Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jh.

(hpd) In einem Sammelband verschiedenster Themen wollen die Herausgeber „größere Sensibilität für die völkischen, als solche aber unerkannten Denktraditionen in der Gegenwart wecken, indem die ihnen unterliegenden ideologisch-historischen Zusammenhänge beleuchtet werden.“

Seit Beginn der 1870er Jahre entstand im Wilhelminischen Kaiserreich die Völkische Bewegung, welche sich als ideologisch heterogene und wenig organisierte Sammelbewegung auf der Minimalbasis von Antisemitismus, Germanenkult und Rassismus beschreiben lässt. Nicht nur chronologisch können die Völkischen als Vorläufer der Nationalsozialisten gelten, auch ideologisch kam ihnen die Rolle eines geistigen Wegbereiters zu. Allein von daher verdient die Völkische Bewegung heute noch historisches und politisches Interesse, zumal sich deren ideologische Fragmente und Versatzstücke auch gegenwärtig noch in den unterschiedlichsten Kontexten ausmachen lassen. Hiervon gehen jedenfalls die Autoren des von dem Historiker Uwe Puschner und dem Kunsthistoriker G. Ulrich Großmann herausgegebenen Sammelbandes „Völkisch und national. Denktraditionen und Mythenbildung im 21. Jahrhundert“ aus. Darin soll die Verbreitung von Elmenten völkischen Denkens außerhalb des originären völkischen Milieus in der Gegenwart im Zentrum stehen.

Das Werk enthält 33 Aufsätze von Geschichts-, Kultur-, Religions- und Sozialwissenschaftlern, die sich in eher kurzen Texten zwischen zehn und 25 Seiten den unterschiedlichsten Themen widmen: Hierzu gehört das Wiederaufleben der Runenkunde in der Hausforschung, völkische Symbolik im kulturhistorischen Museum und die Rassenlehre Rudolf Steiners ebenso wie die Ideologie vom „deutschen Wald“, Kontinuitäten des Externstein-Mythos nach 1945 und die eddische Überlieferung im Kontext völkischer Weltanschauung, moderne Fantasyromane als Meditatoren religiös-völkischer Denkmuster, das Bild der Hexe im Neoheidentum und Paganismus im rechtsextremistischen Verlagswesen ebenso wie das gesicherte Wissen über die Religion „unserer Ahnen“, die Runenkunde im Nationalsozialismus und völkisches Liedgut im Neofolk der Gegenwart. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Beiträge liegen meist auf den historischen Aspekten, verdeutlichen dann aber gegen Ende ihre Bedeutung für die gegenwärtige Gesellschaft.

Angesichts der thematischen Spannweite der Texte kann von einem allgemeinen Ergebnis nicht gesprochen werden. In der Einleitung verweisen die Herausgeber aber darauf, man wollte erstens „größere Sensibilität für die völkischen, als solche aber unerkannten Denktraditionen in der Gegenwart wecken, indem die ihnen unterliegenden ideologisch-historischen Zusammenhänge beleuchtet werden“, zweitens „auf die Anschlussfähigkeit dieses Denkens an den international agierenden Neonazismus und Rechtsextremismus hinweisen, das durch subtile Agitation bis heute immer wieder mediale Präsenz erlangt“ und drittens „eine wissenschaftliche Auseinandersetzung anregen, die sich in einer erweiterten Perspektive völkischen Ideologemen zuwendet, die in der Gegenwart vor allem aber gerade auch außerhalb des neonazistischen und rechtsextremen Umfelds aufzufinden sind, sie systematisch analysiert und historisch einordnet, ihre Träger und Multiplikatoren benennt und deren jeweilige weltanschauliche Dispositionen transparent macht“ (S. 12f.).

Überwiegend handelt es sich bei den Autoren um gute Kenner der detailliertesten historischen Aspekte der Völkischen Bewegung. Für die Ausführungen zur Aktualität von deren Ideologien und Symbolen gilt dies nicht immer. Manchmal neigen die Einschätzungen auch zur Übertreibung der gesellschaftlichen Relevanz oder sie überschätzen die politisierende Wirkung bestimmter Prägungen. Letzteres gilt etwa für die Ausführungen zu völkischen Denkmustern in modernen Fanatasyromanen wie J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“. Und für die Aktualität eines völkischen Felsbilderinterpreten wie Hermann Wirth genügt wohl nicht der Hinweis auf ein anlässlich dessen 25. Todestages stattgefundenes Seminar. Darüber hinaus wäre der Unterschied von formaler Ähnlichkeit im ästhetischen und inhaltlicher Gemeinsamkeit im politischen Sinne mehr zu beachten. Gleichwohl liefert der Sammelband beachtenswerte Darstellungen zu spezifischen Aspekten der Völkischen Bewegung, formal etwas unstrukturiert, inhaltlich aber interessant präsentiert.

Armin Pfahl-Traughber

Uwe Puschner / G. Ulrich Großmann (Hrsg.), Völkisch und national. Denktraditionen und Mythenbildung im 21. Jahrhundert , Darmstadt 2009 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 429 S., 74,90 €