MASTERSHAUSEN. (hpd) Sie sieht ungewöhnlich aus, verhält sich ein wenig eigenartig und weiß Interessantes über die Liebe zu erzählen: Dr. Ingelore Ebberfeld war zuerst Maschinenbauingenieurin, bevor sie sich der Kulturanthropologie zuwandte. Im Herzen sei sie Humanistin, betonte die bekennende Bremerin in der Einleitung zu ihrem Vortrag gegen die Liebe bei der 42. Postmatinee in Mastershausen.
Ihre Doktorarbeit schrieb Ebberfeld über die Sexualität von Frauen im Alter und habilitierte danach bei Hans Peter Duerr über den Geruch. Nachfolgend vom Verlag gefragt, ob sie sich vorstellen könne, ein Buch über die Liebe zu verfassen, entschied sich Ebberfeld, ein Buch gegen die Liebe zu schreiben.
Zu Beginn ihres in überaus lebendiger Manier gehaltenen Vortrags fragte die Referentin, was denn mehr beseele: An die Liebe zu glauben oder sie in den Wind zu schreiben? Wollen wir der Liebe wirklich ins Gesicht sehen oder weiter schwärmen? Im Grunde konnte man sich an dieser Stelle bereits die Antwort denken, aber das Warum? Das Warum führte Ebberfeld sodann, mit erheblichem Fachwissen gespickt, aus.
Grundlage der Liebe ist der Sex beziehungsweise die Fortpflanzung, so lautet die Hauptthese, und nicht etwa die Mutter-Kind-Bindung oder erst die Liebe, dann der Sex. Nein, man will Sex und gibt an, verliebt zu sein. (Wobei es durchaus auch Sex ohne Liebe gibt.) Bei langen Beziehungen wird aus Sex und Liebe irgendwann Gewohnheit, die immer noch Liebe genannt wird. An dieser Stelle sei stellvertretend Oscar Wilde zitiert: “Wenn man liebt, täuscht man zunächst sich selbst. Schließlich täuscht man andere. Ohne Täuschung ist Liebe und Verliebtheit nicht möglich.”
Verliebtheit und Eifersucht
Verliebtheit, Treue, Leidenschaft und die Fähigkeit zu Liebeskummer machen nach kollektiver Ansicht angeblich Liebe aus. Verliebtheit entsteht jedoch nur, weil die Natur, weil die Gene es so wollen: Wir wollen uns fortpflanzen. Bei der Verliebtheit steigt der Dopaminspiegel und Hochgefühle dominieren. Generell verändern Hormoncocktails den Menschen häufig als Ganzes, sieht man zum Beispiel das veränderte Verhalten und die körperlichen Ausprägungen von Schwangeren, von Eunuchen oder Verliebten. Liebe kann deshalb mit einer machtvollen Droge verglichen werden. (Liebeskummer dagegen ist eine der schlimmsten Schmerzarten, die man der menschlichen Seele zufügen kann.) Wenn wir uns verlieben, ist der Geruch einer der Faktoren - ein wesentlicher Faktor -, der dafür den Ausschlag gibt, und zwar jener im Intimbereich und unter den Achseln. Der Geruch entscheidet über die Leidenschaft.
“Du bist mein Ein und Alles!” - Liebestrunkenheit fordert Opferbereitschaft. In der Eifersucht steckt eine genetische Logik: Es besteht bei Männern die Möglichkeit, dass sie eine fremde Brut großziehen. Daher ist es nötig, dass sie auf ihre Frau(en) aufpassen. Die Eifersucht verlangt vermutlich eine gehörige Portion Adrenalin, die wiederum zu Wut und Aggression führt, mithin einen selektionsfördernden Faktor darstellt. Eifersucht beweist somit nicht Liebe, sondern sexuelle Inanspruchnahme (und kann in erträgliche Bahnen gelenkt werden). Männer haben zu allen Zeiten über ihre Frauen beziehungsweise deren Vaginas gewacht. Selbst in der Mode spiegelt sich die Bewachung: Mit verkrüppelten Füßen wie ehemals in China oder in High Heels wie hierzulande kann eine Frau nicht schnell laufen, also nicht weglaufen oder mal eben zu jemandem hinlaufen. Als weitere Kontrollmöglichkeit der weiblichen Sexualität sei auch die Genitalverstümmlung genannt.
Weibliche Eifersucht dagegen dreht sich immer um den potenziellen Verlust des Versorgers.
Monogamie und Promiskuität
Birkhühner und Schottische Moorschneehühner weisen trotz beinah identischen Lebensraums unterschiedliche Bindungsmuster auf: Die einen sind polygam, die anderen leben partnerschaftlich und teilen sich ihre Pflichten fifty-fifty. Bei uns sind Menschen monogam. Aber es gibt auch die Vielweiberei. Das ist kulturell bedingt. Wenn ein Mann kann, hat er mehrere Frauen (umgekehrt gilt das auch, wobei Frauen eher die Monogamie präferieren). Überall wird fremdgegangen: Es liegt in der Natur des Menschen und erhöht die Chancen seiner genetischen Zukunft.
Nur die westlichen Länder sowie China und Indien halten die Monogamie hoch. Manche Völker kennen Polygynie (ein Mann hat mehrere Frauen), einige auch Polyandrie (eine Frau hat mehrere Männer). Letzteres Paarungsverhalten zeigen beispielsweise Völker in der hintersten Ecke Chinas, in denen der Mann die Kinder seiner Schwester mit versorgt, da diese auf jeden Fall mit ihm verwandt sind. Dessen kann er sich bei den Kindern seiner Sexualpartnerin nicht sicher sein. Denn sie hat mehrere Männer.
„Man muss“, so meint die Referentin, „unterscheiden zwischen dem, was natürlich und normal ist und dem, was erwünscht ist.“ Nichtsdestotrotz besteht eine gewisse Spannung zwischen dem, was man für richtig hält und den Gefühlen, die dadurch ausgelöst werden können: „Ich bin fürs Fremdgehen. Aber wenn meiner das machen würde...!“
Sodann liefert sie einige statistische Zahlen zum Zusammenhang zwischen Attraktivität und Seitensprung: je attraktiver, desto promisker, zumindest trifft dies auf bestimmte Vogelarten zu. Und der Mensch? Ungefähr neun Prozent aller Kinder haben einen anderen Vater als den als leiblichen Vater geltenden, aber gesicherte Zahlen gibt es hierzu nicht.
Das Konzept Liebe als dauerhaftes Bindungsmittel wird ad absurdum geführt, wenn man sich die Scheidungszahlen in Deutschland zu Gemüte führt, die bei 51,9 % aller Ehen liegen. Dagegen verlaufen ebenso viele Zwangsehen glücklich, auch wenn diese aus Menschenrechtsgründen zu verurteilen sind. Dies zeigt jedoch auch, dass das Konzept Liebe, weltweit gesehen, nicht allen Paaren als Bindungsgrund geläufig ist. Liebe ist im Prinzip das, was wir uns darunter vorstellen. Die letzte Liebe des Lebens sei die „richtige“ Liebe, weil wir uns aufgrund unserer nachlassenden körperlichen Verfassung keine Chance auf eine weitere Liebe ausrechnen.
Für Zweifler ging die Referentin danach auf die Frage ein, wie zuverlässig Wissenschaft denn sei und die Notwendigkeit, alle Angaben soweit möglich zu überprüfen. Sei dies nicht möglich, müsse man darauf vertrauen, dass andere Wissenschaftler sauber arbeiteten. Küssen wurde im Gegensatz zu den Ausführungen männlicher Kollegen, die dies an die Mutter-Kind-Bindung anlehnen (das Säugen bzw. Stillen, um genau zu sein), mit dem Beschnuppern und Belecken eines Hinterteils zur Begrüßung gleichgesetzt. Unkonventionelle Tipps für die Partnersuche erhielt das Publikum gleich dazu.
In ihrem Schlussplädoyer verwies Ebberfeld darauf, dass wir alle zuviel erwarten und Akzeptanz eventuell hilfreich wäre: „Vielleicht werden wir zufriedener, wenn wir der Liebe ins Gesicht schauen?!“
Fiona Lorenz
Ingelore Ebberfeld: Von der Unmöglichkeit der Liebe. 256 Seiten, mvg Verlag





