4. Fazit
Die hier diskutierten Argumente zur Lösung des Theodizee-Problems vermögen nicht zu überzeugen. Sowohl der Versuch, alles Leid mit dem Hinweis auf menschliche Charakterbildung, als auch der Versuch, Güte und Gerechtigkeit in fundamentaler Art umzudeuten, misslingen. Auf diese Weise kann Gottes Güte offensichtlich nicht gerechtfertigt werden. An anderer Stelle habe ich auch alle anderen Rechtfertigungsversuche diskutiert (Gottes Güte und die Übel der Welt. Tübingen 1992), aber auch hier war das Ergebnis rein negativ: Es kann nicht gezeigt werden, dass angesichts der Leiden der Welt ein gütiger und gerechter Gott existiert. Wenn man aber gar nicht weiß, ob die angebliche moralische Autorität überhaupt gütig ist, so ist es unmoralisch, seinen Willen tun zu wollen.
Aber scharfsinnige Theisten könnten trotz alledem noch immer versucht sein, das Ungetüm des Zweifels bei den Hörnern zu packen und folgendermaßen argumentieren: >Zugegeben, die einzelnen Argumente, die für die Güte Gottes sprechen sollen, sind nicht stichhaltig. Aber in Summe machen sie die Annahme der Existenz eines gütigen Gottes zumindest wahrscheinlicher als das Gegenteil.< Aber wenn man mit einem löchrigen Eimer kein Wasser transportieren kann, dann kann man es auch mit 20 löchrigen Eimern nicht.
Auch der Hinweis, dass der Glauben an ein gütiges Höchstes Wesen doch so weit verbreitet sei, ist für Skeptiker nicht wirklich hilfreich. Zwar dürfte etwa die Hälfte der Menschheit tatsächlich in Ländern leben, deren Kultur von einem Monotheismus dieser Art zumindest mitgeprägt ist. Aber die Wahrheit einer Behauptung lässt sich nicht an deren Verbreitung ablesen. So waren einmal wohl alle Menschen der Meinung, dass die Erde eine Scheibe sei – und doch war dieser Glaube falsch.
Und schließlich macht auch der Hinweis auf sein Alter einen Aberglauben nicht wahr. Zwar ist auch hier beeindruckend, wie das Gottesbild kleiner Sekten, die in der Nähe eines Sees bzw. der Wüste lebten, sich viele Jahrhunderte lang über große Teile der Welt ausbreiten konnte. Aber das Alter macht einen Irrtum noch nicht wahr. Denn dann wäre – was Christen und Muslime allerdings nicht sehr goutieren dürften – das Judentum wahrer als die beiden anderen >abrahamitischen< Religionen … und der Götzendienst wahrer als das Judentum.
Eben weil keine Argumente von der Güte und Gerechtigkeit Gottes überzeugen, greifen religiöse Menschen als letzten Ausweg oft zum reinen Irrationalismus, zum blinden Sprung in den reinen Glauben nämlich. Denn sie fordern von sich und anderen, Gott einfach zu vertrauen, >weil wir seine Kinder seien und der Vater eben mehr als seine Kinder weiß<. Aber auch dieser Vorschlag bedeutet eine Vergewaltigung unserer innersten moralischen Intuitionen. Denn ein Kind bezieht sein Vertrauen aus den Handlungen seiner Eltern (hier: seines Vaters) und wird nur dann einsehen, dass es dem Vater vertrauen kann, wenn es eine Fülle von Beispielen kennt, dass es ihm zu Recht vertrauen konnte. Aber die Welt, wie sie sich uns darbietet, weist eine Menge ungerechtfertigten Leids auf, weshalb es ja auch die Theodizee-Frage gibt. Solange diese unbeantwortet bleibt, existieren keine hinreichend guten Gründe, Gott zu vertrauen.
Dass es mit dem Vertrauen auf Gott angesichts der Übel der Welt in Wirklichkeit gar nicht so weit her ist, wissen natürlich auch jene, die sich als >Stellvertreter Gottes auf Erden< unter großem Applaus im Papamobil, im kugelsicheren gläsernen Sarg, durch die Lande kutschieren lassen. Dennoch bekommen sie kein schlechtes Gewissen, wenn sie vom Kirchenvolk fordern, >einfach Gott zu vertrauen< -- und selbst mit schlechtem Beispiel vorangehen. So wenig Vertrauen in die Güte und Weisheit des Allmächtigen?
Gerhard Streminger hat im letzten Jahr ECCE TERRA veröffentlicht, ein Buch, das von der englischen Gartenkunst und den aufgeklärten Ideen, die dieser zugrunde liegen, handelt. Streminger ist u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Giordano Bruno Stiftung.