Die Größte aller Illusionen

DÜSSELDORF. Auf der Autobahnkarte sind Köln und Düsseldorf kilometertechnisch nur eine halbe Stunde voneinander entfernt

– tatsächlich trennen sie aber Welten. Und was im Leben so im Allgemeinen „Welten" sind, dass sind dann im nebensächlichen Karneval schon „Kontinente". Und das Karneval nebensächlich sei, das kann nur eine ignorante und das heißt norddeutsche oder Berliner Sichtweise sein – vor Ort ist es die wichtigste Jahreszeit – „geplanter Ausnahmezustand" –, da wird monatelang geredet, entworfen, geübt und gebaut, geformt, gehobelt, geschneidert, genäht, geschliffen und lackiert – für die großen Karnevalssitzungen und den „Zoch" am Rosenmontag.

Der Bund der Deutschen Karnevalisten hat nun gelegentlich (wieder einmal) darauf hingewiesen, dass die Mitgliedsvereine „religiöse Themen" im Karneval vermeiden sollten. Wo sitzen die Oberjecken der deutschen Karnevalszentrale? In Köln. Was berührt das also die Karnevalisten auf dem anderen Kontinent – in Düsseldorf – schlicht gar nicht. Das ist ein langer Weg den Rhein entlang. Und der fließt ja bekanntlich mitten durch Köln, an Düsseldorf aber nur seitlich vorbei.

Nun haben die Düsseldorfer allerdings auch keinen Kardinal-Erzbischof in ihren Mauern – auf die Knie, küss die Hand – dafür aber den Bildhauer von Großskulpturen und -plastiken, Jacques Tilly, der mit seinen Mitarbeitern seit vielen Jahren auch Karnevalswagen baut, Lieblingsthema: „Karneval und Kirche". Aus Düsseldorfer Sicht ein Glücksfall, ein Kapital, das man nutzen muss, damit die Kölner (und natürlich auch die Mainzer) sich unter ihren bunten Kappen grau ärgern, dass die Düsseldorfer mal wieder frecher waren und mehr Leute zu denen hingeguckt haben, als zu den anderen Rosenmontagszügen.

Jacques Tilly hat nach langen Jahren der Neutralität gegenüber allen Düsseldorfer Karnevalsvereinen in diesem Jahr akzeptiert, (Ehren-)Senator der Rheinischen Garde Blau-Weiss zu werden.
Tilly: „Ich habe zwar in der letzten Session zum ersten Mal für die Garde den Wagen gebaut, aber schon mit diesem Wagen erfüllte sich ein alter Wunsch von mir: dass endlich auch die Vereine mehr politische Karnevalswagen bauen lassen. Üblicherweise werden ja von den Vereinen hübsch anzusehende, aber eben auch inhaltsarme Prunkwagen bevorzugt. Die Politik bleibt zumeist den (wenigen) Mottowagen vorbehalten. 2006 fuhr die Rheinische Garde Blau-Weiss mit einem Bananen-Wagen, in dem Deutschland als Bananenrepublik dargestellt wurde – einer meiner Lieblingswagen aus dem letzten Zoch. Für die aktuelle Session habe ich für die Rheinische Garde wieder einen politischen Wagen entworfen, und der hat es diesmal in sich. Er trägt den Schriftzug (natürlich in Anlehnung an das Sessionsmotto "Düsseldorfs närrische Illusionen") "Friede zwischen den Religionen - die größte aller Illusionen". Der Wagen ist schon fast fertig gebaut, es gibt also kein Zurück mehr. Da sich die großen Weltreligionen aufgrund ihres absoluten Wahrheitsanspruchs nun mal gegenseitig ausschließen, ist das mit dem Frieden zwischen den Religionen ja bekanntlich so eine Sache."

Auf die Nachfrage, ob er keine Misshelligkeiten voraussehe, meint er:
„Der rheinische Karneval war schon immer ein politischer Karneval, und ich freue mich sehr, dass die Rheinische Garde Blau-Weiss so mutig wie konsequent mithilft, diese Tradition wieder etwas stärker zu beleben. Der Karneval muss kritisch bis zur Schmerzgrenze sein."
Nächsten Rosenmontag wird es sich zeigen.

CF