Viel Lärm um nicht viel

BERLIN. „Demokratie braucht Tugenden“. Unter diesem Motto stellten heute

Kardinal Lehmann und Bischof Huber in der hiesigen Katholischen Akademie ihr „Gemeinsames Wort“ zur Zukunft des demokratischen Gemeinwesens vor.

Eigentlich hätte schon bei der Ankündigung der Kirchen, ein „Gemeinsames Wort zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens“ zu veröffentlichen, eine Welle der Hoffnung und Heiterkeit durch Deutschland wehen müssen. Endlich Botschaften über Tugenden, die uns fehlen. Karneval hat ja bereits begonnen. Und wenn die katholische Kirche über Demokratie redet, dann ist es so, als ob ein Sehschwacher über Farben spricht oder ein Vegetarier über die Zubereitung von Fleischgerichten doziert oder soll jetzt nicht nur „in Ausnahmefällen“ das Kondom erlaubt sein und wird jetzt richtig gewählt?

Nun ist es zwar eine alte Erkenntnis, dass man nicht selber Koch sein muss, um festzustellen, ob eine Suppe versalzen ist – die Glaubwürdigkeit einer Tugendhaftigkeit steigert sich aber erheblich, wenn man sich tatsächlich mit den angesprochenen Problemen auch im eigenen Bereich auseinandersetzt und aus eigenen Erfahrungen Schlussfolgerungen und Empfehlungen ableitet.

Ähnlich geht es dem Leser/der Leserin des „Gemeinsamen Wortes“, wenn er oder sie nach Gehaltvollem in der Wörtersuppe sucht und nur wenig findet. Die hauptsächlichsten Probleme, die von den beiden Kirchen benannt werden, sind allerseits bekannt: Arbeitslosigkeit und Demografie (zu wenig Kinder), sowie noch etwas zu viel Überschuldung und zu wenig Generationenverantwortung…

Tugenden – so lautete eine Botschaft – gedeihen angeblich auf dem Boden von Überzeugungen, von religiösen und weltanschaulichen (wie Bischof Huber bedeutungsschwer einfügt). Dass es weltliche Umstände sind, die Tugenden gedeihen oder verderben lassen, sei einmal vernachlässigt, nach all den kirchlichen „Lehrworten“: Danach gibt es vier weltliche und nur drei theologische Tugenden. Von Gott durch Gnade verliehene Gaben wie Glaube, Liebe, Hoffnung stehen den weltlichen Tugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung gegenüber. Das Säkulare ist also in der demokratischen Mehrheit.

Wenn nun aber oberste Geistliche über weltliche Tugenden reden, wird der Engpass in der Frage sichtbar, was denn den Menschen fehlt. Da ihnen nicht Glaube, sondern Tugend – sprich Ethik – gepredigt werden soll, begibt sich der Theologe außerhalb seines Faches. Also braucht man sich nicht zu wundern, wenn das „Gemeinsame Wort“ nur eine Aufzählung von allseits Bekanntem und mehr oder minder Beklagenswertem ist.

Auf der Suche nach Erziehungsobjekten (diesmal nicht Missionsobjekte) werden unter den Akteuren im politischen Raum vier ausgemacht: die BürgerInnen / WählerInnen, die PolitikerInnen, die JournalistInnen und die LobbyistInnen. Die sollen sich jetzt auf ihre Tugenden besinnen.

Die Hauptakteure aber zur Behebung der Arbeitslosigkeit – die Wirtschaftsmanager – werden eigenartigerweise nicht einmal genannt. Und zum Ausgleich kommen die Hartz lV-Unterschichtler auch nicht vor. Somit verfällt die kirchliche Sichtweise dem Irrtum, dass die Arbeitslosigkeit ein politisches Phänomen sei, das man mit Mitteln der Politik bewegen könnte, und übersieht vollkommen, dass es ein schlicht wirtschaftliches Problem ist, das primär die Wirtschaft lösen kann und muss. Aber es ist schon ein Fortschritt, dass nicht, wie in der Geschichte der Tugendvorlesungen der Kirchen, bis in die 1950er Jahre dominant, das Volk zur Mäßigung und Arbeitsamkeit aufgerufen wird, was den französischen Freidenker Paul Lafargue zu seiner schönen Schrift vom „Recht auf Faulheit“ (1883) veranlasste.

Es wird einen moralischen Wind geben in Deutschland (dramatischer soll es hier nicht ausgedrückt werden), alle Angesprochenen werden sich zusammenreißen und in sich gehen. Nach kurzem ethikschwangerem Schüttelfrost geht das Geschäft weiter und die Kirchenoberen werden – hoffentlich – feststellen, dass sie einen fünften Akteur im Eifer, anderen ins Gewissen zu reden, ganz vergessen haben – sich selbst. Oder hat etwa niemand von den Tugendrednern das Buch von Gerhard Besier „Konzern Kirche. Das Evangelium und die Macht des Geldes“ gelesen?

Gabriele Groschopp