„Die Evolution empfängt ihre Kinder"

BERLIN. (hpd) Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hatte zu ihrer Auftaktveranstaltung zum Darwin-Jahr 2009 eingeladen und 1.600 Besucher verteilten sich auf die fünf Etagen des Akademiegebäudes am Gendarmenmarkt zu diversen Veranstaltungen.

Günter Stock, der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), hatte sich an die Öffentlichkeit gewandt: „Im Namen der Akademie lade ich Sie ein: an einen Ort der Forschung und der anregenden Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst. Mitglieder, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Akademie sowie prominente Gäste suchen nach Spuren evolutionärer Prozesse von den Anfängen des Lebens bis in die Zukunft. Erleben Sie einen Salon der Wissenschaft und Künste wie Königin Sophie Charlotte ihn sich erträumte, als sie die Berliner Akademie ins Leben rief!"

„SALON SOPHIE CHARLOTTE 2009 - Die Evolution empfängt ihre Kinder"

Der Slogan wird den Älteren sofort als freie Abwandlung des Buchtitels von Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder" bekannt vorgekommen sein, indem es der Akademie darum geht, die Öffnung der Biologie zu Aspekten der Technik und der Kultur voran zu bringen. „Kinder" steht dabei als Synonym für „Weiterentwicklung".

Der Abend war die Auftaktveranstaltung für das Jahresthema 2009/2010 der Akademie - Charles Darwin - und stand als vierter „Salon Sophie Charlotte" in diesem Jahr unter dem Themenschwerpunkt "Evolution in Natur, Technik und Kultur".

Wer sich unter „Salon" eine gemütliche kleine Runde in weichen Sesseln bei gedämpften Licht und zwanglosen Plaudereien vorgestellt hätte, wäre im Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie am Gendarmenmarkt vermutlich eher hilflos durch die Flure und Stockwerke gelaufen. In zwei Sälen, vier Konferenzräumen, drei Arbeitsräumen, dem Treppenhaus, einschließlich des Paternosters, sowie vier Bereichen mit Speisen und Getränken, wurde Spezielles und Allgemeines geboten. Das Motto „Wer die Wahl hat, muss sich entscheiden" fand seine Berechtigung, denn niemand konnte in der Zeit von 18:00 bis 24:00 Uhr alles nacheinander oder gleichzeitig besuchen. Insgesamt 1.600 Besucher waren in die Akademie gekommen.

Was wurde alles geboten?

  • Ein Literarischer Salon mit sieben Lesungen und Inszenierungen,
  • ein Wissenschaftlicher Salon mit sechs Vorträgen, Diskussionen und Musik,
  • ein Salon Akademieforschung mit sechs Vorträgen und einem Film,
  • ein Ernst Mayr-Salon mit vier Vorträgen, einr Ausstellung und einem Film,
  • ein Kindersalon (6-10 Jahre) mit drei Workshops und einer Lesung,
  • ein Jugendsalon (11-15 Jahre) mit Workshops und Labor,
  • zwei kleine Kino-Räume mit Geschichten, Bildern und Dokumentarfilmen,
  • und eine Paternoster-Performance „Nur ein Narr macht keine Experimente".

Diskurs der Wissenschaften

Eine Podiumsdiskussion war genau so gut besucht wie alle anderen Veranstaltungen, „Die Evolution sexueller Untreue". Auf dem Podium saßen Prof. Dr. Evelyn Korn (Lehrstuhl für Mikroökonomie, Universität Marburg), Prof. Dr. Sigrid Weigel (Direktorin des Zentrums für Kultur- und Literaturforschung, Berlin), Prof. Dr. med. Wulf Schiefenhövel (Professor für Humanetologie, München) und Dr. Wolfgang Forstmeier (Max-Planck Institut für Ornithologie, Seewiesen). Die Moderation hatte Jörg Thadeusz, der aus verschiedenen Fernsehsendungen als Moderator und Autor bekannt ist.

Von der grundlegenden, heiteren Feststellung des Moderators ausgehend, „Sexuelle Untreue ist das, was die Leute draußen machen, wir beschäftigen uns hier damit wissenschaftlich, d.h. theoretisch!" war die erste Feststellung, dass das monogame Beziehungsmodell, die Voraussetzung für Untreue, auf der gesamten Welt nicht dominant sei. Es gäbe alle Familienformen, die man sich vorstellen könne. Und auch in Deutschland sei, unter dem Gesichtspunkt der ‚seriellen Monogamie', das Leben mit mehreren Sexualpartnern das üblichere.

Sehr schnell zeigte sich, dass die Vorstellung von der Einheit und dem Diskurs der Wissenschaften nur dann realisiert wird, wenn alle daran Beteiligten dazu bereit sind. Als die Kulturwissenschaftlerin den Begriff der „Treue" auf die Bibel zurückführte und „Treue" als die Bindung eines Vertrages zwischen Gott und dem Mensch darstellte, blieb es nicht nur bei einem Kopfschütteln, sondern kam zum direktem Widerspruch aus historischer, ökonomischer und biologischer Sicht. Es war eine sehr interessante Situation, zu erleben, wie an einer Auffassung, dass der Mensch mittlerweile kulturell überformt sei, alle bekannten biologischen Bedingtheiten des Menschen, seien es Reaktionen auf hormonelle Einflüsse, der Bedingtheit durch das Freisetzen von sexuellen Botenstoffen, den individuellen Kosten-Nutzen-Kalkülen, etc. schlicht an einer kulturellen Ignoranz abprallen können.

Insofern können solche Veranstaltungen nicht hoch genug gelobt werden, in denen über die ‚Tellerränder' der Disziplinen geschaut werden kann und es dadurch deutlich wird, wann ein Diskurs stattfindet, sich entwickelt und wann nicht.

Es ist der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu wünschen, auch in den kommenden Jahren genügend Mittel und Sponsoren für solche Veranstaltungen zu bekommen.

C.F.

 

Fotografien (c) Evelin Frerk