Es gibt keinen gütigen Gott

Solange nicht gezeigt wird, dass es einen gütigen und gerechten Gott gibt, bleibt die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit unbegründet. Neben dieser religiösen Hoffnung gibt es aber auch diese, dass Menschen ihre Energien einmal nicht mehr in Jenseitsspekulationen verzehren, sondern in die Schaffung einer gerechteren und lebenswerteren Welt investieren mögen. Vielleicht werden Menschen dann aufhören, sich um ein künftiges Dasein Sorgen zu machen. Sie werden sich über ihr Leben nach dem Tod so sehr sorgen wie über ihr Leben vor der Geburt, nämlich gar nicht.

In einer gerechteren diesseitigen Welt werden Menschen sich auch nicht mehr mit >großer, übergroßer Schuld< geißeln und mit Inbrunst singen: »O Herr, was du erduldest, ist alles meine Last. Ich habe selbst verschuldet, was du getragen hast. Ich, Jesu, bin's, ich Armer, der Zorn verdienet hat.“ (aus dem Kirchenlied >O Haupt voll Blut und Wunden<). Diese Menschen haben aufgehört, sich vor solchen Götzen zu erniedrigen.

Der Hinweis auf Gottes unergründlichen Ratschluss ist somit für eine Theodizee, die eine Rechtfertigung eines Wesens sein soll, das >alle positiven Eigenschaften in höchstem Maße in sich vereint<, denkbar ungeeignet. Denn dieser Hinweis ist gerade das Eingeständnis, dass auf menschliche Weise Gottes Güte nicht gerechtfertigt werden kann, und damit auch die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits bloßes Wunschdenken ist.

Offenbar wird bei dieser Theodizee aus der Not, nämlich Gottes Güte angesichts der Übel der Welt nicht rechtfertigen zu können, eine mehr als zweifelhafte Tugend gemacht. Zwar wird Gott weiterhin als gütig behauptet, aber seine Güte ist nun nicht mehr auf menschliche Weise zu begreifen. Ist jedoch Gottes Güte nicht die unsere, so wissen wir nicht, ob Gott gut oder schlecht ist, ob religiöse Menschen das vollkommenste Wesen oder den Satan verehren.

Gottes Macht wird immer auf menschliche Weise interpretiert: Während Menschen nur begrenzt imstande sind, das zu tun, was sie tun wollen, kann Gott alles tun, was er tun will. Gottes Ratschlüsse werden indes oft als unerforschlich bezeichnet – wohl deshalb, weil so viele Manifestationen seiner Güte in krassem Widerspruch zu all dem stehen, was wir jemals als gut bezeichnen würden.

Kann aber nicht gezeigt werden, dass Gott gut ist, dann ist es auch nicht tugendhaft zu behaupten, der Glaube an Gott sei das Fundament der Moral. Denn nur ein gütiger Gott kann eine Stütze für die Moral und ein Garant für Moralität sein; und nur wenn wir wissen, dass Gott auch tatsächlich gut und gerecht ist, könnte es moralisch sein, seinen Geboten zu gehorchen. Menschen zu einem Glauben zu motivieren, demzufolge der Schöpfer Himmels und der Erde vollkommen gut ist (obwohl so vieles dagegen spricht), ist eine Missachtung fundamentaler moralischer Intuitionen.

Ein Wesen zu verehren und den eigenen Willen aufzugeben, um sich >dem Willen dieses Wesens zu überantworten<, das wir nicht als gut erkennen und daher auch böse sein könnte, bedeutet in moralisch unverantwortlicher Weise zu handeln; es heißt, unsere Autonomie für etwas aufzugeben, von dem wir wissen, dass es zu unmoralischen Handlungen fähig sein könnte. Wir müssen zumindest wissen, dass Gott gut ist, ehe wir behaupten können, dass es gut sei, seinen angeblichen Befehlen zu gehorchen.

Halten Theisten trotz dieser Einwände weiterhin daran fest, dass dann, wenn über Gott geredet wird, übliche Eigenschaften >in einem übertragenen Sinn< verwendet werden, so wird die Gottesvorstellung völlig willkürlich. Denn nun können wir mit gleichem Recht sagen: Gott ist böse, aber seine Bösartigkeit ist nicht die unsere, Gott ist ein Sadist, aber sein Sadismus ist nicht der unsere, etc. Einem jeden Unsinn wäre damit Tür und Tor geöffnet. Wenn Gott nicht in unserem Sinn gut ist, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen ihm und dem fürchterlichsten Tyrannen, der ja auch von sich behaupten könnte, sein moralisches Empfinden sei zwar gut, aber mit menschlichen Kategorien nicht zu erfassen.

Aber trotz aller Winkelzüge von theologischer Seite gilt: Auch unendliche Güte bleibt immer noch Güte, wie ja auch ein unendlich großer Raum immer noch ein Raum, und ein vollkommenes Dreieck immer noch ein Dreieck ist. Der Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Güte kann also kein qualitativer, sondern bloß ein quantitativer sein.

Nähme man wirklich ernst, dass Gottes Güte nicht die unsere sei, so bedeutete dies, was Skeptiker allerdings begrüßen könnten, das Ende der Theologie -- sofern man darunter die begründete Lehre vom Wirken und von den Eigenschaften Gottes versteht. Denn sind nun einmal Gottes Wege nicht die unseren, dann sollte man aufhören, so zu tun, als könnten sie doch noch erkannt oder gedeutet werden ... und beharrlich schweigen.

Aber diese Konsequenz ist nicht wirklich zu befürchten. Denn wenn gerade keine Skeptiker in der Nähe sind – sondern bloß unwissende Kinder beispielsweise –, dann wird blumig von der Güte Gottes erzählt, von der Erschaffung der Welt aus dem Nichts, vom göttlichen Geist, der über den Wassern schwebte, vom gütigen Gott, der die Menschen aus Lehm schuf und in ein Paradies setzte, von den ungehorsamen ersten Menschen, die der List eines anderen von Gott geschaffenen Wesens auf den Leim gegangen sind und deshalb vom Gerechten aus dem Paradies vertrieben und in ein leidvolles Dasein gestoßen wurden, vom gütigen Vater, der sich ihrer jedoch erbarmte und, um sich mit ihnen zu versöhnen, seinen einzigen Sohn foltern und kreuzigen ließ, der zwar zum Himmel aufgefahren, aber dennoch allgegenwärtig bleibt und – wie eine vollkommene Überwachungskamera – nun auch über allen Bettdecken schwebt, der hilfreich und gut ist, wenn man nur fest daran glaubt, der sich in ein Stückchen Teig einnistet, wenn katholische Priester einige geheimnisvolle Handlungen vollziehen, den man dann, den Schöpfer Himmels und der Erde, am Gaumen schmecken kann, aber keinesfalls beißen darf, der uns lieb hat, aber auch einiges gar garstig finden tut – etwa wenn man unter der Bettdecke ein Buch liest – und den man, der so viel für uns getan hat, doch keinesfalls enttäuschen will.

In allen diesen Geschichten wird angenommen, dass Gottes Güte und Weisheit durchaus mit menschlichen Begriffen nachvollziehbar sei – und wird die Theodizee, der zufolge Gottes Güte und seine Wege nicht die unseren wären, nicht sehr ernst genommen.