(hpd) Der Journalist Patrick Gensing beschreibt und kommentiert die aktuelle Entwicklung im Rechtsextremismus, was mitunter aber etwas zu emotional und unstrukturiert geschieht. Gleichwohl enthält das Werk hier und da immer wieder interessante analytische Deutungen, ein Mehr davon hätte ihm gut getan.
Die eher zufällige Aufdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU), einer neonazistischen terroristischen Zelle mit 10 Morden auf dem Konto, brachte das Thema „Rechtsextremismus“ wieder in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei stehen die Verbrechen des Trios nur für die besonders verbrecherische Spitze eines Phänomens, das mitunter eher als regionale Besonderheit der ostdeutschen Provinz zur Kenntnis genommen wurde. Über die gesamtgesellschaftliche Bedeutung damit einhergehender Entwicklungen will der Journalist Patrick Gensing, Mitarbeiter von „Panorama“ und „tagesschau.de“, in seinem Buch „Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik“ aufzeigen. Dessen Umschlag zeigt vorn Beate Zschäpe und hinten Uwe Böhnhardt. Gleichwohl handelt es sich nicht um ein Buch über den NSU im engeren Sinne. Auf Basis seiner journalistischen Recherchen und von Interviews mit Fachleuten will der Autor die aktuelle Dimension des rechtsextremistischen Agierens aufzeigen und bewerten.
Den Einstieg wählt er über die Berichte von der Fehleinschätzung der Serienmorde durch Kriminologen, Medien und Sicherheitsbehörden. „Offenbar hatten die Rechtsextremen aber die Ignoranz gegenüber Gewalt und Mord an Migranten unterschätzt, ihre Botschaft, so eindeutig sie auch war, kam in der großen Öffentlichkeit nicht an. Bei den Migranten und in der Neonazi-Szene hingegen schon“ (S. 20). Die Tat sei selbst die Botschaft gewesen, es habe keiner Bekennerschreiben bedurft. Gensing bestreit auch die Auffassung, wonach es sich bei den Taten um eine neue Qualität gehandelt habe. Er berichtet von Ausschreitungen und Tötungen, die seit Beginn der 1990er Jahre in Ost und West festgestellt werden konnten. In diesen Jahren habe sich auch die Szene ausdifferenziert und die Merkmale einer Bewegung angenommen. Dabei bestand für Gensing immer ein Kontext über Feindbilder und Ideologie, was die Rede von einem Netzwerk gestatte: „Das ist kein Wunder, denn NPD und NSU sind unterschiedliche Teile ein und derselben Bewegung“ (S. 83).
Im zweiten größeren Teil des Buchs geht es dann zunächst um die Partei selbst, wobei der Autor den kriminellen Vorlauf vieler ihrer Mitglieder hervorhebt: „In keiner anderen Partei wäre es ansatzweise denkbar, dass auch nur ein verurteilter Gewalttäter zum Funktionär aufsteigt“ (S. 121). Danach kritisiert der Autor als „Pannen mit System“ heftig die Arbeit der Sicherheitsbehörden, allen voran das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen. Er konstatiert aber auch bezogen auf die Fahndung: „Damit war man Böhnhardt und Mundlos schon recht nahe“ (S. 140). Die Ignoranz gegenüber den Gefahren von rechtsextremistischer Seite erklärt sich der Autor durch eine einseitige Fixierung nach „links“. Bilanzierend bemerkt er: „Eine reaktionäre soziale Bewegung ist in Deutschland herangewachsen, aggressiv, völkisch und nach außen wandlungsfähig. Der NSU-Terror ist das mörderische Ergebnis von Versäumnissen der vergangenen Jahre, insbesondere der neunziger Jahre, das Schlüsseljahrzehnt für die völkische Bewegung in Deutschland“ (S. 209).
Bei der Lektüre des Buchs fällt zunächst die fehlende Strukturierung des Inhalts auf: Der Autor springt thematisch häufig hin und her. Manchmal reißt er interessante Aspekte an, bricht aber dann die Reflexionen ab und wendet sich wieder dem nächsten Gesichtspunkt zu. Nicht zufällig fehlt dem Band eine Einleitung oder ein Vorwort, worin die inhaltlichen Linien vorgezeichnet werden. Eher wirkt der Text so wie eine Aneinanderreihung von – die emotionale Dimension offen bekundenden – journalistischen Beschreibungen und persönlichen Kommentierungen. Letztere sind nicht selten mit einer etwas zu starken Prise Polemik verstehen. Gleichwohl findet man im Text auch interessante Reflexionen, sei es zu den Unterschieden der NSU- und RAF-Morde (vgl. S. 22), sei es zur verbalisierten Mordlust in Texten von Rechtsrock-Bands (vgl. S. 27-33). Gensing meint auch, dass die „politische Erfolg- und Perspektivlosigkeit“ die „Gefahr durch Terrorismus“ erhöhen könne (S. 33). Ein Mehr an solchen Analysen und inhaltlicher Systematik hätte dem Buch gut getan.
Armin Pfahl-Traughber
Patrick Gensing, Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik, Berlin 2012 (Rotbuch-Verlag), 236 S., 14,95 €.