Ist Religionskritik nutzlos?
Gläubige haben auf diese Artikelreihe nicht reagiert (von gelegentlichen Höllendrohungen abgesehen, tun sie das generell nicht), stattdessen bekam ich Mails von Atheisten, denen die Ergebnisse nicht gefallen haben. Ihnen zufolge können Gläubige nicht genauso wohltätig und kooperativ sein wie Atheisten, da sie wirklich schreckliche Dinge glauben, siehe ihre heiligen Bücher. Doch so gut kommen Gläubige hier gar nicht weg, schließlich habe ich aufgezeigt, dass sie sich in mehreren Bereichen weniger ethisch verhalten als Atheisten und vor allem, dass Religiosität die Entwicklung der Gesellschaft behindert und ihr effektiv schadet.
Präsentiere ich hier nur eine neue Fassung des sozialen Determinismus à la Marx? Nein, denn ich sage keineswegs, dass Ideen keine Rolle spielen und Religion ein unabwendbares Ergebnis sozialer Ungerechtigkeit ist. Zwar ist sie schon ein Ergebnis sozialer Ungerechtigkeit, aber nicht im Sinne eines unabänderlichen Determinismus, man sollte eher von einer gesellschaftlichen Prädisposition zur Religiosität unter bestimmten Bedingungen sprechen. Als Naturalist gehe ich zudem davon aus, dass Ideen real sind. Sie befinden sich materiell in unseren Neuronen und lösen physische Wirkungen aus. In diesem Sinne ist auch Gott durchaus real.
Die Macht der Ideen
Am Beispiel der französischen Revolution können wir sehen, was passiert, wenn man Menschen ihre religiösen Illusionen nimmt. Damals fanden antireligiöse Schriften und Karikaturen einen großen Absatzmarkt, die Philosophen der Aufklärung waren extrem populär (es wurde sogar Merchandising mit ihren Porträts verkauft), Voltaire wurde wie ein Popstar auf dem Level mit Michael Jackson gefeiert. Gleichsam war es eine Zeit großer sozialer Ungerechtigkeit. Nun fragt man sich schon, warum es in dieser Situation zu einer Revolution gekommen ist. Meistens wird sie als direkte Reaktion auf die Ungleichheit und auf die große Armut der Landbevölkerung erklärt. Aber funktioniert was wirklich? Das alte Ägypten hat seine Theokratie 5000 Jahre lang praktisch ohne jede Veränderung durchgezogen und damals war ein Großteil der Bevölkerung ebenfalls arm und nur Priesterklasse und Pharaoh waren unverhältnismäßig reich. Warum gab es damals nicht auch eine Revolution?
Nein, ich denke in der Tat, dass die Religionskritik und Aufklärung allgemein einen wichtigen Einfluss hatten auf die bürgerliche Revolution, eine These, welche die (fast ausschließlich katholische) Gegenaufklärung schon vor der Revolution vertreten hat und damit hatte sie wohl recht – obgleich dazu keine „Verschwörung“ von Philosophen nötig war, die sie ihnen unterstellt hat.
Innerhalb weniger Jahre wurden in vielen Ländern Europas und in Amerika die ungerechten Verhältnisse auf einen Schlag, wenigstens in der Gesetzgebung, aufgehoben. Auf einmal wurden Menschenrechte garantiert und die Bürger konnten ihre Regierung selbst bestimmen. Folter wurde in Frankreich im Revolutionsjahr 1789 abgeschafft, am 24. Dezember des selben Jahres erhielten Protestanten gleiche Rechte, am 4. April 1792 erhielten freie schwarze Menschen politische Rechte, am 20. August 1792 erhielten alle Männer außer Dienern und Arbeitslosen das Wahlrecht, am 4. Februar 1794 wurde die Sklaverei verboten und ehemalige Sklaven erhielten gleiche Rechte (übrigens durchgesetzt von Robespierres Revolutionstribunal).
Die Macht der Ideen wird gemeinhin eher unterschätzt. Ein weiteres Beispiel ist der Untergang der antiken Kultur, ausgelöst vor allem durch die Etablierung des Christentums als römische Staatsreligion, wie Rolf Bergmeier aufzeigt. Der Aufklärer Edward Gibbon kam in seinem berühmten Buch „The History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ bereits zu einem ähnlichen Ergebnis. Christliche Apologeten haben die Geschichte später umgeschrieben, bekanntlich eine ihrer liebsten Tätigkeiten. Sie machten unter anderem die „Dekadenz“ der Römer für den Fall Roms verantwortlich (zu viele Schwule, etc.). Dass ihre Religion zu exakt diesem Zeitpunkt zur Staatsreligion wurde, kann ja wohl nur ein Zufall gewesen sein.
Religionskritik ist also sehr wichtig. Rauschgiftsüchtige müssen zunächst einmal einsehen, dass sie süchtig sind, sonst können sie sich nicht heilen. Aufklärung erhöht, wie bereits in Gott und der Tod angemerkt, die Selbstbestimmung des Menschen und wirkt somit als Gegengift gegen die Hauptursache der Religiosität (persönliche Unsicherheit).