Wenn Anstöße zum eigenen Denken gelingen

Also sind Religionen für Sie gesellschaftliche Brandstifter?

Da wo der säkulare Staat den Religionen das Schwert aus der Hand genommen hat, sind viele Brände gelöscht worden. Dennoch bestehen überall um uns herum religiöse Konflikte. Die Spannungen mit dem Iran sind nur ein Beispiel. Der Minarett-Konflikt in der Schweiz ist ein dramatisches Signal mitten in Europa. In den USA ist der absurde Kampf der Kreationisten gegen Darwin eine anachronistische Schauergeschichte. Dass in Deutschland religiöse Konflikte gedämpft erscheinen, liegt vor allem auch daran, dass die evangelische Kirche im Moment in Anbetracht der Übermacht des Papstes gegenüber der katholischen Kirche sehr schwach erscheint. Zu acht, neun großen Themen äußert sich über Weihnachten auch in Deutschland medienmäßig nur der Papst. Ausschließlich. Und immer mit Forderungen gegenüber dem säkularen Staat und der säkularen Gesellschaft.

Und das ist dann für Sie das antidemokratische, das monarchistische?

Wenn der Papst so tut, als ob er im Namen Gottes dem säkularen Staat absolute Wahrheiten zu verkündigen hat, dann ist das ein Anschlag auf die Souveränität des demokratischen Staates. Es gilt in unserem Staat letztgültig nicht die göttliche Einmannherrschaft, sondern die demokratische Mehrheitsentscheidung.

Zur Veranstaltung am kommenden Mittwoch. Sind solche Veranstaltungen, wo von Angesicht zu Angesicht gestritten wird und hart argumentiert wird für Sie selten?

Ich mache häufiger solche Veranstaltungen mit, besser: häufig gerate ich mit meinen nüchternen Thesen auf Veranstaltungen in harte Diskussionen. Ich streite gern, nicht gegen die Person an sich, die ist geschützt. Aber zur Sache scharfe Waffen! Die geistige Debatte, die harte sachliche Auseinandersetzung ist in einer Demokratie das sachgerechte Mittel, für eine Sache einzustehen und auf Veränderung zu wirken.

Meinen Sie denn, dass solche Veranstaltungen Menschen überzeugen können?

Wenn dabei Anstöße zum eigenen Denken gelingen, wenn Aha-Erlebnisse ablaufen, dann ist schon viel gewonnen. Bei über Jahrzehnte gewachsenen Überzeugungen im Menschen ist das nicht so einfach. Aber es können Anstöße geleistet werden, die wie das Umwerfen von Dominosteine wirken können. Allerdings gilt: Wirklich ändern tut sich der Mensch in der Regel nur, wenn er unter wirklichem Leidensdruck gerät.

Ihr neues Buch "Atheistischer Glaube. Eine Lebensphilosophie ohne Gott" suggeriert Lebenshilfe zur Veränderung. Wodurch?

Ich glaube, dass der Mensch sehr wohl in eigener Verantwortung leben kann - ohne Kirche, ohne Religion, ohne Gott. Viele Menschen tun das. Sie verstehen ihr Leben vor dem Tod als ihr einziges Leben. Sie versuchen, dieses Leben bestmöglich zu gestalten. Sie setzen sich Ziele, geben sich selber Sinn, erfüllen Pflichten. Sie haben Freunde, genießen die Freuden in der Vielfalt und Schönheit des Daseins. Zugleich wissen sie um den Tod als das ganz natürliche Ende des Lebens - für immer. Ihren Tod verstehen sie als das Nichts, in dem - ohne allen Schrecken - ewiger Frieden herrschen wird.

Der Mensch kann sehr wohl zugleich in Mitverantwortung für den Mitmenschen und für die Gesellschaft leben, auch ohne Kirche, ohne Religion, ohne Gott. Viele - gerade auch junge - Staatsbürger tun das, oft sogar unter schwersten persönlichen psychischen Belastungen als Kranken- oder Altenpfleger, als Polizisten und Rettungsdienste bei entsetzlichen Unfällen und Katastrophen, als Soldaten in Afghanistan. Sie leben durch und durch in humanistischen Lebensidealen.

Der Mensch kann sich selber befreien zu einem autonom-humanistischen Menschen in einer säkularen Welt. Der Mensch braucht dazu keinen Papst, keine Religion, keinen Gott. Er braucht nur verantwortungsbewusste Menschen, die mit ihm im Leben und Sterben solidarisch sind.

Herr Dr. Schulz, danke für das Gespräch!

Die Fragen stellte Steffen Hahn, AKPTKS, Bayreuth

 

Im Anhang das "Bayreuther Manifest" von Dr. Paul Schulz

 

Bücher zum Thema

Paul Schulz, CODEX ATHEOS. DIE KRAFT DES ATHEISMUS, Rauschenplat-Verlag, 2006
Paul Schulz, ATHEISTISC HER GLAUBE. EINE LEBENSPHILOSOPHIE OHNE GOTT. Marix-Verlag, 2008