BERLIN. (hpd) Es gibt keine systematische Verfolgung von Christen in Nordafrika und im Nahen Osten. Das war die einhellige Meinung von Experten, die am vergangenen Donnerstag an einer Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag teilnahmen. Benedikt XVI. hält indes unbeirrt an der „tragischen Realität der Verfolgung“ fest.
Obschon sie die weltweit zahlen- und einflussreichste Religionsgemeinschaft darstellt, beklagen auch in Deutschland mit großer Vehemenz und Regelmäßigkeit Kirchenvertreter aus dem Klerus und in der Politik eine Christenverfolgung, die in vielen Regionen der Welt stattfinde. Volker Kauder (CDU) unterstrich diese Überzeugung in der Vergangenheit immer wieder, weshalb er auch gegenüber Christ & Welt sagte: „Die Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgruppe, daran besteht kein Zweifel. Nirgendwo auf der Welt verfolgen Christen andere, immer stehen Christen unter Druck.“
Kirchennahe Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen in der Vergangenheit sogar speziell aufbereitete Datensammlungen, die auch eine Christenverfolgung in europäischen Ländern belegen sollte. So zählte die Organisation „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians” zur Illustration einer wachsenden Feindlichkeit gegenüber Menschen christlichen Glaubens Vorfälle auf, zu denen tätliche Attacken gegen Geistliche, religiöse Veranstaltungen, Kirchen und christliche Friedhöfe zählten. Zudem soll es Festnahmen von Straßenpredigern gegeben haben. Auch die Zurschaustellung von „respektloser Kunst“ wurde mit aufgeführt.
Doch werden christliche Gläubige aufgrund ihrer religiösen Identität wirklich in besonderer Weise verfolgt? Nicht nur bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) gibt es daran erhebliche Zweifel, wie eine entsprechende Anfrage im vergangenen Jahr ergab. Ein Sprecher sagte, dass es immer wieder mal Fälle von Verfolgungen aufgrund des Glaubensbekenntnisses gebe. Eine systematische Verfolgung von Christen konnte man bei Amnesty allerdings nicht bestätigen. Oft stelle das politische Engagement den Grund von tatsächlichen Verfolgungen dar, da sich die Anhänger von religiösen Überzeugungen auch politisch engagieren.
Die beständigen Appelle im Namen der Christenverfolgung haben jedenfalls dazu geführt, dass sich der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am vergangenen Donnerstag mit der Frage beschäftigte, inwieweit solche Behauptungen zutreffend sein könnten. Thema der Anhörung war die Situation von Christen und anderen religiösen Minderheiten im Nahen Osten und Nordafrika. Häufigste Probleme, so die Einschätzung der Experten, sei ein mangelnder staatlicher Schutz und fehlende Gleichberechtigung für religiöse Minderheiten.
Mit Ausnahme von Saudi Arabien „können Christen in allen Ländern der Region ihre Religion ungehindert ausüben“, sagte der Sachverständige Prof. Mitri Raheb. Trotz aufsehenerregender und gewalttätiger Ereignisse, wie etwa Angriffe auf koptisch-orthodoxe Christen in Ägypten und kirchliche Gebäude, könne laut dem Sachverständigen Fritz Erich Anhelm von einer systematischen Verfolgung keine Rede sein. Probleme seien eher in einem mangelnden staatlichen Schutz vor Übergriffen und einer ungenügenden Strafverfolgung durch Polizei und Justiz zu sehen, von denen aber auch alle anderen religiösen Minderheiten in den islamischen Mehrheitsgesellschaften betroffen sind.
Es bestätigt sich damit die Ansicht, dass die Schilderungen ein generelles Menschenrechtsproblem in den jeweiligen Regionen zur Ursache haben. Eine echte Religionsfreiheit gebe es nirgends in Nordafrika oder dem Nahen Osten, sagte Christiane Schirrmacher vom Institut für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz, die auch die Tatenlosigkeit staatlicher Behörden in Ägypten kritisierte. Zudem sei der Religionswechsel in den Ländern regelmäßig nicht erlaubt und die Mitglieder nicht-islamischer Religionsgemeinschaften würden im Bildungssektor, beim Militär und in der Politik benachteiligt.
Die Möglichkeiten Deutschlands, die Position religiöser Minderheiten in der Region zu stärken, sah der Experte Raheb als begrenzt an: „Ein Eingreifen von außen wird nur Probleme schaffen.“Zur Förderung friedlich-religiösen Miteinanders schlug Christiane Schirrmacher unter anderem vor, Austausch- und Begegnungsprogramme vor allem unter jungen Menschen verschiedener Religionen zu fördern. Stipendien für Aufenthalte in westlichen Ländern sollten gezielt an Angehörige von Minderheiten vergeben werden.
Radio Vatikan berichtete nun auch am vergangenen Freitag, dass Benedikt XVI. bei einem Empfang von Vertretern der päpstlichen Missionswerke erneut eine „anhaltende Christenverfolgung“ beklagt habe. „Ihr wisst, dass die Verkündigung des Evangeliums nicht selten Schwierigkeiten und Leiden mit sich bringt; das Wachstum des Reiches Gottes in der Welt wird nicht selten mit dem Blut seiner Diener erkauft“, sagte Benedikt XVI. den Gläubigen und meinte, dass die Kirche „trotz aller Probleme und der tragischen Realität der Verfolgung“ nicht den Mut verlieren werde.
Offen bleibt nun die Frage, weshalb die Expertenrunde vor dem Menschenrechts-Ausschuss scheinbar in keiner Weise die systematische Diskriminierung nichtreligiöser und andersgläubiger Menschen angesprochen hat, die nicht nur weltweit sondern offenkundig auch in Deutschland eine traurige Realität ist.
Denn so bleiben weite Bereich des Arbeitsmarktes im Kultur-, Sozial- und Bildungsbereichs den nicht- und andersgläubigen Menschen im Land verschlossen, da die staatlich finanzierten Einrichtungen in Trägerschaft der herrschenden Religionsgemeinschaft oft nur Angehörige der eigenen Konfession beschäftigen.
Auch viele Bereiche in der Politik und im öffentlichen Rundfunk bleiben denjenigen unzugänglich, die nicht den christlichen Glauben teilen, weshalb viele Ämter selbst in überwiegend säkularen Regionen unverkennbar oft durch Gläubige ausgeübt werden. Mit den möglichen Ursachen für die etablierte Verbreitung von Diskriminierungen aufgrund von Vorurteilen gegen nicht- oder andersgläubige Menschen beschäftigte sich eine US-Studie Ende vergangenen Jahres.
Arik Platzek
Die Mär vom alten Rom (11.04.2011)