Unter diesem Titel fand im Oktober 2023 ein Symposium in Nürnberg statt, das von Kortizes – Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs organisiert wurde. Die Vorträge, die sich alle auf die Evolution des Menschen bezogen haben, liegen jetzt in einem von Helmut Fink und Rainer Rosenzweig herausgegebenen Sammelband vor.
Das Themenspektrum, das bei der Tagung aufgefächert wurde, um den Selektionsdruck und die daraus resultierende Vielfalt des Lebens zu beleuchten, ist ebenso breit wie komplex. Entsprechend nähern sich die Autorinnen und Autoren des Bandes den unterschiedlichen Aspekten der Evolution aus ihren jeweiligen Forschungsperspektiven – und loten sie bis in die Tiefe aus.
Die Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard widmet sich der "Schönheit der Tiere". Sie beschreibt, wie im Evolutionsprozess Pigmentzellen und Farbstrukturen entstanden sind, und kommt zu dem Schluss, dass der Mensch wie kein anderes Tier über einen besonderen "Schmuckinstinkt" verfügt, um seine eigene Attraktivität künstlich zu erhöhen.

Axel Meyer greift mit seinem Aufsatz "Es gibt nur zwei Geschlechter und keine 'falschen' Körper" ein gesellschaftlich höchst umstrittenes Thema auf. Aus Sicht des Evolutionsbiologen positioniert er sich klar gegen das neue Selbstbestimmungsgesetz des Deutschen Bundestages und bezeichnet den Ansatz – gestützt auf Vergleiche aus der Tierwelt – als "nett gemeinten Unsinn". Ganz anders Kathrin Nägele, die "einen archäogenetischen Blick auf die Menschheitsgeschichte" wirft: Sie zeichnet Wanderbewegungen nach, stellt aber anhand von Grabbeigaben die klare Zuordnung von Geschlechteridentitäten in Frage.
Mit einem völlig anderen Aspekt beschäftigt sich Volker Sommer: In seinem Beitrag "Lob der Lüge" würdigt er die evolutionäre Bedeutung von Täuschung und Betrug als treibende Kräfte der menschlichen Intelligenzentwicklung. Diese Fähigkeiten sind kein rein menschliches Phänomen, sondern ein dynamischer Prozess, der sich bereits in der Tierwelt – besonders bei Primaten – nachweisen lässt, wo strategische Irreführung etwa der Nahrungsbeschaffung oder der sozialen Positionierung dient. Der Umgang mit Lüge und Täuschung löst komplexe Emotionen wie Misstrauen, Empörung oder auch Stolz aus, die nicht nur soziale Bindungen auf den Prüfstand stellen, sondern auch kognitive Fähigkeiten wie Empathie, Perspektivwechsel und strategisches Denken schärfen. Lügen, so Sommer, ist ein paradoxes Erfolgsmodell: Einerseits untergräbt es Vertrauen, andererseits zwingt es zu immer raffinierteren Mechanismen der Wahrheitsfindung und Kooperation. So wird Täuschung letztlich zum Motor und fördert damit Intelligenz, Moral und kulturellen Fortschritt.
Eine wichtige Voraussetzung für die Lüge ist die Kommunikationsfähigkeit. Die schwierige Suche nach dem Ursprung sprachlicher Fähigkeiten beleuchtet Julia Fischer, die die Lautkontrolle bei Primaten erforscht. Albert Newen und Carlos Montemayor beschäftigen sich mit der ALARM-Theorie des Bewusstseins. Wieland B. Huttner wiederum widmet sich der "Evolution des menschlichen Gehirns", während Thorsten Uthmeier zeigt, dass schon die Neandertaler in komplexe gesellschaftlich-kulturelle Prozesse eingebunden waren – fähig, Konkurrenten auszustechen und ihre Umwelt zu gestalten. Diese Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Mensch greift auch Miriam Noël Haidle auf: Anhand von Schneidewerkzeugen und dem Gebrauch von Feuer zeigt sie, wie neue Lebensräume erschlossen wurden, die einerseits Freiheit boten, andererseits aber auch neue Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten gegenüber der Umwelt schufen.
Den Blick in die Zukunft richtet schließlich Christoph Antweiler in seinem Beitrag zum Anthropozän. Er unterteilt diese Epoche in vier Abschnitte und kommt zu einer ernüchternden Schlussfolgerung: "Wir leben in einer Megakrise, die weit über den vom Menschen verursachten Klimawandel hinausgeht." Die tiefgreifenden Eingriffe in den Planeten zerstören nicht nur Ökosysteme, sondern verändern das Verhältnis von Natur und Kultur grundlegend – mit Folgen, auf die die Menschheit bislang keine adäquaten Antworten gefunden hat.
Helmut Fink und Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Naturgewalt und Geisteskraft, Kortizes, Nürnberg 2025, 204 Seiten, 19,80 Euro






