Wie würde denn eine Gesellschaft aussehen, die atheistisch wäre? Gäbe es dann lauter autonome Menschen ohne Zusammenhalt oder wie wäre das?
Wieso ohne Zusammenhalt. Pierre Bayle, eigentlich der erste Aufklärer Europas um 1700 in England war zugleich der erste Denker, der sagte, er könne sich positiv (!) eine "Gesellschaft der Atheisten" vorstellen. Vor ihm war es das große klassisch Athen vor 2500 Jahren, das atheistisches Denken fundamental mit Demokratie verband. Atheismus und Demokratie gehören aufs engste zusammen. Nichts in unserer modernen Gesellschaft würde funktionieren ohne die demokratischen Prinzipien des säkularen Staates.
Sehen das Christen oder Muslime genauso?
Nie! Beide Religionen haben ein fundamentales Problem. Sie sind von ihrem religiösen Ansatz her gar nicht demokratiefähig, weder der Christ und schon gar nicht der Muslim. Ob Gott oder Allah - beide sind absolute Monarchisten (!) mit radikalen Herrschaftsprinzipien. Dagegen ist Demokratie eine partnerschaftliche Gesellschaftsform ohne Diktat, ohne Diktator. Das Christentum, speziell der Papst ducken sich nur unter die westliche Demokratie, der Islam revoltiert. Beide verlangen ein unabdingbares monarchistisches Mitspracherecht Gottes.
Naja. Man sollte ja wirklich die politischen Fragen von den religiösen Fragen trennen.
Da beginnt mein politischer Atheismus. Ich gestehe jedem Menschen seine Religion zu. Religion ist Privatsache - "res privata", wie die alten Römer sagten. Dieses Recht ist ein Grundrecht unseres säkularen Staates, erfunden und geschützt gerade auch von Atheisten.
Etwas völlig anderes ist die Machtentfaltung und Einflussnahme der institutionalisierten Religion(en) in unserer Gesellschaft. Dabei geht es um die "res publica", um die religiösen Machteinflüsse auf unsere säkulare Gesellschaft und unseren säkularen Staat.
Aber wir haben doch die Trennung von Kirche und Staat…
… haben wir? Haben wir nicht!
Warum denn nicht?
Weil heutzutage Religionen als Institutionen gerade auch in unserer Bundesrepublik zunehmend freien Lauf bekommen. Weil die Religionen ständig in unsere säkulare Demokratie einbrechen, was gemäß Grundgesetz der aufgeklärte Staat nicht zulassen dürfte.
Wo findet das denn statt? Abgesehen von der Kirchensteuer – selbst die Eheschließung ist nicht kirchlich – wo finden denn die großen Einbrüche statt, die nicht zu tolerieren sind?
Z.B. der Einfluss, den die Kirchen in der kirchlichen Kitas nehmen …
… weil da nach Ihrer Auffassung eine Sozialisation passiert, die den Menschen falsch indoktriniert?
… subventioniert zu 80 Prozent vom säkularen Staat, sprich durch Steuergelder. In den Kitas vertreten die Kirchen Positionen, die in unserem säkularen Staat nicht vertreten werden, denn unser Gemeinwesen basiert nicht auf der Bibel, sondern auf der Verfassung! Und die Verfassung ist völlig unabhängig von der religiösen institutionellen Subkultur oder Hierarchie. Es ist völlig egal was ein Herr Mixa als Bischof sagt. Bischof ist kein demokratisches Amt. Und wenn Politiker behaupten, das "C" in der CDU müsse wieder stärker zur Geltung kommen, so ist das kein Anliegen der säkularen Gesellschaft, sondern der Anspruch eines religiösen Machtklientels. Als Atheist akzeptiere ich keinen Einfluss der Kirche oder institutioneller Religionen auf unseren Staat und unsere Gesellschaft. Ich wehre mich dagegen, dass unsere Kinder in den säkularen Schulen religiösen Glaubensunterricht bekommen.
Es gibt ja immerhin das Verfassungsgut der Religionsfreiheit. Sofern es Wahlfreiheit zwischen Ethik, Philosophie und Religionskunde gibt, ist ja gegen Religionsunterricht nichts einzuwenden…
Gegen Religionskunde generell nicht. Aber ich habe etwas gegen Priester, Pastoren und Imame, die in die Schulen gehen und Unterricht geben.
Beispiel: Meine Enkelin in der Schule. Die Religionslehrerin behauptet, Gott habe die Welt geschaffen. Meine Enkelin wehrt sich. Sie verweist auf Astrophysik, auf Darwins Evolutionstheorie. Eine Lehrerkonferenz muss einberufen werden, um zu schlichten. Meinung gegen Meinung. Alles bleibt in der Schwebe. Die Lehrerin setzt ihren fatalen Religionsunterricht in der Schule fort!
Anderes Beispiel in diesen Tagen: Oberstufe Religion. Das entsetzliche Erdbeben auf Haiti. Vielleicht bis zu 200.000 Tote. Auch die Schüler sind erschüttert. Ein Kind wird aus den Trümmern gerettet. Daran sehe man - so der Lehrer - die barmherzige Gnade Gottes! Ein Schüler steht auf, klagt an, dass man Gott für die eine Rettung rühmt und angesichts von 200.000 Toten als Mörder laufen lässt. Nur mit Mühe kann vermieden werden, dass der Schüler wegen Gotteslästerung des Unterrichts verwiesen wird.
Sind denn Religionen gefährlich? Wären wir rationaler ohne Religion? Würden wir uns weniger die Köpfe einschlagen in Folge weniger Konflikte?
Die westlichen Volldemokratien haben untereinander fast über 100 Jahre Frieden gehalten und ihre Konflikte, die sie natürlich auch zuhauf hatten und haben, ohne Krieg demokratisch ausgetragen. Dagegen steht heute auch innerhalb der Demokratien ein großes religiöses Konfliktpotential.