(hpd) Der niederländische Wissenschaftsphilosoph Chris Buskes liefert in seinem Buch „Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild" einen überaus informativen und sachkundigen Überblick zur Wirkung der Evolutionstheorie auf unser Verständnis von Bewusstsein und Fortschritt, Kultur und Moral, Religion und Sprache. Es handelt sich um eine ausgezeichnete Einführung ins Thema, die anschaulich geschrieben über die Bedeutung von Darwins Lehre für unser heutiges Denken informiert.
Die naive Eigenliebe des Menschen, so Sigmund Freud, habe im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft große Kränkungen erdulden müssen. Hierzu gehörte auch die biologische Forschung, die das „angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte" und ihn „auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies". Der zweifellos bedeutendste Repräsentant dieses Denkens war Charles Darwin, der mit seiner Evolutionstheorie das wohl bedeutendste und überzeugendste Konzept zur Erklärung der Entwicklung von Mensch und Natur vorlegte. Das damit verbundene geistige Erbe beeinflusste nicht nur die Biologie, sondern viele andere Wissenschaftsbereiche. Eine Übersicht über die Folgen und Reichweite der damit verbundenen Umwälzung des Denkens legt Chris Buskes, der an der Radboud-Universität in Nijmegen Wissenschaftsphilosophie lehrt, mit seinem Buch „Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild" vor. 2006 erhielt er dafür den „Socrates Wisselbeker"-Preis für das anregendste philosophische Werk.
Es gliedert sich in 15 Kapitel: Zunächst geht es um einen kurzen Abriss des abendländischen Weltbildes von der Natur und die Rolle von Darwins Evolutionstheorie. Dem folgen Ausführungen, welche bilanzierend die Wirkung von dieser auf bestimmte Themenbereiche beschreiben und kommentieren. Hierbei stehen im Mittelpunkt die sexuelle Selektion, die Artbildung, die Entstehung des Menschen, die Soziobiologie und Evolutionspsychologie, das Verhältnis von Evolution und Ästhetik, Anthropologie, und Bewusstsein, Fortschritt Kultur und Medizin, Moral, Religion und Sprache. Dabei finden auch die Gefahren des evolutionären Denkens in Eugenik und Sozialdarwinismus Aufmerksamkeit. In den einzelnen Kapiteln referiert Buskes die aktuelle Forschung und setzt sie in einen vergleichenden Kontext zu Darwins ursprünglichen Positionen. Hierbei arbeitet er die Leistungen, Grenzen, aber auch Defizite des bedeutenden Evolutionstheoretikers heraus. Gleichzeitig liefert der Autor dabei einen Überblick zur aktuellen Forschungskontroverse.
Bilanzierend formuliert heißt es zum menschlichen Wissen über die Ursachen seiner Existenz: „Wir auf unserem Planeten verdanken diese Einsicht und Reife Darwin. Seine Evolutionstheorie ist ein intellektueller und wissenschaftlicher Meilenstein. Nie zuvor hat es in der Geschichte der Wissenschaften eine Erkenntnis von solcher Tragweite gegeben. Denn nie zuvor wurde mit so wenigen Annahmen so viel erklärt". Und weiter heißt es: „Darwins Theorie hat tief verwurzelte, uralte Überzeugungen ins Wanken gebracht. Der Mensch wurde nicht nach Gottes Ebenbild geschaffen, er nimmt keine einzigartige Stellung in der Natur ein. ... Der Mensch ist kein gefallener Engel, sondern ein emporgestiegener Primat. Die Revolution, die Darwin herbeiführte, besteht in der Umkehrung des gängigen Erklärungsmodells: Keine übernatürlichen Mächte stehen am Anfang des Lebens, sondern präbiotische, selbstreplizierende Makromoleküle. Die Lebensformen sind in einem natürlichen, kontinuierlichen Prozess aus einem primitiven Anfang hervorgegangen" (S. 326).
Trotz dieser euphorischen Kommentierung der wissenschaftlichen Leistung und Wirkung Darwins enthält Buskes Buch keine unkritische Apologie des Evolutionstheoretikers. Immer wieder wird auf Grenzen und Mängel verwiesen. So leugnet der Autor auch nicht „erste 'eugenische' Überlegungen" (S. 298) von Darwin, verweist aber auch differenziert auf die Unterschiede zu den diesbezüglichen Auffassungen von Francis Galton. Überhaupt zeichnet sich das Buch, wie dieses Beispiel zeigt, durch den genauen Blick und das ausgewogene Urteil aus. Nicht nur aus diesen Gründen liefert es eine ausgezeichnete Einführung in die Thematik: Man wird gut verständlich über die Inhalte der jeweiligen Themen informiert und erhält auch einen Überblick zu den Kontroversen. Kritikwürdig wäre allenfalls, dass die Informationen und Zitate nicht über Fußnoten genau nachgewiesen sind. Auch wäre eine kommentierte Literaturliste für die weitere Beschäftigung mit den jeweiligen Aspekten sinnvoll. Dies mindert aber nicht den Wert des Buchs. Buskes hat sich seinen Preis verdient!
Armin Pfahl-Traughber
Chris Buskes, Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post, Darmstadt 2008 (Primus-Verlag), 360 S., 29,90 €





