Frühjahrstagung in Weser-Ems

TOSSENS. (hpd/HVD) Gegenstand der diesjährigen Frühjahrstagung des Humanistischen Regionalverbandes Weser-Ems war die kritische Auseinandersetzung über mögliche Maßnahmen, gefährdete Mädchen effektiv vor Genitalverstümmelung (Female Genital Mutulation, FGM) zu schützen.

 

Für seine 90. Arbeitstagung am 14./15. März hatte der Humanistische Regionalverband Weser-Ems die Referentin Ines Laufer von der TaskForce zur effektiven Prävention von Genitalverstümmelung in das Nordseebad Tossens eingeladen.

Engagierte Humanisten kamen aus Orts- und Kreisverbänden von Wilhelmshaven bis Osnabrück, um zu lernen, was man tun kann, tun darf und tun muss, um von Genitalverstümmelung bedrohte Mädchen zu schützen. Die Teilnehmer wurden nicht enttäuscht. Die passionierte Referentin, die sich seit 15 Jahren mit der Thematik beschäftigt, überzeugte durch ihre Sachkenntnis und ihre Bereitschaft, auf alle Fragen und kritischen Einwände einzugehen.

Allein in Deutschland sind bis zu 50.000 Mädchen von Genitalverstümmelung bedroht. Es ging aber auch eine Verbesserung der Lage in den Ländern, in denen zum Teil nahezu die gesamte weibliche Bevölkerung dieser menschenrechtswidrigen Praxis ausgeliefert ist.
Was bedeutet weibliche Genitalverstümmelung?

Auf eine detaillierte Darstellung der weiblichen Genitalverstümmelung selbst wurde auf der Tagung bewusst verzichtet, da nicht eine lähmende Betroffenheit über die Praxis im Mittelpunkt stehen sollte, sondern die Hintergründe und vor allem eine besonnene Bewertung möglicher Präventionsmaßnahmen.
Die Genitalverstümmelung von Minderjährigen stellt eine schwere Verletzung des Menschenrechtes auf körperliche Unversehrtheit dar und ist nach dem Strafrecht aller Staaten der Europäischen Union eine Straftat. Der Eingriff, der faktisch eine Amputation weiblicher Geschlechtsteile darstellt, erfolgt meist vor oder während der Pubertät ohne medizinische Indikation, geht oft mit starken Schmerzen einher und kann weitere schwere körperliche und psychische Schäden verursachen und sorgt für eine verkürzte Lebenserwartung der erwachsenen Frauen, wenn das Opfer nicht schon während des Eingriffs verstirbt.
Die Gesellschaften, in denen teilweise 80% bis nahezu 100% der weiblichen Bevölkerung verstümmelt sind, erstrecken sich von West nach Ost quer über den „islamischen Gürtel“ Afrikas. Genitalverstümmelung ist aber kein rein afrikanisches Phänomen, sie wird auch in islamischen Gesellschaften Asiens, z.B. im Irak, Iran und in Indonesien, sowie auch in entsprechenden Bevölkerungsgruppen in ganz Europa und Nordamerika praktiziert.
Gleichzeitig ist zu bemerken, dass in diesen Gesellschaften nicht ausschließlich Muslime betroffen sind. Im Zweifel schützen auch die Zugehörigkeit zu christlichen Gemeinschaften, Wohlstand, hohe Bildung, das moderne Stadtleben oder gar gesetzliche Verbote nicht.

Eine Spirale akzeptierter Gewalt

Der Grund für diese Massenverstümmelung scheint aus westlicher Sicht zunächst eine kulturell verankerte und somit vielleicht sogar zu respektierende Sitte. Es ist aber vielmehr ein sich selbst stabilisierender Teufelskreis der Gewalt gegen Frauen:

  • Das wiederkehrende, meist unausgesprochene Motiv der Aufrechterhaltung der Genitalverstümmelungspraxis ist die Kontrolle und Unterdrückung der weiblichen Sexualität, oft versteckt hinter den Euphemismen Jungfräulichkeit, Treue und Keuschheit.
  • Als Legitimation werden religiöse Traditionen, das Prinzip der Reinheit, Ästhetik und diverse Mythen angeführt.
  • Die Tabuisierung der Praxis sorgt dafür, dass die Opfer weder fragen noch hinterfragen.
  • Repressionen bis zur Entziehung der Existenzgrundlage machen es den einzelnen Müttern und Töchtern nahezu unmöglich, aus dem Kreis auszuscheren.
  • Der gesellschaftliche Rahmen jedoch ist es, der das System letztlich aufrecht erhält: die umfassende Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen und Kindern.

Auf diese Weise erfährt das Motiv eine perfekte aber perfide Umsetzung.

Effektiver Schutz für Mädchen in Deutschland

Wer glaubt, dieses Problem ereigne sich lediglich in Afrika, der irrt. Allein in Deutschland sind 30.000 bis 50.000 minderjährige Mädchen von Genitalverstümmelung bedroht. Von ihnen werden 35-80 % tatsächlich verstümmelt. Zu diesem Zweck werden rund 90 % von ihnen in das Herkunftsland der Eltern zu einem Besuch der Familie überführt. Oft bleiben sie dort, wo sie zwangsverheiratet werden.

Von 30.000 bis 50.000 gefährdeten Mädchen werden derzeit lediglich 10 geschützt. Die anderen fallen durch das Netz derer durch, die eine potentielle Gefahr melden könnten, wie Nachbarn, Lehrer, Ärztinnen und Sozialarbeiter und das Jugendamt.

Dabei gebietet es die Rechtslage schon heute, das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern einzuschränken, wenn einem Kind allein aufgrund einer hohen Verstümmelungsrate im Herkunftsland eines der Elternteile diese schwere Menschenrechtsverletzung droht. Dies wurde seit einigen Jahren mehrfach von Amtsgerichten angeordnet und auch so begründet.

Derzeit ist die Vermeidung solcher Menschenrechtsverletzungen noch auf die Zivilcourage Einzelner angewiesen, die, von Gewissensbissen geplagt, sich oftmals in der Rolle eines Denunzianten wähnen. Dieses Bild wird durch die Berichterstattung in den Medien gefördert. Um den Bürgern diese Last zu nehmen und die Einhaltung der Grundrechte zu gewähren, muss der Staat seiner Schutzfunktion gegenüber Kindern besser nachkommen.

Das Ziel der TaskForce, alle in Deutschland gefährdeten Mädchen zu schützen, ist realisierbar, würden folgende Maßnahmen implementiert:

  • Festlegung der Risikogruppe
  • Regelmäßige, obligatorische Kontrolluntersuchungen durch Amtsärzte
  • Gesetzliche ärztliche Meldepflicht bei drohender und erfolgter Verstümmelung
  • Generelles Ausreiseverbot für Mädchen der Risikogruppe in die Heimatländer der Eltern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Grundlage bilden bestehende Gerichtsbeschlüsse, z.B. des Bundesgerichtshofes (BGH).

Diese Maßnahmen stehen zum Teil im Widerspruch zu anderen im Grundgesetz verankerten Grundrechten, wie z.B. der Reisefreiheit. Jedoch genießt das Recht auf körperliche Unversehrtheit eindeutig Vorrang.

Die Thematisierung dieser Widersprüche, wie auch der inneren emotionalen Widerstände Einzelner, sich derart konsequent für den Schutz einzusetzen, zeichnete die offene und gute Diskussion der Tagung aus.

(Der hpd berichtete bereits ausführlich über einen früheren Vortrag der Referentin zu effektiver Prävention in Deutschland.)

Schutz für Mädchen in betroffenen Entwicklungsländern

Der Großteil der Länder, in denen Genitalverstümmelung weit verbreitet ist, sind so genannte Entwicklungsländer, die von den Industrieländern Subventionen erhalten.
Diese Gelder kommen entweder direkt aus Steuergeldern (600 Millionen Euro in Deutschland) oder werden durch sogenannte NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) wie z.B. Unicef oder Welthungerhilfe aufgebracht und verteilt. Das gemeinsame Ziel staatlicher wie nicht-staatlicher Entwicklungshilfe ist es, die nachhaltige Entwicklung in den Nehmerländern zu fördern. Stichworte wie Hilfe zur Selbsthilfe, Hebung des Lebensstandards und auch Bildung und Aufklärung werden in diesem Zusammenhang genannt.

Die Rahmenbedingungen, die solche Gesellschaften maßgeblich in ihrer Entwicklung lähmen, nämlich mit Gewalt aufrecht erhaltene autoritäre Strukturen, werden praktisch unangetastet gelassen. Die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte, wie der effektive Schutz vor Genitalverstümmelung, ist in der Praxis keine Voraussetzung für die Überweisung von Steuergeldern an Nehmerländer.

Dies widerspricht der Eigendarstellung des für Entwicklungshilfe zuständigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ):
„Millionen Frauen, Männer und Kinder in Entwicklungsländern können ihre Lebenssituation nicht aus eigener Kraft ändern, weil ihnen grundlegende Menschenrechte verweigert werden. Wo Menschenrechte verletzt werden, ist eine Entwicklung, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht möglich. Wer Menschenrechte stärkt, fördert Entwicklung. Das Recht auf Entwicklung ist ein unveräußerliches Menschenrecht.“
Ähnliches gilt für Hilfsorganisationen, die anbieten, Pate eines Kindes zu werden, wie Plan International, World Vision oder Kindernothilfe (mit einem Spendenaufkommen von jeweils rund 80 bis 100 Mio. Euro jährlich). Sie werben damit, Lebenssituation der Patenkinder zu verbessern, nehmen aber den von Menschen verursachten und vermeidbaren drastischen Eingriff einer Verstümmelung in Kauf. Das bedeutet, dass Mädchen, die eine Patenschaft erhalten, genauso verstümmelt werden wie andere auch.

Dabei haben diese Organisationen einen Hebel in der Hand, mit dessen Hilfe sie ohne großen Aufwand oder Investitionen eine spürbare Verbesserung der Situation durchsetzen könnten: es sollten nur solche Gemeinschaften unterstützt werden, die bereit sind, die Praxis der Genitalverstümmelung aufzugeben und so als gutes Beispiel auf andere Gemeinschaften auszustrahlen.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Wenn Deutschland es nicht schafft, die Gewährung von Entwicklungshilfegeldern praktisch an die Einhaltung von Menschenrechten zu knüpfen, noch den Verstümmelungstourismus abzustellen, dann werden die öffentliche Verurteilung der Verstümmelungspraxis durch Politiker aller Fraktionen, als auch die Ermahnung entsprechender Länder auch auf höchster diplomatischer Ebene unglaubwürdig.

Was können Einzelne in Deutschland tun?

Eine gute Nachricht ist die, dass Einzelpersonen Mittel in der Hand halten, die Situation sowohl in Deutschland, als auch in den entsprechenden Entwicklungsländern positiv zu beeinflussen:

  • öffentlich Einspruch erheben (z.B. durch einen Leserbrief), wenn Genitalverstümmelung als selbst gewählte, kulturelle Sitte verharmlost wird oder diejenigen diffamiert werden, die sich für konsequenten Schutz einsetzen;
  • Mandats- und Funktionsträger in entsprechenden Ausschüssen bzw. Ämtern direkt auf ihre Verantwortung hinweisen (z.B. über abgeordnetenwatch.de);
  • Bedingungen an Hilfsorganisationen stellen, unter denen man zu spenden bzw. eine Patenschaft einzugehen bereit ist;
  • Prominente, die sich öffentlich für Hilfsorganisationen einsetzen, z.B. als Schirmherr, auf mangelnden Einsatz für Menschenrechte ansprechen.

Ein Thema des politisch aufgeklärten, praktischen Humanismus

Für Humanisten stehen die unveräußerlichen, individuellen Menschenrechte im Mittelpunkt aller Bemühungen. Daraus folgt die klare Absage an kulturrelativistische oder sogar rassistische Argumentationen, die Mitgliedern anderer Kulturen grundlegende Menschenrechte absprechen.

Das Präventionsprogramm der TaskForce verdeutlicht beispielhaft, wie Leid durch durchdachtes Vorgehen effektiv vermindert oder vermieden werden kann. Eine besonnene, undogmatische Abwägung möglicher Schritte zur Verbesserung der Situation ist dafür unumgänglich, auch und gerade wenn die Problemlösung andere Grundrechte tangiert.

So zeigte sich der 1. Vorsitzende des Regionalverbandes Weser-Ems, Hartmut Meyer, begeistert vom Verlauf der Tagung: „Meine Erwartungen an dieses Wochenende wurden weit übertroffen. Ich kann Ihnen, Frau Laufer, versichern, dass Sie mit uns Humanisten in Weser-Ems entschiedene Mitstreiter für Ihren Kampf gegen die Genitalverstümmelung gefunden haben.“

Es sind bereits weitere öffentliche Veranstaltungen in der Region in Planung.

Anne Fleßner und Lutz Renken