MÜNCHEN. (hpd) „Ein großartiges Passionsspiel über Wunder und begrenzte Haltbarkeit“ schrieb wohl DER SPIEGEL und die Frauenzeitschrift BRIGITTE kommentierte „Ein wahrhaft wundersamer Film“. So jedenfalls dokumentiert auf dem Werbeplakat zum Film „Lourdes“ der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, der einen Tag vor Karfreitag in die deutschen Kinos kam.
Auf der Internetseite des Malteser Kreuz (der Zeitschrift des Ordens, der die Lourdes-Pilgerfahrten für behinderte und kranke Pilger maßgeblich organisiert) ist der Film gar eine Aufforderung, die „persönliche Gottesbeziehung“ zu klären. Für eine Gottlose also Gründe genug, mit Skepsis ins Kino zu gehen... auch nachdem er 2009 bereits (u. a.) den „Signis Preis der ökumenischen Jury“ gewonnen hatte.
Was passiert...
Die wegen Multipler Sklerose bis zum Hals gelähmte Christine (beeindruckend: Sylvie Testud) nimmt an einer von den Maltesern betreuten Pilgerreise nach Lourdes teil; weniger, weil sie sehr gläubig ist und deutlich Hoffnung auf göttliche Heilung hat, sondern, weil sie als Rollstuhlfahrerin ohne Betreuung sonst ja nirgends hinkommt. Sie möchte wieder dazugehören, alles tun können, was andere tun können, z.B. sein wie die jungen lebendigen Betreuerinnen des Malteser-Ordens um sie und die anderen Pilger herum. Im Rahmen der Pilgerreise ist alles wie bei einer Pauschalreise sonst auch durchorganisiert. Eher teilnahmslos, ja fast reglos erscheint dem Zuschauer diese Christine bei Sakramentsprozession, Lichterprozession, Grottenbesuch, Bäderbesuch, Gebet ... was halt im Rahmen einer Pilgerreise alles so geboten wird. Lebendig wirkt Christine selten, aber immer dann ganz besonders und für den Zuschauer faszinierend, wenn die junge, dralle, ihren Rollstuhl schiebende Malteserin Maria mit dem schmucken Malteseroffizier Kuno flirtet, den auch Christine selbst sehr anziehend findet.
Im Laufe des Aufenthalts in Lourdes kommt es zu einer unerklärlichen Besserung des Gesundheitszustands von Christine. Sie, die bislang gefüttert, gebadet, ins Bett gelegt werden musste, erhebt sich eines Nachts, kann zuerst Arme und Hände bewegen und schließlich auch wieder – wenn auch unsicher – selber gehen. Ein von allen Pilgern erwartetes und jubelnd begrüßtes Zeichen Gottes? Der in solchen Fällen erforderliche Besuch des dortigen Ärztekomitees bringt keine verbindliche Klärung – multiple Sklerose ist eine Krankheit, die schubhafte Besserung genauso wie schubhafte Verschlechterung kennt. Christine freut sich natürlich über dieses „Wunder“ und erlebt gleichzeitig in der Gemeinschaft der Pilger den Neid der anderen, dass sie nicht berücksichtigt worden sind. So sehr Christine sich in das normale Leben denkt und Pläne schmiedet ahnt sie schließlich, dass diese „göttliche Heilung“ irdisch ganz und gar begrenzt sein könnte... vielleicht, weil sie nicht genügend an Gott glaubt?
Wie im richtigen Leben...
Kranke und Behinderte ziehen – teilweise zu Franz Schuberts „Ave Maria“ und Chorälen von Johann Sebastian Bach - in langsamen, fast statischen Bildern auf der Leinwand vor den Augen der Kinobesucher vorbei, aber auch Einsame, Traurige und Verzweifelte. Der größte Marienwallfahrtsort Europas erscheint düster, grau, eher depressiv, über weite Strecken nur aufgehellt durch die flammend roten Jacken der scheinbar gesunden Malteser-Schwestern, die alles organisieren, betreuen und regeln.
Unabhängig von der Hauptdarstellerin erscheint den Zuschauern dieses ganze „Lourdes“ mit seinen Hilfe- und Heilsuchenden als eine „(...) comédie humaine , in der sich die Menschen nicht anders benehmen als überall sonst, wo Menschen in einer Gruppe aufeinander treffen. Mit der einzigen Ausnahme, dass sie hier im gnadenlosen Wettkampf um die Heilkraft der Muttergottes stehen. Ansonsten ist auch hier jeder sich selbst der Nächste (...)“ (DER SPIEGEL). Wie überall gilt jedem sein eigenes Glück irgendwie doch auch hier am meisten; das gilt für Pilger und Betreuer, für Kranke und Gesunde gleichermaßen. So lässt Maria, Christines Betreuerin, den Rollstuhl mit der Schutzbefohlenen wegen Kuno einfach stehen. Und Frau Hartl, Christines nicht kranke, doch vereinsamte Zimmergenossin, packt den führerlosen Rollstuhl, weil sie somit als körperlich Gesunde in die erste Reihe der vom Pfarrer zu segnenden Pilger vordringen kann.
Die Nachricht von der göttlichen Heilung Christines erfreut die Pilger nicht wirklich; die Mutter mit der schwerstbehinderten Tochter kommt damit zum x-ten Mal quasi umsonst nach Lourdes, die zwei älteren Freundinnen verstehen die göttliche Wahl überhaupt nicht und der alte Griesgram im Rollstuhl versucht, seinen Neid in großen Mengen Rotwein zu ertränken bei der Wahl von Christine zur „besten Pilgerin“. Diese allzu menschlichen Regungen wirken vor dem düsteren Hintergrund mit scheinbar endlosen, ewig währenden Prozessionen, Gebeten und Segnungen sehr komisch und entlocken den Kinobesuchern mehr als einmal Gelächter. Aber was ist mit dem Wunder, mit der Heilung, mit Gott?
Das Glück der Frauen
„Lourdes“ ist kein Film über göttliche „Wunder und deren begrenzte Haltbarkeit“. Es ist ein Film über das irdische Leben, das irdische Glück und dessen begrenzte Haltbarkeit. Gott spielt keine Hauptrolle, nicht mal eine Nebenrolle wie im übrigen die wenigen Männer im Film. Dieser Film ist der Film einer Frau über eine Frau an einem einer Frau geweihten Ort, in dem – von der Muttergottes angefangen - überwiegend Frauen alles Wesentliche bestimmen, organisieren, regeln. Mit die einzigen Farbtupfer in den ansonsten eher düsteren Bildern sind die leuchtend roten Jacken der fütternden, tragenden und betenden Frauen aus dem Malteserorden, wie ein roter Faden durch den ganzen Film.
Es sind die Frauen, die Bedeutung haben und sich den Kranken, Verzweifelten und Einsamen widmen. Aber es sind auch die Frauen, die sich den wenigen gesunden Männern nähern, sich wohl nach ihnen sehnen, im Zusammensein oder Zusammenleben mit ihnen ihr irdisches Glück sehen. Da geht’s der vielleicht geheilten Christine genauso wie der jungen, gesunden Maria. Dem Rollstuhl soeben entkommen ist ihr erster Gang zum Spiegel, wo sie die halblangen Haare löst, die Ohrringe anlegt und sich dann als ganze Frau strahlend lächelnd in den Wettbewerb um den schmucken Kuno begibt. In diesem Augenblick körperlich ganz gesund und ganz Frau scheint sie ihn für sich zu gewinnen. Sie kann träumen, lachen und in seinen Armen tanzen. Als sie beim Tanz stolpert und aus seinen Armen fällt verschwindet Kuno zögerlich, aber ganz aus der für die Zuschauer sichtbaren Tanzfläche, die das irdische Glück bedeuten. Frau Hartl schiebt stumm den Rollstuhl hinein, und mit den Zuschauern lauscht Christine, noch stehend, aber bewegungslos, dem singenden Alleinunterhalter auf der Bühne.
Das irdische Glück – so gewonnen, so zerronnen? Ach so...Wunder, Heilung oder gar Gott habe ich den ganzen Film über nirgends gesehen!
Die Frohe Botschaft
„Lourdes“ wird als Film u.a. für die Medienarbeit in den Erzbistümern Freiburg und Köln angeboten. Scheinbar interpretieren ihn die dort Verantwortlichen als sinnvoll verwertbar in ihrer Missionsarbeit. Wer den Film wirklich gesehen hat, kommt wirklich nicht umhin, sich das zu fragen.
„Lourdes“ begleitet ein Stück weit eine sichtlich nicht wirklich gläubige Frau auf ihrer Suche nach höchst persönlichem irdischen Glück. In diesem Leben zunächst einmal schwerstkrank, vom Hals abwärts gelähmt und dadurch irgendwie auch vereinsamt, hat die Hauptdarstellerin Christine kaum eine Chance, einen sie liebenden Lebenspartner für ein erfülltes, in ihren Augen sinnvolles Leben zu finden. In dem Moment, da sie nicht mehr gelähmt ist, sich schön machen, bewegen und tanzen kann, kann sie am Wettbewerb aller Frauen um die Gunst aller Männer teilnehmen. Und tut dies auch, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, durchaus sichtbar erfolgreich. Als ihr Sturz auf der real existierenden Tanzfläche, die das Leben bedeutet, sie – zumindest in diesem Augenblick - wieder aus diesem Wettbewerb wirft, bleibt sie am Ende des Films nachdenklich und scheinbar ewig am Rande des Bildes stehen. Die Kamera ruht irgendwie endlos auf ihrem bewegungslosen Gesicht, zum skurril anmutenden Gesang von „Felicita“ als Duett zwischen einem abgeklärten Alleinunterhalter und der deutlich falsch singenden jungen Betreuerin Maria – das passend über das Ende des Films hinaus mitgesungen wird.
Aber nur ein Narr kann an dieser Stelle auf die Antwort warten, dass der nächste Mann, dem sie sich bei ihrer Sinnsuche zuwenden wird, Gott sein wird. Wirklich wahrscheinlicher ist alles andere...
Assunta Tammelleo





