BERLIN. (hpd) Nahezu identische Positionen zur Sterbehilfe vertreten, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, in Deutschland die katholischen Bischöfe und der Zentralrat der Muslime. Für beide sind ein fiktiv angenommener Wille Gottes und die göttlichen Erwartungen an das Verhalten der Menschen allein maßgeblich.
Der Mensch darf nur duldender Erfüller göttlicher Fügungen sein – auch wenn dies unsägliches Leiden bedeutet, das ist die im Kern identische Aussage bei Katholiken und Muslimen. Dass dabei die Menschenwürde und die Selbstbestimmung eines Menschen am Ende des eigenen Lebens überhaupt keine Rolle spielen, versteht sich von selbst. Dabei formulieren die (konservativen) Muslime klarer noch als die Katholiken, dass es einen “Sinn des Leidens” gäbe.
Kardinal Marx: Nein zur Sterbehilfe – Gebt die Schwerkranken und Sterbenden in die Hände der Katholiken
Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hat für die katholischen Bischöfe vor wenigen Tagen erneut pointiert gegen organisierte Sterbehilfe Position bezogen: ein klares Nein, und zwar auch zum ärztlich assistierten Suizid. Offenbar halten die katholischen Oberhirten gegenwärtig eindeutige Ansagen mit Blick auf die Debatte im Deutschen Bundestag für angesagt, nachdem in den letzten Monaten unter den Abgeordneten differenzierte Auffassungen zur Sterbehilfe erkennbar geworden sind. Das Zustandekommen eines Gesetzes aufgrund der Gröhe-Initiative auf Kriminalisierung jeglicher organisierter Sterbehilfe erscheint gegenwärtig weniger sicher als jemals zuvor; prompt kommt für die Gegner eines selbstbestimmten Sterbens “moralische Aufrüstung” und Wegweisung aus dem Apparat der katholischen Kirche.
Vom Kardinal ist allerdings nichts Neues zu vernehmen, lediglich eine Wiederholung der sattsam bekannten Floskel von der schiefen Bahn: "Mir geht es um das menschenwürdige Sterben. Wenn diese Differenz verwischt wird, dann ist eine abschüssige Bahn betreten, auf der es kein Halten mehr gibt.! äußerte er gegenüber der FAZ. Eine Begründung für diese Behauptung gibt er – selbstverständlich! – nicht. Es wäre auch eine mehr als anrüchige Behauptung zu sagen, dass ein Mehr an Selbstbestimmung beim eigenen Sterben in einer demokratisch verfassten Gesellschaft mit funktionierender Justiz und öffentlicher Kontrolle sich zu unkontrollierbaren Tötungsvorgängen entwickeln könnte. Es soll wohl unterschwellig auf die Mordaktionen der Nazis angespielt und die Befürworter einer Sterbehilfe sollen damit ethisch diskreditiert werden.
Unterschlagen wird selbstredend von Marx, dass die Befürworter organisierter Sterbehilfe in den vergangenen Monaten auf Sorgfaltskriterien bei der Suizidbeihilfe enormen Wert gelegt haben. Aber darauf kommt es nicht an, wenn die eigentliche Botschaft lautet: Gott habe den Menschen das Leben geschenkt und deshalb sei auch das eigene Leben unverfügbar. Diese Botschaft, die in der Breite der Gesellschaft nur noch, je nach Standpunkt, Empörung oder ein gelangweiltes Achselzucken auslöst, taucht jedenfalls in den öffentlichen Erklärungen kaum noch auf und wird ersetzt durch die pauschale Warnung von der “abschüssigen Bahn”.
Islamische Position zur Sterbehilfe: Leiden in Gottvertrauen!
Kaum oder gar nicht bekannt sind bislang Positionen aus dem Islam zur Frage der Sterbehilfe. Seitens der Islamverbände liegen bislang keine medial verbreiteten Stellungnahmen zur aktuellen Debatte um organisierte Sterbehilfe vor. Die wenigen vorhandenen Äußerungen lassen jedoch nichts Gutes erwarten.
Die Frauenbeauftragte des Zentralrats der Muslime, die Frauenärztin Dr. Houaida Taraji, erteilte im Jahr 2012 einer Selbstbestimmung am Ende des Lebens, einer höchstpersönlichen Entscheidung darüber, ob man das eigene Leben noch lebenswert finde, eine deutliche Abfuhr: “Keiner hat das Recht darüber zu entscheiden außer der Schöpfer selber, inwiefern der Mensch lebenswert ist oder nicht”. Ganz im aggressiven Stil militanter “Lebensschützer” formulierte sie: “Es darf keine Tür zur Beihilfe zum Mord geöffnet werden.”
In einer Stellungnahme des Zentralrats der Muslime (ZMD) aus dem letzten Jahr, an der Frau Dr. Taraji mitgearbeitet hat, wird aktive Sterbehilfe, aber auch jegliche ärztlich assistierte Sterbehilfe abgelehnt. Auch bereits die Selbsttötung wird abgelehnt, moralisch abqualifiziert; dazu heißt es wörtlich: “Bei schwerem Schicksal und bitterem Leiden wie eine schwere unheilbare Krankheit, sollte er (der muslimische Kranke, W.O.) standhaft und geduldig bleiben und sein Vertrauen und seine Dankbarkeit Gott gegenüber beibehalten.” Der ZMD beruft sich in dem Papier auf “alle Gelehrten und anerkannten Gutachten der islamischen Fatwa Gremien der verschiedenen muslimischen Rechtsschulen (Sunniten und Schiiten)”.
Zur “Begründung” der unbarmherzigen Position, die auf ein Durchleidenmüssen orientiert, wird auf die Vorbestimmung des Lebens eines jeden Menschen durch Gott hingewiesen: “Durch den Glauben an die Vorhersehung Gottes … kann ein Muslim die Frage nach dem Sinn des Leidens, dem Tod und einer schweren Krankheit verstehen, deren Ursprung und Wege zur Überwindung einen Zusammenhang haben. Eine Krankheit kann sowohl Folge einer klaren oder unklaren Ursache sein. Ein Muslim kann seine Leiden und die schwere Erkrankung einerseits als eine von Gott auferlegte Prüfung ansehen, dies verlangt von ihm zur Bewältigung Geduld und Beharrlichkeit. Er kann aber auch das Leiden als Strafe (oder Mahnung) für seine Sünden verstehen, dies verlangt von ihm die Hinwendung zu Gott durch Umkehr und Buße.”
Das Leidenmüssen von Menschen und die Unbarmherzigkeit der hundertfünfzigprozentigen Gläubigen gehört ganz offensichtlich – wie viele annehmen – nicht nur zur christlichen Ideologie, sondern auch zu der des abrahamitischen Islam. Dazu gehört aber auch die moralische Abqualifizierung desjenigen Menschen, der seine eigene Lebenssituation als unerträglich und unwürdig empfindet.
In den christlichen Kirchen gibt es auch deutliche Positionen gegen die unbarmherzige Ideologie des Klerus; wann wird es solche Positionen im Islam in Deutschland gegen die Auffassungen der Verbandsfunktionäre geben?
Nota bene:
Kardinal Marx fordert, alle Sterbenden an katholische Einrichtungen zu übergeben: “Gebt uns die Sterbenden, denn wir sind ganz besonders für die Leidenden und Sterbenden da. Wir kümmern uns.” Sterbende sollten gewiss nicht katholischer Bevormundung ausgesetzt sein und bekannt ist auch, dass Palliativmedizin und Hospize keineswegs im Gegensatz zu einem begründeten Wunsch auf eine Beendigung des Lebens in Würde stehen. Davon abgesehen, teilt Marx nicht im entferntesten mit, wie er denn seine vollmundigen Propagandasprüche in die Tat umsetzen und eine umfassende Hospizpflege organisieren will.
Der Pflegekritiker Claus Fussek hat dem Kirchenmann im Oberbayerischen Volksblatt den Spiegel vorgehalten: “Immer, wenn es um Sterbehilfe geht, kommen die Kirchen und empören sich. Aber die Nachtwachen in den Einrichtungen haben nicht einmal die Zeit, einem Sterbenden die Hand zu halten oder ein Gebet zu sprechen. Das ist die bittere Realität auch in vielen christlichen Einrichtungen.”
10 Kommentare
Kommentare
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Aus unheilbar Kranker im Palliativ-Bett unter dem Kruzifix zu liegen und von der Pflege der Betschwestern abhängig zu sein - allein diese Vorstellung ist so grauenhaft, dass man sich schon vorher das Leben nehmen möch
Werner Koch am Permanenter Link
Wie verträgt sich denn die Rolle der Selbstmordattentäter mit der islamischen Position zur Sterbehilfe?
Stefan Wagner am Permanenter Link
Wenn Fr. Dr. Traraji sagt:
<blockquote>
Er kann aber auch das Leiden als Strafe (oder Mahnung) für seine Sünden verstehen, dies verlangt von ihm die Hinwendung zu Gott durch Umkehr und Buße.
</blockquote>
dann klingt das für mich, als sollten die Gottlosen, wenn sie vor dem Tod leiden, von Gott gefoltert werden dürfen, bis sie rückfällig werden.
Und schwingt darin eine Genugtuung mit, dass die Ungläubigen schon bestraft werden? Sie freut sich über die Folter, die ihr Gott wehrlosen Sterbenden antut.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Grund Nr. 37.219, um Religion als Ganzes abzulehnen - oder ist in dem Artikel etwas aus dem Zusammenhang gerissen?
Fred FRENZEL am Permanenter Link
Wir kümmern uns...um das Erbe...& leiten es weiter an katholische
Einrichtungen.
Mathias Voss am Permanenter Link
"Eine Krankheit kann sowohl Folge einer klaren oder unklaren Ursache sein.
Mit anderen Worten: In einer offiziellen Stellungnahme des Zentralrats der Muslime aus dem Jahr 2013 wird ernsthaft diskutiert, Krankheiten als Strafe Gottes zu betrachten?
Ich dachte eigentlich, diese Sichtweise wäre nur noch aus historischen Gründen erwähnenswert, weil abrahamitische Religionen diese Sichtweise _in grauer Vorzeit_ mal vertreten hätten.
Julian Estragon am Permanenter Link
Die große abrahamitische Ökumene der Bevormundung.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Was erwartet man schon von Leidkulturen?
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Hier zeigt sich wieder der ganze undemokratische Machtanspruch der Religiösen und der ihnen willfährig ergebenen Politiker.
Es ist doch kein Christ oder Muslim gezwungen ist, sich der liberaleren Auffassung eines Nichtchristen zur Sterbehilfe anzuschließen. Für einen wahren und überzeugten Christen oder Muslim müsste das Verbot der Sterbehilfe vollständig überflüssig sein, denn es müsste ihnen ja ein gern erfülltes Anliegen sein, Gottes bzw. Allahs Gebote, wie sie die Kirche oder ihre Vorbeter für sie festlegen, zu befolgen. Dass es dafür staatliche Gesetze geben soll, die auch für den Nichtchristen und Nichtmuslim gelten, die in diesen Glaubensfragen eventuell eine ganz andere, ebenso zu achtende Auffassung haben, ist dem immer noch und überall wirkenden religiösen Machtanspruch geschuldet. Dieser voraufklärerische Machtanspruch manifestiert sich in gesellschaftlichen Strukturen (z.B. in der Rechtsprechung bzw. angestrebten Gültigkeit der Scharia oder im gesamten Erziehungswesen), wirkt unbewusst als tradiertes Wertesystem noch in den Köpfen selbst Glaubensferner und zeigt sich zum Beispiel in einem kirchlich-staatlichen Machtdenken oder angesteuerten Etablieren vorzeitlicher, aus dem Koran abgeleiteter Verhaltensregeln. Diese religiösen Praktiken waren stets mehr durch Verbieten als durch Vorleben und Überzeugen gekennzeichnet. Diese aus dem Glauben folgenden strafbewehrten Verbote lassen einerseits erkennen, dass die Kirche oder die muslimischen Vorbeter und Machthaber, einschließlich der ihnen willfährig ergebenen Politiker, ihrer eigenen Klientel nicht trauen, andererseits sich anmaßen, auch allen Nichtgläubigen auf dem Umweg über staatliche Gesetze ihre Glaubensauffassung aufzuzwingen.
Die verantwortlichen Politiker, Kardinäle vom Schlage Marx sowieso, hätten allesamt eine Lektion in Demokratie und in Verfassungsrecht, insbesondere, was die Grundrechte angeht, bitter nötig. Aber über der Demokratie steht für sie die Religion – bei den Christen wie den Muslimen.
Wolfgang am Permanenter Link
Mit Erschrecken stelle ich fest, die Kirchen sind auf dem Vormarsch, vorbei an Humanität und Menschenwürde. Der Kranz, der Kranz muss gerettet und verteidigt werden.