Die Geschichte des Westens

(hpd). Der Historiker Heinrich August Winkler legt mit “Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall” den dritten Teil seines monumentalen Werkes zum Thema mit über 1000 informativen Seiten vor. Bei aller Anerkennung für diese enorme Leistung und gelungene Monographie hätte man sich doch eine stärkere Thematisierung des Spannungsverhältnisses von westlichen Normen und westlicher Realpolitik gewünscht.

“Geschichte des Westens” lautet der Titel eines ambitionierten Projektes, das der Berliner Historiker Heinrich August Winkler gestartet hat. Er will damit die Geschichte des geographischen wie normativen Westens erzählen. Ersteres meint die Region von Nordamerika und Westeuropa. Mit dem normativen Westen ist das Bekenntnis zur Herrschaft des Rechts, Idee der Menschenrechte, Souveränität des Volkes und Teilung der Gewalten thematisiert.

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Winkler verbindet aber mit dieser Perspektive keine blinde Apologie, macht er doch immer wieder deutlich, dass die Realpolitik des Westens mitunter den Werten des Westens widersprach. Auf jeweils über 1000 Seiten ging es im ersten Band um die Zeit von der Antike bis zum 20. Jahrhundert und im zweiten Band um die Zeit der Weltkriege zwischen 1914 und 1945. Der nun vorliegende dritte Band nimmt mit dem Untertitel “Vom Kalten Krieg zum Mauerfall” die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick, endet aber am Beginn der 1990er Jahre mit der Auflösung des “real existierenden Sozialismus”.

Winkler geht im klassischen Sinne historisch-chronologisch vor, wobei dies mitunter ein inhaltliches Problem darstellt: Einige Ereignisse, die sich wie etwa der Vietnam-Krieg über mehrere Jahrzehnte entwickelten, müssen so in unterschiedliche Kapitel mit entsprechenden Brüchen behandelt werden.

Am Beginn stehen die Anfänge des Kalten Krieges zwischen 1945 und 1949 und die Ära vom Koreakrieg bis zur Kubakrise 1949–1963. Dem folgen die Ausführungen zur Entwicklung von der Konfrontation zur Entspannung von 1963 bis 1975 und von der Entspannung zur Konfrontation von 1975 bis 1985. Und schließlich geht es um den Abschied vom Kalten Krieg zwischen 1985 und 1991. Zwar will Winkler nur die “Geschichte des Westens” erzählen, da dieser aber außenpolitisch mit den unterschiedlichsten Regionen der Welt verbunden war, wird daraus letztendlich eine Art Globalgeschichte dieser Zeit. Bei aller Fixierung auf den Blockkonflikt von Ost und West geht es demnach auch um Entkolonialisierung und Entwicklungspolitik.

Nimmt man auch diesen dritten Band zur Hand und vergegenwärtigt sich die enorme Arbeitsleistung, dann kann man erneut vor Winkler nur den Hut ziehen. Gegenwärtig ist kaum noch ein derartiges geschichtliches Werk von solcher inhaltlichen Breite und zeitlichen Länge aus der Feder von nur einem Historiker vorstellbar. Die komprimierte Darstellung einzelner Gesichtspunkte und die systematische Umsetzung des Stoffs macht auch aus diesen dritten Band ein bestens geeignetes Handbuch und Nachschlagewerk.

Bei aller Anerkennung, bei aller Wertschätzung dieser imponierenden Leistung bedarf es aber auch einiger kritische Anmerkungen: Winkler spricht selbst von einem “normativen Fluchtpunkt” (S. 13) seiner Arbeit, womit das Verhältnis von westlicher Realpolitik und westlichen Normen in den Blick fällt. Ihm will er erklärtermaßen auch nachgehen. Indessen gehen die wenigen Anmerkungen dazu in der Fülle des dargestellten Stoffs nahezu unter. Hier wäre angesichts des eigenen Anspruchs vielleicht mehr Analyse und weniger Beschreibung angemessener gewesen.

So erwähnt Winkler sehr wohl, dass die USA nach 1945 immer mal wieder – 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1973 in Chile - auch an der Etablierung einer rechtsautoritären Diktatur nach dem Sturz einer demokratisch gewählten Regierung beteiligt waren. Doch näher problematisiert wird dieses Agieren nicht. Noch geringere Aufmerksamkeit findet darüber hinaus, mit Ausnahme des kurzen Hinweises auf die Gefahr einer kommunistischen Bedrohung, die Frage nach den Ursachen für ein solches Vorgehen. Daher verwundert es dann auch nicht, dass ökonomische Interessen eine allzu geringe Aufmerksamkeit für die Beschreibung und Erläuterung außenpolitischen Vorgehens finden. Erstaunlich ist darüber hinaus das nur kursorische Interesse für Nordeuropa mit den dortigen Wohlfahrtsstaaten. Hier gelang gerade der Einklang von politischer Freiheit und sozialer Sicherheit. Darin ein “Erbe des aufgeklärten Absolutismus” (S. 706) zu sehen, trifft wohl die dortige Realität nicht. Diese besondere Kritik kann und will nicht die allgemeine Wertschätzung für den Band mindern.

 


Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, München 2014 (C. H. Beck-Verlag), 1258 S., ISBN 978–3–406–66984–2, 39,95 Euro