Eine der drei großen politischen Theorien

(hpd) Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer gibt einen Überblick zur Geschichte, den Traditionsbezügen sowie der Bedeutung von politischer Theorie

und Praxis des Sozialismus

 

Der Sozialismus galt nach 1989 als moralisch und politisch erledigt. Dabei identifizierten die damaligen und späteren Zeitbetrachter den Sozialismus mit den kommunistischen Diktaturen des Ostblocks. Diese Auffassung ignoriert aber, dass der Sozialismus neben Konservativismus und Liberalismus eine der drei großen politischen Theorien mit den unterschiedlichsten Erscheinungsformen bildete. Zu ihnen gehörten nicht nur diktatorische, sondern auch demokratische Varianten. Daran erinnert der schmale Band „Sozialismus", der von dem Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer als Einführung ins Thema vorgelegt wurde. Bereits in der Einleitung hebt er hervor: „In seiner demokratischen Hauptströmung, die in den Ländern Westeuropas während des gesamten 20. Jahrhunderts eine zentrale politische Rolle spielte, hat er die politischen Grundwerte der liberalen Demokratie stets rückhaltlos anerkannt" (S. 9). Meyers Buch will insbesondere diese Traditionsbezüge ins Gedächtnis rufen.

Zunächst definiert er darin den Sozialismus als Sammelbezeichnung für Auffassungen, welche ein egalitäres Gerechtigkeitsverständnis ins Zentrum ihres Selbstverständnisses rücken und je nach politischem Kontext unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen konnten. In den vier größeren Hauptkapiteln geht es zunächst um die Herausbildung sozialistischer Auffassungen während der industriellen Revolution. Dem folgt eine Darstellung zum Sozialismus im 19. Jahrhundert, welche sich Frühsozialismus, Marxismus, Revisionismus und Sozialdemokratie widmet. Das Auseinanderdriften von einer reformerischen und revolutionären Variante sieht Meyer schon bei Marx angelegt, wiesen doch dessen „eher gelegenheitsbezogenen Äußerungen ... im politiktheoretischen Teil seines Werkes ... keine eindeutigen und konsistenten Zusammenhänge auf" (S. 35). Die Anziehungskraft des Marxismus erklärt sich der Autor durch die emotionale Wirkung der Verbindung einer historischen Siegesgewissheit mit der beanspruchten Wissenschaftlichkeit.

Danach geht es um die Entwicklung von Sozialismusmodellen im 20. Jahrhundert, wobei die Auseinandersetzung von Kommunismus und Sozialdemokratie, die Herausbildung des reformorientierten Revisionismus und die unterschiedlichen Kommunismuskonzeptionen behandelt werden. Ausführlich widmet sich Meyer auch heute kaum noch breiter bekannten sozialistischen Theorieansätzen aus der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie, wofür die Namen von Max Adler, Otto Bauer und Hermann Heller stehen. Und schließlich geht es noch um die aktuelle theoretische Diskussion um ein Sozialismusverständnis, wobei die Auseinandersetzung um Globalisierung und Kommunitarismus, Dritte-Wege Diskurse und die Theorie der Sozialen Demokratie, aber auch der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in Venezuela im Zentrum stehen. Letzteren hält Meyer weder in Theorie noch in Praxis für neu, außerdem verdanke sich seine „große Ausstrahlungskraft" mehr den „großen Erdölvorkommen" (S. 138) denn der politischen und sozialen Entwicklung im Land selbst.

Meyer, der 2005 und 2006 zwei voluminöse Bände zur Theorie und Praxis Sozialer Demokratie vorgelegt hatte, erweist sich auch in dem kleinen Werk als souveräner Kenner der Materie. Mit leichter Hand, mitunter aber etwas sperrig formuliert und häufig ohne genauere Belege zeichnet er die Entwicklung sozialistischer Theorie nach und problematisiert immer wieder das Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Meyer erinnert damit auch an eine ideengeschichtliche Tradition, die angesichts der Fixierung auf den „real existierenden Sozialismus" weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwunden ist. Hierzu zählen auch die Ausführungen zu Hermann Hellers Modell der „Sozialen Demokratie". Leider fehlen nähere Ausführungen zur theoretischen Begründung des schwedischen Wohlfahrtsstaat, der in den 1970er und 1980er Jahren als die gelungenste Verbindung von Demokratie und Sozialismus galt. Auch kommt in dem Band die deutsche Sozialdemokratie der letzten Jahre nicht weiter vor - wofür es angesichts ihrer Entwicklung aber auch gute Gründe gibt.

Armin Pfahl-Traugbher

Thomas Meyer, Sozialismus, Wiesbaden 2008 (VS - Verlag für Sozialwissenschaften), 153 S., 12,90 €