Iran vor der iranischen Revolution?

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Veranstaltungsplakat / Fotos; Frank Navissi

BERLIN. (hpd) Heute ist der 4. November, in Iran der 13. Aban, einer der Tage die in Iran zum Protest genutzt werden. Seit heute morgen sind Menschen auf den Straßen in Teheran, Mashad, Shiraz usw. um für ihre Rechte zu kämpfen. Viele sind verhaftet, geschlagen und misshandelt worden.

Jedoch immer noch (18:30 Uhr MEZ) hört man Rufe und Proteste. Auch in anderen Großstädten (Berlin, New Yorck, London, Vancouver …) gehen solidarische Menschen auf die Straße um für ein anderes Iran zu protestieren.

Der Iran ist in den Schlagzeilen. Seit den Wahlen am 12.6.2009, die von vielen Menschen und auch einigen Medien als gefälscht eingestuft wurden, protestieren Menschen in und außerhalb des Landes gegen diese Wahlfälschung. Zu lesen und zu hören waren Slogans wie: Wo ist meine Stimme? (Where is my vote?); Ahmadinejad is not my president!

Jedoch hat das Interesse der internationalen Presse an dieser Wahl und den darauf folgenden Verhaftungen, Folterungen und Exekutionen von Protestanten nachgelassen und einer Diskussion um Irans nukleare Angelegenheiten Platz gemacht.

Die Opposition, oder besser: Oppositionen, haben sich mehrheitlich unter einem „grünen Schirm“, der so genannten Grünen Bewegung (oder sea of green) zusammengetan. In der iranischen Oppositionsbewegung außerhalb des Iran gibt es erbitterte Diskussionen, ob diese „grüne“ Bewegung, die ihren Ursprung in dem „grünen“ Wahlkampf des Kandidaten Moussavi hat, sinnvoll sei, da M.H. Moussavi Teil dieses von vielen verhassten Systems der islamischen Regierung sei. Wie auch M. Khatami oder M.Karroubi steht M.H. Moussavi für die Reformer, d.h. Menschen, die innerhalb des bestehenden Systems für Veränderung kämpfen.

Die iranische Opposition, die von vielen jungen Menschen getragen wird, agiert und reagiert kreativ auf die angedrohten und auch umgesetzten Drohungen des Staates. An den staatlich verordneten Protesttagen gehen die Menschen auf die Straße um laut und vernehmlich gegen das bestehende Regime zu protestieren. Der 4.November ist ein solcher Tag.

Seit den ersten Tagen der Revolution wird der 4. November (13. Aban) im Iran mit von der Regierung organisierten Demonstrationen im Gedenken an die Besetzung der US-Botschaft in Teheran durch eine Gruppe von iranischen Studenten begangen (vom 4. November 1979 bis zum 20. Januar 1981). In diesem Jahr jedoch ist es die Grüne Bewegung, die den Ton dieser Demonstration angeben wird, wie sie es schon am Quds-Tag tat: Eine Bewegung, die nicht in der Regierung vertreten ist, aber darum kämpft, das Schicksal des Landes zu gestalten.

Aus diesem Anlass haben auch Gruppen in vielen anderen Ländern Protest- und Solidaritätsveranstaltungen organisiert. In Berlin hat das Netzwerk junger IranerInnen schon mehrfach durch interessante und anspruchsvolle Aktionen auf die Situation in Iran aufmerksam gemacht. Ihre Aktionen beschränken sich nicht alleine auf Demonstrationen sondern sie organisierten Solidaritätskonzerte sowie unter anderem eine herausragende Podiumsdiskussion mit Shadi Sadr, Prof. Akhavan und anderen.

Herr Masoud Sarabchian, einer der Organisatoren vom Netzwerk junger IranerInnen in Berlin, Frau Katajoun Pirdawari (Iranistin, Politologin) sowie Frau Francis Moradi (in den 80er Jahren als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen) äußern sich in diesen Interviews zu ihren Motiven, die Proteste in Iran zu unterstützen, über ihre Hoffnungen, über die Möglichkeiten sich zu informieren sowie zu der Frage, ob ein säkularer Staat in Iran möglich ist.

Masoud Sarabchian

Meine Motivation, die Proteste in Iran aus dem Exil zu unterstützen besteht darin, diese Proteste auch außerhalb hör- und sichtbar zu machen. Mein Wunsch ist, dass die Länder Europas ihre Macht nutzen, um die Regierung in Iran unter Druck zu setzen. Nur so können die Menschenrechtsverletzungen, die verstärkt seit dem Coup d’Etat stattfinden, thematisiert und beendet werden. Die Menschen in Iran erkennen Ahmadinejad nicht als ihren Päsidenten an, wenn jedoch Europa, die USA und andere Staaten mit ihm verhandeln wird es der Opposition schwer gemacht, den Staatsstreich zu bekämpfen. Statt über nukleare Angelegenheiten mit dieser Regierung zu verhandeln (und sie somit offiziell anzuerkennen) sollten die Menschen in Iran im Kampf gegen diese Diktatur unterstützt werden.

Ich kann mich gut informieren, es gibt sehr gute Quellen, allerdings fast nur in Farsi/persisch (z.B. Radio Farda, BBC persian). Auch Telefonate mit Freunden und Bekannten aus dem Iran sind gute Informationsquellen so wie das Internet mit seinen zahllosen Blogs. Auch Facebook als Möglichkeit, sich zu vernetzen und zu informieren, muss hier benannt werden.

Für jene allerdings, die kein Farsi lesen und schreiben können, wird es schon schwieriger, da die Medien, wie bereits erwähnt, ihre Berichterstattung hauptsächlich auf das „Atomproblem“ konzentrieren.

Ob es eine Möglichkeit gibt, dass die Menschen eine säkulare Verfassung wünschen? Ich nenne Ihnen nur zwei der vielen Slogans, die auf den Straßen gerufen werden: Esteghal, Azadi, Jomhuri Iran! Unabhängigkeit, Freiheit, Iranische Republik! Azadi Andische ba rischo paschm nemische! Freie Meinungsäußerung und lange Bärte passen nicht zusammen! (Die langen Bärten sind eine Anspielung auf das religiöse „Outfit“)

Ich persönlich bin mir sicher, dass die meisten Menschen in Iran eine säkulare Verfassung möchten und dafür kämpfen.

Katajoun Pirdawari

Ich dachte, Mousavi würde gewählt werden, nicht weil er mein Favorit war, sondern weil das iranische Volk ihn wollte. Dieses couragierte Volk hoffte, die Allmacht der Mullahs würde schwinden und ein Regime die Macht erlangen, das endlich nach 30 Jahren Frauen und Andersdenkenden ihre Menschenrechte zugesteht. Sicher war es naiv zu glauben, dass die religiös Konservativen den ersten Schritt einer Entmachtung über sich ergehen lassen würden. Rückblickend ist es in sich logisch, dass mit Gewalt gegen unbewaffnete DemonstrantInnen vorgegangen wurde. Mit der Unterstützung der Proteste erhoffe ich mir die Unterstützung der Frauen- und Menschenrechte im Iran.

Ich erhalte viele Informationen aus dem Iran, aus dem Internet und über persönliche Kontakte. Ich finde die Informationsmöglichkeiten sind gut und reichlich gegeben. Dass dieser Informationsfluss nicht für alle ungefährlich ist, wurde mir vor einigen Wochen noch einmal sehr deutlich. Eine Freundin von mir, die hier lebt und studiert musste aus dringenden persönlichen Gründen zu Ihrer Familie in den Iran. Sie trat auch während der Demonstrationstage über Wochen ganz offen mit ihrem eigenen Namen auf. Wir hatten große Angst um sie, aber sie ist gesund wieder zurückgekommen auch wenn sie berichtete, dass die bei der Einreise massenhaft Fotos neben den Computern der Passkontrolle hängen sah. Die Kriterien, nach denen Menschen verhaftet werden sind einfach nicht nachvollziehbar und deshalb extrem willkürlich und gefährlich.

Die Menschen im Iran könnten erst eine säkulare Regierung annehmen und unterstützen, wenn sie Demokratisierung erlernen. Es waren zu viele autoritäre Regierungen im Iran an der Macht: Schah Reza ab Anfang des letzten Jahrhunderts, der es geschafft hat, Iran zu einigen. Dann gab es eine (demokratische) Pause mit Mossadegh, in der das Volk es nicht geschafft hat, zu ihm zu halten und danach Mohammed Reza Schah und aktuell Khomeini und seine Nachfolger. Ich schätze, Iran muss ganz langsam säkularisiert werden. Wie? Indem die religiösen Regierenden sich gegenseitig selbst zerstören, sodass etwas Neues entstehen muss. Dann müssen wir alle da sein, damit nicht ein neues autoritäres Regime an die Macht kommt. Wobei ich finde, dass ein säkulares Regime auch autoritär sein kann.

Francis Moradi

Meine Motivation ist es, geistig bei den Menschen im Iran zu sein und das zu tun, was ich auch tun würde, wenn ich im Iran wäre. Es ist wichtig, den Menschen im Iran moralische Unterstützung zu geben, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind.
Das Ziel hierbei ist die Weltöffentlichkeit zu sensibilisieren, die Weltorganisationen auf die Menschenrechtsituation im Iran aufmerksam zu machen und auch zum Handeln zu bewegen. Die Industrie soll begreifen, dass Gewinnmaximierung kann auch nach hinten losgehen kann, wenn man seinen Gewinn auf Elend und Unglück anderer Menschen aufbaut.
Ich hoffe, dass Iran endlich zur Ruhe kommt. Dieses Land hat noch nie Demokratie erfahren. In seiner langjährigen Geschichte hatte Iran entweder unter Kriegen und Besatzungsmacht und deren Verbrechen zu leiden oder aber unter wirtschaftlicher Ausbeutung und Abhängigkeit und deren Folgen. Mein Land verdient es, dass seine klugen Köpfe endlich das Sagen haben, nicht irgendwelche primitiven religiösen Analphabeten, die das Land voller Willkür regieren.

Informationen bekomme ich verschlüsselt aus dem Iran per Telefon oder E-Mail und Chat in Messenger, wenn die nicht gerade gefiltert sind. Sonst aus verschiedenen Beiträgen in Youtube, Facebook und Twitter, die von unseren Jugendlichen und mutigen Menschenrechtaktivisten veröffentlicht werden, und von Beiträgen der Journalisten, die aus dem Iran für öffentliche Medien im Ausland berichten. Bei letzterem muss ich auch zwischen den Zeilen lesen können, darin sind wir besonders geübt.

Wie ich die Informationslage im Iran einschätze? Ich gebe Ihnen ein Beispiel, den Rest können Sie selbst beurteilen. Es war unter dem Schah so und es ist jetzt genau das gleiche. Die besten, klügsten, patriotischsten Töchter und Söhne dieses Landes werden unter unwürdigsten, menschenverachtenden Bedingungen festgenommen, gefoltert und hingerichtet, dann kommt am Abend in Kurznachrichten diese Kurzmitteilung: Heute morgen sind 9 Rauschgifthändler im Evin Gefängnis hingerichtet worden. In den Zeitungen kommen im Titelbild Fotos von 9 ungepflegten, unrasierten, unzivilisierten, wie Verbrecher aussehenden Menschen. Ich frage Sie: Wie würden wir beide aussehen wenn uns tagelang und wochenlang das Waschen, Schlafen und Essen verweigert wurde und wir stattdessen mit Peitschenhieben, heißem Eiertango (Eine Foltermethode, bei der heißgekochte Eier in den After gesteckt werden und die Folteropfer sich dann so fortbewegen müssen.) und Bügeleisen und noch mehr traktiert worden wären?

Gerade nach den Schandtaten der jetzigen Regierung würde es mich wundern, wenn die Menschen nicht kollektiv von Gott und Religion abkommen. Eine säkulare Verfassung scheint mir sehr realistisch. Es gibt sehr wohl eine breite Bevölkerungsschicht, die religionsmüde ist.

Text und Interviews: Susan Navissi

Für eine hervorragende Analyse, wie die islamische Republik so lange überleben konnte empfehle ich: Why the Islamic Republic Has Survived by Ervand Abrahamian