Ethik für nackte Affen

FRANKFURT. (hpd) „Evolutionärer Humanismus und die Suche nach dem Sinn." Vortrag von Dr. Michael Schmidt-Salomon am 6. März 2009 im Saalbau Bornheim / Frankfurt am Main.


Bericht und Kommentar von Jochen Beck

Vor vielen Jahren, als BWL-Student, verbrachte ich einen Rosenmontagsabend mit Freunden auf der Faschingsfeier des Fachbereiches Physik. Neugierig ging ich in die „Klingonische Bar" und bestellte eine „Ferengi-Brille" mit „takarianischem Dessertschleim" und „antedianischem Grog" (die Speisekarte wurde jedenfalls nicht von einem Freund des Rheingau entworfen, wenn Sie verstehen, was ich meine). Es dauerte etwas, bis ich gewahr wurde, dass ich den weiblichen romulanischen Prätor neben mir noch von dem Schopenhauer-Seminar her kannte. Wir sprachen über das Schaubild des einstigen Seminarraumes mit den 50 Philosophen von Weltgeltung, beginnend mit Heraklit bis hin zu Karl Popper. Nach dem dritten romulanischen Ale sagte sie mir, wenn ich eines Tages das Gefühl habe, ich würde durch die Augen meines anderen, in einem Paralleluniversum lebenden, „Ich" den jungen Immanuel Kant beim Billardspielen in Königsberg oder Friedrich Schiller bei einer Balladenlesung in Weimar sehen, dann wäre dies der Moment, wo ich gerade einem jungen Philosophen begegne, der in tausend Jahren selbst auf einem solchen Schaubild zu sehen sein wird. Ich war hinsichtlich dieser Einschätzung immer sehr skeptisch. Aber am letzten Freitag im „Klabunt" merkte ich! Es stimmt!


Zum Auftakt ihrer zweiten Vortragsreihe hatten die Frankfurter GBS-Freunde und ihre Partner von der DiKOM die Freude, Dr. Michael Schmidt-Salomon, den Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, als Referenten zu dem Themenkomplex seines neuen, im Herbst erscheinenden Buches, über die Sinnfrage aus naturalistischer Sicht und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Begründung evolutionär-humanistischer Ethik, präsentieren zu können. Mit diesem Referenten hatten die Veranstalter sich den schillerndsten Vertreter der säkularen Szene in Deutschland verpflichtet.

Die Autorenvita des 41-jährigen studierten Pädagogen und promovierten Philosophen reicht von einem aufgrund des „Gotteslästerungsparagraphen" verbotenen Musical (eine Hommage an Frank Zappa), über die Abfassung des „Manifest des evolutionären Humanismus", worin er für eine aufklärerisch-humanistische Leitkultur plädiert, bis hin zur Textautorschaft der religionskritischen Kinderbücher „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" und „Susi Neunmalklug erklärt die Evolution". Ersteres wollte vor einem Jahr das Bundesfamilienministerium als kinder- und jugendgefährdend indizieren lassen, ging damit aber bei der Bundesprüfstelle sang- und klanglos unter. Zwischendurch schrieb er auch den Roman „Stollbergs Inferno". Hier träumt ein sterbender atheistischer Philosoph davon, während die Ärzte um sein Leben ringen, er wäre schon tot und befinde sich in einem Jenseits, welches verblüffenderweise tatsächlich weitgehend nach den Angaben der katholischen Eschatologie organisiert ist, worauf er eine Verschwörung mit rebellierenden Engeln plant, die von ihrem engstirnigen Tyrannen die Nase voll haben. Sein Portfolio wird noch durch die paradoxe Phantasie seiner Gegner erweitert. Als er der Gründung des Zentralrates der Ex-Muslime sekundierte, beschimpfte ihn die iranische Presse als zionistisch-israelischen Agenten. Das Bundesfamilienministerium dagegen begründete seinen unerklärlichen Indizierungsantrag, indem es ihm wegen des Rabbi, der den Helden des Buches die Geschichte von der Sintflut erzählt, Antisemitismus vorwarf.

Nach einer warmherzigen Einführung seitens Thomas Wessely, erläuterte Schmidt-Salomon dem Publikum des vollbesetzten Saales eingangs, dass eine naturalistische Weltsicht dem Dasein keinen objektiven Sinn zusprechen könne, das Universum also „sinnleer" sei. Hierbei griff er vor allem auf die Bedeutung des Zufalles in der Natur und auf das völlige Fehlen jedweder Zielgerichtetheit zurück. Auch eine noch so unbedeutend erscheinende Begebenheit, wie das Verschlafen eines antiken griechischen Bauern, der dadurch die Frau seines Lebens nicht kennenlernte, hat die Existenz der sich im Saal befindlichen Personen überhaupt erst möglich gemacht. Unsere Erde als ein kleines Staubkorn am Rande der Milchstraßengalaxie, die 100 bis 200 Milliarden Sterne umfasst, die - wahrscheinlich noch vor dem Übergang der Sonne in das Stadium des Roten Riesen - mit der fünfmal größeren Andromeda-Galaxie kollidieren wird, als die Wohnstatt einer „Krone der Schöpfung" zu betrachten, sei ebenso absurd wie von einem „intelligenten Design" zu sprechen, wenn die gesamte gegenwärtige Ausprägung des höheren irdischen Lebens seine Existenz dem Einschlag eines zehn Kilometer großen Meteoriten vor 65 Millionen Jahren und dem Überleben beutelrattenartiger Ursäuger verdankt. Und dabei sind die genannten Galaxien nur zwei von schätzungsweise 100 Milliarden und das Universum vielleicht nur eine Untereinheit eines unendlichen Multiversums.

Dieses ernüchternde Fazit sieht der Referent trotzdem als eine Basis für eine frohe Botschaft: Denn wenn das Dasein keinen objektiven Sinn hat, kann nichts den Menschen davon abhalten, den Sinn subjektiv aus sich selbst zu schöpfen. Eine Antwort auf die so gestellte Sinnfrage kann aber für den Menschen angesichts seiner biologischen Verankerung als Gruppenwesen nicht allein vom Individuum her gegeben werden. Vielmehr prädestiniert die den meisten Menschen zueigene Empathiefähigeit - zueigen weil sie eben auch Selektionsvorteile bietet - den Menschen dazu, ein sinnerfülltes Leben am ehesten in einer Welt finden zu können, in der das Leid minimiert wird. Altruismus wird somit zum „cleveren Egoismus". Nichtsdestotrotz können Interessenskonflikte auftreten, besonders durch Individuen, bei denen diese Fähigkeiten in geringem Maße vorhanden sind. Damit kam natürlich das Problem der Willensfreiheit auf den Plan, denn diese wird eben fraglich, wenn für Ethik entscheidende Fähigkeiten wie Mitfreude und Mitleid letztlich durch Gene und Lernerfahrungen determiniert werden. Schmidt-Salomon verwies hierzu auf Erkenntnisse der modernen Hirnforschung, welche die Freiheit des Willens als obsolet erscheinen lasse. Allerdings erkannte bereits Immanuel Kant die Aussichtslosigkeit der Willensfreiheit, trotzdem glaubte er dieselbe postulieren zu müssen. Besondere Anerkennung zeigte der Referent für Arthur Schopenhauer, der bereits die ausschlaggebende Bedeutung der Mitleidsfähigkeit für die Ethik aufzeigte und auch die Willensfreiheit negierte.

Mit der Irrelevanz dieser Freiheit erweist sich auch das Paradigma von Gut und Böse als überholt. Schmidt-Salomon unterscheidet zwischen „Moral" und „Ethik", für ihn sind die Begriffe nicht austauschbar. In der „Moral" wird einer Handlung gemäß dem Gebrauch der angeblichen Willensfreiheit eine subjektive Wertigkeit im Sinne von „gut" oder „böse" zugesprochen. Im Gegensatz dazu geht es in der „Ethik" darum, einen fairen Interessenausgleich zwischen determinierten Konfliktgegnern, durch Klärung der objektiven Angemessenheit einer Handlung, zu ermöglichen. Hierbei wird unter anderem die Eintrittswahrscheinlichkeit einer unethischen Handlung durch Sanktionen, welche ethisch konstruktive Lernerfahrungen erzeugen, minimiert. Ein solches Verfahren - frei von moralisierender Herabsetzung - dient der Versachlichung und hindert die Konfliktparteien daran, sich gegenseitig zu dämonisieren und Eskalationsspiralen anzutreiben.

Nach dem Vortrag stand der Referent noch eine Stunde dem Publikum Rede und Antwort.
Anschließend fanden sich die Veranstalter und einige Gäste mit ihm in dem gemütlichen Lokal „Klabunt" ein. Hier bot sich auch die Gelegenheit, etwas persönlichere Fragen zu stellen. Habe er, als er die Szene in „Stollbergs Inferno" schrieb - wo Albert Schweitzer und Co. in der Vorhölle für liberale Protestanten eine Sitzblockade machen, um den Abtransport Ludwig Feuerbachs zur Selektionsrampe für das Inferno zu verhindern - nicht vielleicht doch irgendein Gras geraucht? Nein, er war völlig clean, aber er habe dabei wirklich Tränen gelacht.

Über das Geschenk der Gruppe war er sehr erfreut. Es handelte sich um Literatur zur gegenwärtigen Weltfinanzkrise. Man hatte ihm bereits vor dem Auspacken darauf vorbereitet, dass es sich um ökonomische Literatur handelt. Er gestand, er habe sich zunächst ganz schön erschrocken. Er dachte nämlich, er bekomme zum wiederholten Male „Das Kapital" überreicht, weil er in Trier aufwuchs.

Die Säkularen Humanisten Rhein-Main treffen sich wieder in Frankfurt am Main, am
20.03.2009 um 19:00 Uhr, in einem gemieteten Saal des wohlbekannten Club Voltaire, in der Hochstraße.
Der nächste Termin der Vortragsreihe ist am 03.04.2009 um 20:00 Uhr, siehe hierzu auf
www.saekulare-humanisten.de.