Von November 2004 bis Juli 2005 beteiligte sich der Humanistische Kindergarten Nürnberg
-St. Peter am Projekt „Dialogisches Lesen". Das Projekt wurde durchgeführt vom Institut für Grundschulforschung an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt Nürnberg und 25 ehrenamtlichen Vorleser/innen, 23 davon Frauen. Dies war der erste derartige Versuch im deutschsprachigen Raum, zurückgreifend auf Erfahrungen aus den USA.
Da ich schon seit - damals - zwei Jahren im Humanistischen Kindergarten jeweils einmal pro Woche vorlas und mich dieses Vorhaben sehr interessierte, stellte ich mich sofort als ehrenamtliche Vorleserin zu Verfügung.
Das Vorlesen, wie es bisher bekannt ist, stellt die vorlesende Person und das Buch in den Mittelpunkt. Der Inhalt soll vermittelt werden. Darüber wird mit dem Kind auch gesprochen; ohne allzu weit abzuschweifen. Die Vorleserin nützt ihre Stimme, Mimik und Gestik, um Spannung aufzubauen und das Kind zu fesseln. Vorlesen kann man auch in größeren Gruppen.
Beim dialogischen Lesen stehen das Kind und der Dialog im Mittelpunkt. Das Buch ist in erster Linie dazu da, um mit dem Kind ins Gespräch zu kommen. Das Kind soll eigene Gedanken und Erlebnisse beitragen und eigene Schwerpunkte setzen. Die Leserin geht mit. Dabei wird das Buch auch genutzt, um die Schriftsprache einfließen zu lassen, neue Wörter kennen zu lernen und die Ausdrucksfähigkeit zu verbessern. Das dialogische Lesen findet in kleinen Gruppen statt, damit jedes Kind zum Zuge kommt. Diese Lesetechnik wurde von Prof. Dr. Grover J. Whitehurst, University of Illinois, Urbana, entwickelt.
Bessere Lesemotivation
Der aktive Umgang mit der Sprache wird gefördert. Der Wortschatz wird passiv erweitert und gleich aktiv eingesetzt. Die Lesemotivation steigt schneller als beim traditionellen Vorle-sen, da die Kinder aktiver beteiligt sind. Wissenschaftliche Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass Kinder, mit denen diese Form des Lesens praktiziert wurde, ein besseres Sprach- und Textverständnis besitzen, ja, dass sogar das mathematische Verständnis der Kinder dadurch gefördert wird.
Nach ersten Treffen der Vorleser/innen und Gesprächen mit der Kindergartenleitung wur-den nach bestimmten Kriterien fünf Kinder ausgewählt, die am dialogischen Lesen teilneh-men sollten. Gestartet wurde mit einer Bücherkiste, bestehend aus 10 Titeln. Dieses Material wurde im Laufe der 6 Vorlesemonate zweimal ausgetauscht, so dass insgesamt 30 Bücher zur Auswahl standen.
Auf gleicher Ebene
Von Januar bis Juni 2005 ging ich nun zweimal pro Woche am Vormittag in den Kindergarten, um mit den Kindern zu lesen. In einem extra Raum und saßen wir gemeinsam am Tisch. Diese Form des Zusammenseins hat sich nach meiner Erfahrung als die beste herausgestellt. Ich sitze mit den Kindern auf einer Ebene, das Buch liegt auf dem Tisch und kann von allen problemlos eingesehen werden. Am Anfang jeder Lesestunde holte ich mein Glöckchen hervor, das die Kinder schon vom nachmittäglichen Lesen kennen, und ließ sie reihum klingeln und ihren Namen sagen. Kinder lieben solche Rituale.
Obwohl wir - dem dialogischen Prinzip entsprechend - viel sprachen und manchmal rich-tig diskutierten, kamen wir jedes Mal mit dem Buch bis ans Ende, denn trotz allen Erörterns zwischendurch wollten die Kindern auch gerne wissen, wie die Geschichte ausging. Durch das intensive Gespräch und vieles Nachfragen meinerseits (nach bestimmten Methoden, deren genaue Erklärung hier zu weit führen würde) floss immer viel eigenes Erleben der Kinder mit ein. Es war auch für mich interessant und spannend. Im Anschluss malten die Kinder verkleinerte Kopien der Titelbilder der Bücher aus, was abermals einen Ansatzpunkt für verbalen Austausch bot. Dann werteten die Kinder ihre eigenen Aktivitäten aus, verga-ben sich je nach Mitarbeit Punkte und bewerteten die Lesestunde allgemein. Das ergab nochmals Gelegenheit die Kinder zum Sprechen anzuregen.
Dann entließ ich die Kinder wieder in ihre Gruppe und verfasste ein „Leseprotokoll". Diese „Lesestunden" waren sehr intensiv und forderten Konzentration von den Kindern. Es machte aber allen Freude, und meist kamen sie am Morgen schon auf mich zugestürzt, wenn sie mich sahen.
Positive Ergebnisse erwartet
Die Projektleiterin, Frau Kelber vom Institut für Grundschulforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg nahm zweimal an den Lesestunden teil. Nach Projektende im Juni wurden die Kinder von Studenten getestet.
Die wissenschaftliche Auswertung wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Trotzdem wurde schon deutlich, dass auf alle Fälle positive Ergebnisse im Hinblick auf Sprachförderung, Abbau von Sprachbarrieren, freies Sprechen und Selbstbewusstsein zu erwarten sind.
Das dialogische Lesen stellt eine Bereicherung im Umgang mit der Sprache dar, hilft Kindern, andere besser zu verstehen, selbst besser verstanden zu werden und im Kindergarten einen guten Grundstein für das Lesen- und Schreibenlernen zu legen. Ganz nebenbei wird auch das Interesse an Büchern geweckt und gefördert. Es wird registriert, dass Bücher etwas Schönes sind und sich die Beschäftigung damit lohnt.
Ingrid Schadinger
(Ehrenamtliche Vorleserin im Humanistischen Kindergarten Nürnberg-St. Peter.)