Konfessionsfreie und Verfassungsrecht

Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und das Prinzip der Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften heute

Auf dem Podium diskutierten Dr. Rosemarie Will, Dr. Reinhard Hempelmann, Dr. Hartmut Kreß und Dr. Thomas Heinrichs. In der Mischung aus allgemein verständlichen Statements und Kurzreferaten sowie sehr speziellen juristischen Erörterungen sollen nur die erstgenannten resümiert werden.

Dr. Rosemarie Will (Professorin für Öffentliches Recht, Staatslehre und Rechtstheorie, Berlin, Landesverfassungsrichterin a.D. und Bundesvorsitzende der Humanistischen Union) erläutert den Grundsatz, dass die Verfassung in Deutschland ja nicht nur aus dem Grundgesetz und einer Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sondern auch aus den maßgeblichen juristischen Kommentaren gebildet wird. An mehreren Beispielen verdeutlichte sie dann den Deutungswandel in der Rechtsanwendung als Interpretation. Von 1921, als es zu den religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch hieß, „eine vollständige Gleichstellung wird nicht angestrebt“, bestände heute eine weitgehende Einigkeit, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in allen Bereichen gleich zu stellen seien.

Dr. Reinhard Hempelmann (Theologe, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Berlin) benennt die Säkularisierung des Staatszwecks als ein wesentliches Merkmal des modernen Staates. Nach 1919 zeigte sich jedoch, dass der Staat sich gegen jegliche Vereinnahmung zur Wehr setzen muss, sowohl gegenüber Religionen wie auch gegenüber Weltanschauungen. Es gelte aber generell zu beachten, dass der „säkulare Staat“ nicht auch ein „säkularisierender Staat“ sei. Auch er spreche sich für Freiheit und Glauben aus, für die Gleichberechtigung von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsverbänden.

Dr. Hartmut Kreß (Professor für Systematische Theologie und Ethik, Bonn) nennt für das zu behandelnde Thema sieben Aspekte:

  1. Die Weltanschauungsfreiheit, die der Staat garantiert, ist essentiell.
  2. Die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen ist eine „kulturelle Chance“ (Max Weber nannte es den „Polytheismus der Werte“) für einen pluralistischen Diskurs.
  3. Der Staat sollte den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen Geltung verschaffen. Die Verfassungswirklichkeit lässt dabei noch zu wünschen übrig, beispielsweise im Ethikrat.
  4. Die Religionen und Weltanschauungen haben eine Eigenverantwortung für kulturelle und rituelle Angebote, beispielsweise in der Bestattungskultur.
  5. Bleibt die Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen sozialverträglich oder kann eine „Versäulung“ drohen, beispielsweise, dass Konfessionsschulen nur konfessionseigene Schüler aufnehmen.
  6. Das konfessionelle Arbeitsrecht ist ethisch problematisch, da staatlich garantierte Grundrechte eingeschränkt werden. Toleranz im Binnenbereich sei gefordert.

Dr. Thomas Heinrichs (Rechtsanwalt und Philosoph, Berlin) führte aus, dass die Trennung von Staat und Kirche derzeit nicht möglich erscheine und er meine, dass der Humanistische Verband deshalb die Gleichstellung mit den Kirchen fordern solle. Natürlich bestehe dadurch die Gefahr der Verfestigung der an sich zu ändernden Situation, denn die juristische Tendenz zur Gleichstellung sei offensichtlich.

Für eine Gleichbehandlung seien allerdings die Voraussetzungen zu erfüllen und der Bedarf nachzuweisen. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht zu den Muslimen, die auch keine Mitgliedsreligionen seien, wofür dass Gericht dann einen soziologischen Religionsbegriff angewandt habe, seien aber u. a. die Mitgliedskriterien verändert worden. Aber, fragte Heinrichs, sollte ein Verband auch alles tun, was er bekommen kann oder wo liegen die Grenzen aufgrund einer humanistischen Weltanschauung. Als Beispiel nannte er die Diskussion über die Soldatenseelsorge im Afghanistankrieg.

In der Diskussion und den Fragen der Zuhörer überwogen Erörterungen zu den Facetten des Themas „Weltanschauung“.

Schlusswort

In seinem Schlusswort fasste Dr. Frieder Otto Wolf (Professor für Philosophie, Berlin, Präsident der Humanistischen Akademie) als Resümee zusammen:

  1. Es ist stets ein Bezug auf die sich real darstellenden Prozesse zu bewahren.
  2. Es ist richtig und wichtig rechtspolitische Forderungen zu stellen, und
  3. Realismus ist gefordert und zu lernen.

Der Begriff „Weltanschauung“ kann sicherlich auch peinlich sein, da er 19. Jahrhundert andeute und „wilhelminisch“ sei, er stehe aber auch in der Kontinuität des Erbes der Aufklärung. Auch wenn einiges falsch gelaufen sei, die Zusammenfassung aller Werte und Ziele, die einem wichtig sind, zu benennen, bleibe als Aufgabe bestehen.

Anders als Religionen habe der Humanismus keinen Kern von „Glaubensbekenntnis“ oder „Ritualen“. Humanismus habe aber ein Selbstverständnis von Fragen und Antworten, das sicherlich über den Tag hinaus gelte. Deshalb seien auch Debatten wie diese Tagung wegweisend.

C.F.