(hpd) Über 1000 Ärzte, Wissenschaftler und Akademiker protestieren in einem Manifest gegen die geplante Liberalisierung der Abtreibungsgesetze in Spanien. Die Wissenschaft besitze „überwältigende Beweise, dass das menschliche Leben mit der Befruchtung beginnt", sagen sie. Überwältigend, wie viele Intellektuelle bereitwillig die Wissenschaft in den Dienst ihrer religiösen Ideologie stellen.
Ein Kommentar von Andreas Müller
Der spanische Ministerpräsident Zapatero ist der frommen Fraktion ein beständiger Dorn im Auge. Momentan verschickt das spanische Gesundheitsministerium eine Million Kondome nach Afrika, kurz nachdem B16 die Welt davon in Kenntnis gesetzt hat, dass Verhütung das Aids-Problem nur weiter verschärfe. Und nun möchte Zapatero Rechtssicherheit bei der Abtreibungsproblematik schaffen und den Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Woche ohne Begründungszwang legalisieren. Ab 16 Jahren brauchen Mädchen zudem keine Zustimmung ihrer Eltern mehr, um abtreiben zu lassen.
Im Prinzip sind die Schwangerschaft und ihr Abbruch ernsthafte Themen, über die man sich einen entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs wünschen könnte, um zu einer Regelung zu gelangen, die den Beteiligten ein höchstmögliches Maß an Selbstbestimmung ermöglicht, ohne zugleich ethische Grenzen zu übertreten. Auch manche Atheisten wie Christopher Hitchens vertreten schließlich eine, obgleich sehr moderate, Position, welche der Abtreibungspraxis kritisch gegenübersteht. Hitchens zufolge sei „ungeborenes Kind" ein sinnvolles Konzept und Föten seien nicht vergleichbar mit Blinddarmen oder Tumoren, was ein Teil der feministischen Bewegung offenbar tatsächlich behauptet. Auch müsse man die Empathie, die wir instinktiv gegenüber Föten empfinden, auf jeden Fall ernstnehmen, ob sie nun ein hinreichender Grund gegen Abtreibung ist oder nicht.
Die Seele der Auseinandersetzung
Leider können wir diese Debatte aber nicht führen, weil Vertreter der christlichen Konfessionen eine Zirkusattraktion aus der Abtreibung gemacht haben. Sowohl Kardinal Meisner, als auch Bischof Mixa, fanden es sinnvoll, die Abtreibung mit dem Holocaust zu vergleichen. In diesem Bild würden abtreibende Mütter und die verantwortlichen Ärzte „mit KZ-Massenmördern gleichgestellt - das ist an Perfidie nicht mehr zu überbieten", sagte Generalsekretär Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden dazu. Allerdings sind die Aussagen von Meisner und Mixa keineswegs so verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, auf welchen Glaubensüberzeugungen sie basieren.
In der christlichen Vorstellungswelt flößt Gott nämlich dem Menschen bei der Empfängnis die Seele ein. Wann genau er das tut, ist unklar, schließlich ist die Empfängnis ein längerer Prozess und kein fixer Zeitpunkt. Auf jeden Fall irgendwann „ganz am Anfang". Und diese Seele ist es, die den Menschen zum Menschen macht. Da Tiere nicht über ein solches mystisches Etwas verfügen, darf man mit ihnen laut herkömmlicher christlicher Deutung tun, was immer man will. Die Seele, man braucht es kaum zu erwähnen, ist kein Produkt der Evolution, was auch immer sie stattdessen darstellen soll. Die Neurowissenschaften negieren die Existenz einer Seele schon lange. Es ist inzwischen klar, und wird immer deutlicher, dass unsere „Seele", Persönlichkeit, Psyche und unser Bewusstsein Produkte unseres Gehirns sind.
Geht man nun allerdings, wie gläubige Christen, davon aus, dass die Seele der Grund ist, warum Menschen das Lebensrecht zugesprochen wird, so ist Abtreibung natürlich Mord. Was denn auch sonst? Insofern die Abtreibung aus einer Notlage heraus vorgenommen wird, könnte man das Urteil allenfalls auf „Totschlag" senken. Trotzdem wäre anzumerken, dass kaum ein Abtreibungsgegner die Frage beantworten kann, wie man den Schwangerschaftsabbruch denn nun eigentlich bestrafen soll - kaum jemand fordert dafür die selbe Strafe wie für Mord im herkömmlichen Sinne. Trotz dieser Heuchelei kann man gläubigen Christen insgesamt nicht vorwerfen, dass sie ihre Meinung dem christlichen Weltbild entsprechend äußern, sondern dass sie überhaupt ein so unsinniges Weltbild haben.
Total gegen Abtreibung
Der Vatikan und somit die katholische Kirche lehnt den Schwangerschaftsabbruch kategorisch in allen Fällen ab, selbst bei einer Vergewaltigung der Mutter oder wenn die Mutter gerade einmal neun Jahre alt ist und obendrein auch noch vergewaltigt wurde. Unter Protestanten (und unter Katholiken, die keine Ahnung haben, was sie alles glauben müssen, um sich so nennen zu dürfen) gibt es teils moderatere Ansichten, allerdings sind auch sie kaum je ausgesprochene Befürworter eines Rechts auf Abtreibung. Das käme im christlichen Weltbild schließlich einer Befürwortung von Mord gleich.
Was auch immer man von der Abtreibung hält und bis zu welchem Grade man sie auch erlauben möchte: Die dogmatische und ausnahmslose Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund der behaupteten Existenz einer übernatürlichen Seele ist absurd. Die Idee einer Seele steht unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen diamentral entgegen und hat in einer ernsthaften Debatte nichts zu suchen. Akademiker, die etwas anderes behaupten, machen sich damit in etwa so glaubwürdig wie ein Konzertpianist beim Musikantenstadl.