§ 166 StGB – „ein strafrechtliches Relikt“

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Tagungsleitung und Doris Barnett, MdB / Foto: FRG

LUDWIGSHAFEN (hpd) Dass es sich bei dem umgangssprachlich „Gotteslästerungsparagraph“ genannten § 166 StGB um „ein strafrechtliches Relikt“ handelt, war unter den Anwesenden unumstritten. Wie die „Religiöse und weltanschauliche Meinungsfreiheit“ angesichts des Blasphemie-Verbots in fast allen europäischen Staaten verteidigt werden kann, war Thema der gemeinsamen Tagung von Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) und Internationalem Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).

Allerdings ist der § 166 StGB nur ein Instrument staatlicher Kommunikationskontrolle und es gibt viele andere Möglichkeiten, den Diskurs über Religion zu steuern. Dies wurde schon in den einleitenden Statements klar. Doch lassen sich an diesem Paragraphen beispielhaft einige Punkte herausarbeiten, die generell von Bedeutung sind, wenn Religion mit Kritik in Berührung kommt. Volker Mueller (DFW) und Rudolf Ladwig (IBKA), die die Tagungsleitung übernommen hatten, lenkten die Aufmerksamkeit auf den fragwürdigen Begriff der „religiösen Gefühle“. Zum einen ist völlig unklar, was dies sein soll (was deutlich wird, wenn wir überlegen, was denn mit anderen gesellschaftlichen Subsystemen verknüpfte Gefühle sein könnten: sportliche Gefühle, literarische Gefühle, politische Gefühle usw.). Doch selbst wenn sie sich sauber definieren ließen, bliebe die Frage, warum bestimmte Gefühle religiöser Menschen anderen Gefühlen gegenüber bevorzugt behandelt werden sollen, indem sie unter besonderen rechtlichen Schutz gestellt werden. Auch die bei Diskussionen um religiöse Angelegenheiten immer wieder feststellbare Strategie, auf öffentliche Empörung anstatt auf Argumente zu setzen, um so Druck auf Publizisten oder Künstlerinnen auszuüben, ist kennzeichnend für § 166-Verfahren.

Einführende Kurzreferate

Nachdem die Tagungsleitung das Problemfeld umrissen hatte, beleuchteten drei 20-minütige Kurzreferate einzelne Aspekte tiefer gehend. hpd-Redakteur Gunnar Schedel gab einen Überblick über die Rahmenbedingungen, innerhalb derer der § 166 StGB seine Wirkung entfaltet. In jeder Gesellschaft gebe es Tabus, die auch mit juristischen Mitteln aufrechterhalten würden. Was als Tabu gilt, unterliege nicht zuletzt den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen (so war es konservativen Kreisen in der Union in den 1990er Jahren nicht gelungen, einen eigenen Paragraphen, der die Bundeswehr gegen Kritik immunisieren sollte, einzuführen). Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass Religionsfreiheit nicht als Recht, sondern als Zustand verstanden werde. Wenn es vermehrt notwendig wird, diese Freiheit einzuklagen, sei dies bereits ein deutliches Anzeichen dafür, dass sie im Alltag allmählich verloren geht; dann, so der Verleger, lasse sie sich auf Dauer mit juristischen Mitteln nicht verteidigen. Augenblicklich geben die Zustände in Deutschland diesbezüglich keinen Anlass zur Sorge. Der § 166 könne seine volle Wirkung heute unter anderem auch deshalb nicht mehr entfalten, weil durch die zunehmende Säkularisierung vielen Menschen das Verständnis für das „Heilige“, das Unangreifbare, fehle. Allerdings seien auch gegenläufige Tendenzen zu erkennen, wie sich an der undifferenzierten und oft demagogischen Verächtlichmachung von Islamkritikerinnen zeige.

Blasphemie und Meinungsfreiheit

Rainer Statz, Mitglied im IBKA, stellte heraus, dass die Wiederherstellung der durch die Schmähung der Götter gestörten Ordnung – die ursprüngliche Grundlage der Verfolgung von Blasphemie – im demokratischen Rechtsstaat obsolet sei. Doch auch für den Schutz des öffentlichen Friedens habe der Paragraph aufgrund des liberalen politischen Klimas in Deutschland keine Funktion mehr. Dies zeige sich allein schon daran, dass Verurteilungen kaum noch vorkommen. Provokationen, die es bewusst darauf anlegen, Konflikte heraufzubeschwören, kritisierte Statz als unnötig. Die Messlatte legte er dabei allerdings anders an als allzu schnell beleidigte Religiöse oder die Polizei. So berichtete er von der erfolgreichen Feststellungsklage gegen das Verbot eines Motivwagens beim Münchner Christopher Street Day. Die Ordnungshüter hatten seinerzeit ganz offensichtlich auf den Protest eines fundamentalistisch eingestellten Passanten hin die Mitführung eines Wagens untersagt, auf dem der Papst als Befürworter von Kondomen zu sehen war. Auch wenn der Ruf nach Polizei und Staatsanwaltschaft unangebracht sei, so meinte Statz, hätten übrigens auch Ungläubige das Recht, sich, zum Beispiel angesichts pauschaler Verunglimpfungen durch bestimmte katholische Bischöfe, beleidigt zu fühlen.

Größtmögliche Freiheit für die Kunst

Wie Kunst und Religion (oder besser: deren Vertreter) miteinander in Konflikt geraten, führte Silvana Uhlrich, DFW-Referentin für internationale Jugendarbeit, anhand zahlreicher Beispiele vom Hollywoodfilm „Dogma“ bis zum „Ferkelbuch“ vor. Häufig sei Auslöser eines Konfliktes über ein Kunstwerk nicht dessen religionskritische Intention, allein die unorthodoxe Verwendung bestimmter Symbole oder der Einsatz „heiligen“ Personals könne genügen, religiös motivierte Zensurforderungen auszulösen (in dem keineswegs religionsfeindlichen Streifen „Dogma“ trat Gott als Frau auf). Uhlrich plädierte für größtmögliche Freiheit der Kunst und verwies darauf, dass gesellschaftliche Debatten oft ihren Ausgang von einer Provokation nehmen. Insofern könne in der Kunst durchaus erlaubt sein, was im Alltag unterlassen werden sollte. Respekt gegenüber Religionen sollte nicht von vorneherein als Grenze für die Kunst definiert werden.

Diskussion mit Bundestagsabgeordneter

Die anschließenden Arbeitsgruppen wurden durch einen Besuch der SPD-Bundestagsabgeordneten Doris Barnett, die der Freireligiösen Gemeinde angehört, unterbrochen. In einer kurzen Ansprache bezog sie Stellung zum Tagungsthema, wobei sie einräumte, sich zuvor noch nie näher mit dem betreffenden Paragraphen auseinandergesetzt zu haben. Wie nicht anders zu erwarten, trug das Plenum dieser Einschätzung der Relevanz des Zensurparagraphen Rechnung und schnitt in der Diskussion schnell andere Fragen an. Im Vordergrund stand dabei, wie es den Verbänden der Konfessionslosen gelingen könnte, mehr Gehör in der Politik zu finden. Hier stellte Doris Barnett klar, dass es auch für vernünftige Forderungen, wie zum Beispiel die Ersetzung des konfessionellen Religionsunterrichts durch einen integrativen Ethikunterricht, auf absehbare Zeit keine politischen Mehrheiten geben wird. Trotzdem gab sie eine Reihe von Anregungen, wie es den säkularen Kräften gelingen könnte, mit ihren Anliegen stärker zu den politischen Repräsentanten vorzudringen.

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Am Sonntagmorgen wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammengetragen. Die Einschätzung, dass die Verbände darauf hinwirken sollen, dass der § 166 StGB im Zuge der nächsten Strafrechtsnovelle abgeschafft wird, war einhellig. Die AG, die den Begriff des öffentlichen Friedens genauer unter die Lupe genommen hatte, trug vor, dass die rechtlichen Regelungen zu Beleidigung und Volksverhetzung für den Schutz eines friedlichen Zusammenlebens ausreichend seien. Der „Gotteslästerungsparagraph“ sei zwar im Moment ein zahnloser Tiger, doch könne sich dies schnell ändern. Derzeit gehe die vorherrschende Rechtsauffassung davon aus, dass maßgeblich für die Beurteilung, ob der öffentliche Friede durch eine „Religionsbeschimpfung“ gestört werden könne oder nicht, die Einschätzung eines angenommenen diskussionserprobten Durchschnittsdemokraten sei. Wenn sich diese Annahme in Richtung eines „kirchennahen Bürgers“ verschiebe, könne der Paragraph ohne irgendeine Veränderung am Gesetzestext eine Verschärfung erfahren.

Aus der AG, die sich mit dem Verhältnis von Blasphemie und Kunstfreiheit befasst hatte, kam der Vorschlag, ein Rechtsgutachten zur Überflüssigkeit des § 166 StGB in Auftrag zu geben.

Wer den Blick auf die europäische Ebene lenkt, kann derzeit keine einheitliche Entwicklung ausmachen. In den osteuropäischen Staaten wurden nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus entsprechende Gesetze überall eingeführt; Weißrussland unterstützt Bestrebungen islamischer Staaten bei der UNO, Religionskritik zu ächten. Bedenklich stimmt auch, dass in Irland zum Jahreswechsel ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, dessen Auswirkungen auf öffentlich geäußerte Kritik an Kirche und Glaubensinhalten noch nicht absehbar ist. Auf der anderen Seite hat Großbritannien unlängst seinen Blasphemie-Paragraphen abgeschafft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die „Venedig-Kommission“ des Europarates empfohlen hat, die Blasphemie-Regelungen in Europa nicht zu verschärfen. Mit den Mitteln des Strafrechts lässt sich ein gedeihliches Miteinander eben nicht herstellen. Dazu, so betonte Volker Mueller in seinem AG-Bericht, bedürfe es einer Ethik des verantwortungsvollen Miteinanders.

Kultureller Ausklang mit Tucholsky & Co.

Als nächster Schritt sollen die Ergebnisse der Tagung in einem Papier zusammengefasst werden. Dieses soll die Forderung nach Abschaffung des § 166 StGB im Zuge der nächsten Strafrechtsreform begründen und als Vorlage dienen, einzelne Bundestagsabgeordnete auf das Thema anzusprechen.

Die Tagung endete mit Kultur. Renate Bauer und Hilmar Kühn lasen „einschlägige“ Gedichte und Prosatexte von Shalom Auslander, Herbert Rosendorfer, Jürgen Becker und Kurt Tucholsky, die alle das Potential hatten, unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen die Staatsanwaltschaft auf den Plan zu rufen. Die Verse von Gerhard Rühm, die sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche thematisierten, hätten allerdings auch dann kaum etwas zu befürchten – zu genau beschreiben sie, was da in kirchlichen Einrichtungen passiert ist und wie sich einzelne Würdenträger dazu verhalten haben. Oder wäre vielleicht gerade deshalb... ?

Martin Bauer