BERLIN. (hpd/dghs) Anlässlich der Veröffentlichung der Ausgabe 3/2014 von „Humanes Leben-Humanes Sterben“, der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben – druckt hpd den Artikel von Professor Dr. Dr. Dieter Birnbacher, „Organspende und Patientenverfügung – ein Widerspruch?“.
Wie Sie Ihre Selbstbestimmung durch rechtzeitige Vorsorge wahren
Viele Menschen, die eine Patientenverfügung aufgesetzt haben, möchten gleichzeitig Organspender sein, bedenken dabei aber nicht, dass der Inhalt der Patientenverfügung mit einer Organspende möglicherweise unvereinbar ist. Dadurch konfrontieren sie die sie in der letzten Lebensphase behandelnden Ärzte mit schwierigen Entscheidungsproblemen.
Professor Dr. Dr. Dieter Birnbacher, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der DGHS und zweiter Vizepräsident, gibt hier wichtige Hinweise.
Die Ärzte müssen sich die Frage stellen: Was soll nach dem Willen des Patienten Vorrang haben – die Willenserklärung, eine über eine akute Krisenintervention hinausgehende Intensivbehandlung abzusetzen oder von vornherein nicht aufzunehmen, oder die Willensbekundung, als Organspender zur Verfügung zu stehen? Beides zusammen ist keine Option. Denn anders als die Übertragung von Geweben (wie der Augenhornhaut) ist eine Übertragung von Organen wie Niere und Leber – zumindest in Deutschland – in zwei Hinsichten an eine Intensivbehandlung gebunden: Erstens kommen als Organspender nur Patienten in Frage, die auf einer Intensivstation liegen und, etwa infolge einer Hirnblutung, den Hirntod, den unumkehrbaren Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen, erleiden; zweitens erfordert sowohl die Feststellung des Hirntods als auch die Erhaltung der Organe in einem Zustand, der die Übertragung an einen anderen Patienten erlaubt, eine über den Eintritt des Hirntods hinaus und bis zum Zeitpunkt der Organentnahme andauernde Fortsetzung der Intensivbehandlung. Allein die Feststellung des Hirntods nimmt in der Regel zwei Tage in Anspruch. Die Folge ist, dass eine Patientenverfügung, die eine Intensivbehandlung bedingungslos ausschließt, auch eine Organspende ausschließt. Viele, die eine Patientenverfügung aufsetzen, sind sich über dieses Dilemma nicht im Klaren.
Um dieses Dilemma aufzulösen, hat ein Arbeitskreis der Bundesärztekammer zu Beginn dieses Jahres ein Arbeitspapier erarbeitet, das bestimmt, wie im Fall des Zusammentreffens von Patientenverfügung und Organspende-Erklärung verfahren werden soll (Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(12): A-572 / B-508 / C-508).
Es unterscheidet zwei Situationen: Erstens die Situation, dass ein Patient beatmet auf der Intensivstation liegt und die Ärzte vermuten, dass der Hirntod bereits eingetreten ist. Zweitens die Situation, dass ein Patient beatmet auf der Intensivstation liegt und die Ärzte vermuten, dass der Hirntod zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. in wenigen Tagen, eintreten wird. Für diese beiden Situationen gibt der Arbeitskreis jeweils klar voneinander unterschiedene Empfehlungen.
Für die erste Situation empfiehlt er, dass die Intensivbehandlung fortgesetzt wird, um die Feststellung des Hirntods und eine sich gegebenenfalls anschließende Organentnahme möglich zu machen. Er begründet diese Empfehlung damit, dass der Patient einerseits mit seiner Organspende-Erklärung dokumentiert hat, dass er mit den dafür erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen einverstanden ist, andererseits die Intensivbehandlung nur über einen kurzen und überschaubaren Zeitraum fortgesetzt werden muss. Für diese Situation wird dem erklärten Wunsch, als Organspender zur Verfügung zu stehen, Vorrang eingeräumt. Anders für die zweite Situation, in der der Hirntod nicht vermutet, sondern erwartet wird. In dieser Situation soll nicht automatisch die Organspende-Erklärung Vorrang haben. Vielmehr sollen in erster Linie der Bevollmächtigte oder der Betreuer, in zweiter Linie die Angehörigen des Patienten gefragt werden, welche Priorität dem Willen des Patienten am ehesten entspricht.
Zusätzlich nimmt der Arbeitskreis auch zu der Frage Stellung, ob ein Patient, der verfügt hat, dass er nach einem Herzstillstand nicht wiederbelebt werden möchte, dennoch, sofern er gleichzeitig eine Organspende-Erklärung verfasst hat, zum Zweck einer möglichen Organspende wiederbelebt und intensivmedizinisch behandelt werden darf.
Dies schließt der Arbeitskreis kategorisch aus. Da in dieser Situation ungewiss ist, ob in der Folge der Hirntod eintritt und damit eine Chance auf eine Organspende besteht, gibt es keinen hinreichenden Grund, von dem in der Patientenverfügung Verfügten zugunsten der Möglichkeit einer Organspende abzuweichen. Der in der Patientenverfügung verfügte Ausschluss der Reanimation hat rechtlich und ethisch Vorrang.
Prof. Dr.Dr. Dieter Birnbacher / Foto: DGHSIn der Patientenverfügung klären, welche Option Vorrang hat
Um den Ärzten das Dilemma einer Entscheidung zwischen Abbruch oder Nichtaufnahme einer Intensivbehandlung und Vorbereitung einer Organspende zu ersparen – und Bevollmächtigten, Betreuern und Angehörigen, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln –, empfiehlt es sich, bereits in der Patientenverfügung zu klären, welchen von beiden Optionen Vorrang gegeben werden soll. Der Arbeitskreis hat zu diesem Zweck zwei Textbausteine formuliert, die bequem in die Patientenverfügung übernommen werden können. Textbaustein 1 erklärt für den Fall, dass Patientenverfügung und Organspende-Erklärung zusammentreffen, den Vorrang der Organspende-Erklärung, Textbaustein 2 den Vorrang des Verzichts auf Intensivbehandlung:
Textbaustein 1: „Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntods bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch infrage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntods nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe. Dies gilt auch für die Situation, dass der Hirntod nach Einschätzung der Ärzte in wenigen Tagen eintreten wird.“
Textbaustein 2: „Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntods bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch infrage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntods nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe.“
Dieter Birnbacher
Alle Themen der Zeitschrift:
- „Weil wir noch nicht so weit sind“ Warum die Politik sich mit einer konstruktiven gesetzlichen Regelung zur Sterbehilfe so schwer tut.
- Organspende und Patientenverfügung – ein Widerspruch? Wie Sie Ihre Selbstbestimmung durch rechtzeitige Vorsorge wahren
- Wir lassen Sie nicht allein! Die DGHS setzt ihre erfolgreiche Aktion „Wir kümmern uns um Ihren Bevollmächtigten“ fort.
- Umfrage unter Mitgliedern
- Neue Verfügung: Meine Vorsorge für den Pflegefall .Noch bessere Absicherung des Selbstbestimmungsrechts.
- Delegierte stellen sich vor (Teil 6) Ehrenamtliches Engagement in den Regionen
- Hermann Kraus: Kämpfer für Humanismus und Selbstbestimmung. Versuch einer Würdigung
- Erzählen Sie uns Ihre Geschichte. Werner Schwab: Was mich zur DGHS brachte.
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