitätsverlust artikulierte sich eine bedenkliche Haltung, welche in Frontstellung zu den Normen und Regeln einer liberalen Demokratie und offenen Gesellschaft stand. Gerade in der damaligen Kritik des Politikwissenschaftlers Richard Löwenthal, der von „studentischem Elitedenken" und einem „romantischen Rückfall" sprach, artikulierte sich dies in aller Deutlichkeit. Aly erinnert zurecht an dessen Einwände, hätte sich daran aber auch selbst mehr orientieren können. Für „Unser Kampf" gilt in Kurzform: Sein wichtiges inhaltliches Anliegen hat Aly durch platte historische Gleichsetzungen verstolpert.
Armin Pfahl-Traughber
Götz Aly, Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück, Frankfurt/M. 2008 (S. Fischer-Verlag), 253 S., 19,90 €