Der Geist in der Maschine

(hpd) Der frei über das Internet verfügbare Bericht „Whole Brain Emulation: A Roadmap“ ist eine Zusammenfassung der Vorträge und Diskussionen eines  Workshops, der im Mai 2007 im „Future of Humanity Institute“ an der Universität Oxford stattfand. Es handelt sich um einen naturwissenschaftlichen Beitrag über die potentielle Möglichkeit der Kopie und Simulation eines menschlichen Gehirns in einem Computer.

Eine Rezension von Bernd Vowinkel

Der Bericht ist frei von ethischen und weltanschaulichen Bewertungen. Insofern kann ihm keine Ideologie unterstellt werden. Er passt zwar in das Weltbild des Transhumanismus, aber es wird dafür nicht explizit geworben. Naturgemäß sind Teile des Berichts spekulativ, da er sich mit der zukünftigen Weiterentwicklung der beteiligten Technologien befasst. Dennoch sind diese Spekulationen naturwissenschaftlich und technologisch gut fundiert, da sie keine völlig neuen Technologien oder naturwissenschaftlichen Erkenntnisse voraussetzen, sondern nur den derzeitigen Stand der Technik über ein paar Jahrzehnte hinweg extrapolieren. Es wird auch nicht behauptet, dass es prinzipiell möglich ist, ein komplettes Gehirn im Computer zu simulieren, sondern es wird nur aufgelistet, welche Probleme dazu noch gelöst werden müssten. Es wird damit auch durchaus die Möglichkeit eingeräumt, dass es unüberwindliche Hindernisse geben könnte.

Die Simulation des gesamten Gehirns eines individuellen Menschen in einer Maschine wird in der Science-fiction-Literatur häufig als „Upload“ bezeichnet. Die dahinter stehende Idee ist die, dass man mit einem „Scanner“ also einem Abtastgerät, den gesamten Aufbau eines menschlichen Gehirns registriert und mit dieser Information dann in einem Computer die Funktion mit allen individuellen Eigenschaften bis hin zum Ich der Person simuliert. Gelingt diese Simulation so perfekt, dass man keine wesentlichen Unterschiede mehr zur geistigen Funktion des biologischen Hirns feststellen kann, so spricht man von einer Emulation. Diese Emulation würde dann über das gleiche Ich und über das gleiche Bewusstsein wie das des abgetasteten Gehirns bzw. der Person verfügen. Diese Idee erscheint den meisten Menschen als prinzipiell völlig undurchführbar und Wissenschaftler, die diese Idee ernsthaft vertreten, werden daher häufig als naive Spinner angesehen.

Skepsis ist verständlich

Zunächst ist diese Skepsis durchaus verständlich, denn der Scanner müsste ja etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) abtasten von denen jede im Mittel ungefähr Zehntausend Verbindungen zu den anderen Nervenzellen hat. Bei diesen Verbindungen sind die so genannten Synapsen entscheidend für Informationsübertragung und Verarbeitung. Dabei spielen chemische Substanzen (Neurotransmitter) eine wichtige Rolle. Nach der Erfassung dieser riesigen Datenmenge müsste man dann daraus das gesamte neuronale Netz im Computer rekonstruieren und zum Funktionieren bringen. Diese Aufgabe ist insgesamt so gewaltig, dass sie alle bisherigen wissenschaftlichen Großprojekte in den Schatten stellt. Aus diesem Grund wird man das Problem nur schrittweise lösen können und an ersten Schritten wird bereits intensiv an vielen renommierten Forschungsinstituten gearbeitet. Ein Beispiel ist das Blue Brain Projekt
an der Universität Lausanne, bei dem der Versuch unternommen wird, ein Rattenhirn zu rekonstruieren. Bereits diese ersten Schritte zeigen, dass eine erfolgreiche Realisierung des „Uploads“ durchaus denkbar ist. Insofern liegt die Naivität wohl eher bei den Kritikern des Projektes.

Nach dem Bericht ist die erste große Frage, die beantwortet werden muss: bis zu welchen Details muss man ein biologisches Gehirn abtasten, um seine Funktion hinterher ohne irgendwelche Einbußen rekonstruieren zu können? Die Mindestanforderung ist sicherlich ein räumliches Auflösungsvermögen, das in der Lage ist, einzelne Neuronen mit all ihren Verbindungen bzw. Synapsen aufzulösen, d.h. Bruchteile eines Tausendstels eines Millimeters. Nichtinvasive Techniken sind dazu auf absehbarer Zeit nicht in der Lage. Um die besagte Auflösung mit Hilfe elektromagnetischer Strahlung zu erreichen, müsste man energiereiche Röntgenstrahlung verwenden, die aber das Hirngewebe schädigen würde. Die Kernspintomographie erreicht bei weitem nicht die nötige räumliche Auflösung. Erheblich bessere Chancen bieten invasive Techniken. Ein Beispiel dazu sind die Arbeiten, die derzeit am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und in amerikanischen Forschungslabors gemacht werden. In diesen Instituten versucht man, ein Fliegenhirn im Computer zu rekonstruieren, indem man es tief gefroren mit einem so genannten Mikrotom (Mikrohobelmaschine) in dünne Scheiben von 30 Nanometer Dicke zerlegt und diese Scheiben dann mit einem Rasterelektronenmikroskop automatisch abtastet. Im Computer wird aus diesen Daten dann das neuronale Netz des Gehirns rekonstruiert. Inwieweit dieses Verfahren in der Lage ist, die Funktion des Gehirns fehlerfrei zu rekonstruieren, wird sich vermutlich innerhalb der nächsten Jahre herausstellen. Unser Gehirn ist zwar mehr als hunderttausend Mal größer, aber wenn die Rekonstruktion beim Fliegenhirn funktioniert, so sollte sie auch beim Menschen möglich sein. Es wäre dann lediglich eine Frage des Aufwandes.

Erforderliche Rechenleistung ist vorhanden

Gelingt die Erfassung sämtlicher relevanter Daten eines Gehirns, so ist die nächste Frage, welche Rechenleistung ein Computer haben muss, um mit diesen Daten sämtliche Hirnfunktionen nachzuvollziehen. Eine grobe Abschätzung der Rechenleistung unseres Gehirns kann man dadurch erreichen, dass man die Rechenleistung der Netzhaut, die einigermaßen genau abgeschätzt werden kann, auf die gesamte Hirnmasse hochrechnet. Das Ergebnis liegt dann in der Größenordnung von 10 Millionen MIPS (Mega Instructions per Second), mit einer Genauigkeit von etwa einer Größenordnung. Diese Leistung wird schon jetzt von Großrechenanlagen weit übertroffen und unsere Personal Computer werden diesen Wert in wenigen Jahren erreicht haben. Allerdings ist die erforderliche Rechenleistung für die Emulation eines individuellen menschlichen Gehirns vermutlich um mehrere Größenordnungen höher. Dennoch wird auch diese Rechenleistung in spätestens ein bis zwei Jahrzehnten zur Verfügung stehen.

Es gibt inzwischen schon eine ganze Reihe von Projekten bei denen biologische neuronale Netze simuliert werden. Die umfangreichsten erreichen bereits die Größe des menschlichen Hirns, enthalten aber Vereinfachungen und arbeiten noch erheblich langsamer. Ein Beispiel sind die Arbeiten von Izhikevich. Diese Simulationen sind allerdings keine von einem biologischen Original kopierten neuronalen Netze, sondern sie sind nur nachempfunden.

Eine Abschätzung, wann die erste erfolgreiche Emulation eines menschlichen Gehirns gelingen könnte, hängt sehr stark davon ab, bis zu welchen Details im Aufbau der Neuronen man gehen muss. Nach dem derzeitigen Stand der Technik und der Kenntnis der Abläufe in den Neuronen würde man etwa drei bis fünf Jahrzehnte schätzen. Aber das ist dennoch im Moment reine Spekulation.

Entwicklung eines eigenen Bewusstseins?

Falls eine Emulation eines menschlichen Gehirns gelingen sollte, so würde sich die Frage stellen, ob diese Emulation auch ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Zunächst einmal müsste man diesen „Geist“ auch mit einem Körper mit Sinnesorganen und einem Bewegungsapparat versehen. Dies könnte entweder virtuell, d.h. in Form zusätzlicher Software oder reell durch die Verbindung zu einem künstlichen Körper, d.h. einem Roboter geschehen. Weiterhin müsste sich dieser Körper in einer entsprechenden „Welt“ bewegen können. Auch dies könnte zunächst in virtueller Form angelegt werden. Diese Zusätze verlangen nur eine vergleichsweise geringe Rechenkapazität und stellen kein ernsthaftes Problem dar. In Computerspielen und in virtuellen Welten (z.B. Second Life) ist dies heute schon realisiert, wenn auch noch mit erheblichen Qualitätsproblemen.

Anhänger des Geist-Körper-Dualismus und hier insbesondere Theologen werden wohl auf dem Standpunkt verharren, dass die Emulation keinen wahren Geist besitzt, sondern nur irgendetwas tut, was bestenfalls so aussieht, als ob ein menschlicher Geist dahinter steht. Unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist im Moment nur eine Testmöglichkeit bekannt und akzeptiert und zwar der so genannte Turing-Test. („Können Maschinen denken?“) Besteht die Emulation den Test, so ist ihr der gleiche Rang wie der eines Menschen einzuräumen.

Unabhängig davon wie die Entwicklung weitergeht, sie ist es wert, durchgeführt zu werden, denn sie wird zu einer tieferen Einsicht in die Funktionsweise unseres Gehirns führen bis hin zu den Fragen nach Bewusstsein, Ich-Identität und Willensfreiheit. Insofern ist sie von größtem wissenschaftlichem Interesse. Die Erzeugung der besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns ist neben dem Problem der Vereinheitlichung der vier Grundkräfte der Natur das letzte große Rätsel der Natur. Am Ende wird voraussichtlich die endgültige und restlose Entmystifizierung des Geistes stehen und womöglich ein neues Zeitalter mit ungeahnten Möglichkeiten aber auch neuen Gefahren und Problemen.

Insgesamt gibt der Bericht einen sehr guten Überblick über den Stand der Technik der Rekonstruktion von biologischem Hirngewebe. Er zeigt, dass keine völlig neuen Technologien oder wissenschaftliche Erkenntnisse notwendig sind, sondern dass man nur eine Verbesserung der Effektivität der beteiligten Technologien und der Rechenleistung der Computer braucht. Um diese Dinge vorauszusehen braucht man kein Prophet zu sein und es handelt sich bei der Extrapolation auch keineswegs um reine Science Fiction.

Sandberg, A. & Bostrom, N. (2008): Whole Brain Emulation: A Roadmap, Technical Report # 2008-3, Future of Humanity Institute, Oxford University.