Tatsache Evolution

(hpd) Der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera veranschaulicht in seinem Buch „Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte" in welch hohem Maße die Auffassungen Darwins durch die spätere Forschung bestätigt wurden. Darüber hinaus präsentiert er in diesem Band in Gestalt des Synade-Modells eine neue eigene integrative Theorie zu den Antriebskräften der Makroevolution in allen fünf Organismen-Reichen der Erde.

 

2009 jährt sich zum zweihundertsten Mal der Geburtstag von Charles Darwin und zum hundertfünfzigsten Mal das erste Erscheinen seines Hauptwerkes" Origin of Species". Zu den zahlreichen Büchern, die aus diesen beiden Anlässen erschienen bzw. noch erscheinen werden, gehört auch „Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte". Autor ist Ulrich Kutschera, der als Professor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Universität Kassel arbeitet und durch Veröffentlichungen zur Evolutionstheorie und Kritik des Kreationismus bekannt geworden ist. In seinem jüngsten Werk widmet er sich den Lehren Darwins, der als „Mozart der Biologie" gewürdigt wird, aus Sicht der heutigen Forschung. Dabei zeigt Kutschera auf, wie weit der Naturforscher des 19. Jahrhunderts inhaltlich und methodisch seiner Zeit voraus war und wie aktuell seine Erkenntnisse für die Wissenschaft heute noch sind. Gleichzeitig verschweigt er aber auch nicht die demgegenüber aber marginalen Fehldeutungen und Mängel von Darwins Theorie.

„Tatsache Evolution" gliedert sich in zehn Kapitel: Zunächst geht es um die Herausbildung des klassischen Selektionsprinzips in den Werken von Charles Darwin und Alfred Wallace sowie das wissenschaftstheoretische Verständnis von Tatsachen und Zufall in der Biologie. Dem folgt eine Auseinandersetzung mit den evolutionstheoretischen Konzepten ohne Design-Hypothese und ein Überblick zu den weniger bekannten Forschungen Darwins zu Rankenbewegungen oder Riffbildungen. Anschließend widmet sich Kutschera Darwins Beiträgen zur Erdgeschichte und der Forschung um das Alter der Erde. Danach widmet er sich Darwins paläontologischen Deutungen in Verbindung mit den Forschungen zu ausgestorbenen Langzeit-Urtieren und einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Anti-Darwinschen Symbiogenesis-Theorie. Und schließlich geht es um das Verhältnis von Darwins klassischem Selektionsprinzip zu den modernen DNA-Sequenzanalysen sowie um Kutscheras eigenes Synade-Modell als integrative Theorie zu den Antriebskräften der Makroevolution.

Bilanzierend heißt es aus heutiger Sicht zur Bedeutung Darwins als Naturforscher, seine bedeutendsten fünf Postulate seien durch die jahrzehntelangen Forschungsarbeiten nach seinem Tode im Prinzip bestätigt worden: Die Evolution an sich werde heute als Tatsache allgemein anerkannt, die Auffassung von den gemeinsamen Vorfahren sei durch biochemisch-molekularbiologische Studien belegt, der Gradualismus habe Betätigung durch die moderne Paläobiologie gefunden, am Faktum der „Vervielfachung der Arten" im Verlaufe weiter geologischer Zeiträume werde allgemein nicht mehr gezweifelt, und auch über die Rolle der „natürlichen Selektion" als entscheidender Triebkraft der Evolution gebe es keine Kontroversen mehr. Allenfalls könne bei Darwin von Fehlannahmen in Detailfragen und Lücken in der inhaltlichen Begründung gesprochen werden (vgl. S. 81f.). Bei aller Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit des Naturforschers aus dem 19. Jahrhundert liefert Kutschera demnach kein unkritisches „Jubelbild".

Sein Buch geht auf ein Seminar für Studierende der Biologie an der Universität Kassel zurück. Dies mag erklären, warum der Text nicht als eine Einführung ins Thema im engeren Sinne gelesen werden kann. Vielmehr stellt er eine Ergänzung und Konkretisierung zum bisherigen allgemeinen Wissen zur Evolution dar und wirkt somit (nicht nur) auf Neueinsteiger in die Thematik etwas fragmentarisch und sprunghaft. Gleichwohl macht Kutschera immer wieder überzeugend deutlich, dass bezüglich der Evolution der Organismen nicht von irgendeiner unverbindlichen Theorie gesprochen werden kann, sondern es sich dabei um einen realhistorischen Prozess handelte. Dies muss angesichts einer - wenn auch noch nicht gesellschaftlich wirklich bedeutsamen - Kreationismus-Renaissance auch in Deutschland immer wieder betont werden. Besondere Aufmerksamkeit in „Tatsache Evolution" verdient auch seine neue Theorie zum Verlauf der Makroevolution in Gestalt des Synade-Modells. Man darf auf die Auseinandersetzungen damit gespannt sein!

Armin Pfahl-Traughber

Ulrich Kutschera, Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte, München 2009 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 339 S., 14.90 €

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich