Zwischen Hamas, Hizbollah und Muslimbrüdern

Der Politische Islam

(hpd) Der Orientalist und Politologe Imad Mustafa legt mit “Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah” eine Gesamtdarstellung zum Thema mit einem Schwerpunkt auf den Entstehungshintergründen und Positionierungen vor. Einerseits liegt damit eine in Darstellung und Untersuchung beachtenswerte Analyse vor, andererseits irritiert die all zu starke Deutung des Pragmatismus als Lernprozess bei gleichzeitiger Ignoranz seiner Dimension als Machtinstrument.

Bei den Stichworten “Islamismus” und “Salafismus” kommen relativ schnell die Assoziationen “Gewalt” und “Terrorismus” auf, womit dann eine schnelle und selektive Wahrnehmung verbunden ist. Denn mit diesen Begriffen können auch politische Akteure ohne direkten Gewaltbezug erfasst werden. Ihnen gelingt mitunter die Mobilisierung breiter gesellschaftliche Akzeptanz und damit auch politischer Macht.

Der Orientalist und Politologe Imad Mustafa geht der Ideologie, Programmatik und Wirkung derartiger Akteure in seinem Buch “Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah” nach. Es will in seinen Worten “das Phänomen … in seinen ideengeschichtlichen sowie historischen Kontext einbetten, um davon ausgehend die Positionen ausgewählter islamischer Parteien und Bewegungen anhand von Texten zu vergleichen” (S. 10). Im letztgenannten Sinne dokumentiert der Autor erstmals ins Deutsche übersetzte längere Auszüge aus programmatischen Erklärungen der untersuchten Organisationen.

Cover "Der politische Islam"

Gemeint sind damit solche, “deren ideologische Basis der Islam ist, die eine Veränderung der politischen Verhältnisse im Sinne einer Islamisierung der Gesellschafts- und Herrschaftsbeziehungen anstreben und dieses Ziel nicht ausschließlich auf gewalttätige Weise verfolgen …” (S. 16). Am Beginn stehen zunächst Ausführungen zur ideen- und realgeschichtlichen Entwicklung, welche das Aufkommen des “Politischen Islam” in den Kontext der Reaktionen auf die koloniale Eroberung und das dagegen artikulierte islamische Erwachen bei Intellektuellen stellen.

Danach geht es um die Entstehungsbedingungen und das ideologische Selbstverständnis der islamischen Bewegungen und Parteien, deren Politik zwischen Staatlichkeit und Widerstandshandlungen und deren sozioökonomischen Positionen hinsichtlich der Marktwirtschaft. Untersuchungsobjekte sind dabei für Mustafa jeweils die Hizbollah im Libanon, die Hamas in Palästina, die Muslimbruder-nahe Freiheits- und Gerechtigkeitspartei in Ägypten und die salafistische Partei des Lichts ebenfalls in Ägypten.

Bilanzierend heißt es: “Das ‘islamische Erwachen’, das diese Denker verkörperten, war mitnichten eine Ablehnung der Moderne, sondern eine Ablehnung negativer Begleiterscheinungen der Moderne. Der von ihnen geführte Diskurs um Authentizität und eine islamische Identität versuchte genau diesen Widerspruch aufzulösen und den Islam an die Moderne anzupassen” Und weiter: “Wir haben deutlich gesehen, dass es heute verschiedene Spielarten des Politischen Islam gibt und es sich dabei um keine homogene Bewegung handelt. Vielmehr muss man zwischen reformerischen Bewegungen wie der FJP und den Muslimbrüdern, salafistisch-literalistischen Bewegungen wie der al-Nur-Partei und militant-dschihadistischen Gruppen wie al-Qaida unterscheiden” (S. 201). Und zur Ideologie bemerkt der Autor: Zwar nehme sie “einen prominenten Platz im Denken ein, doch gerade die … Hamas und Hizbollah, aber auch die FJP und in einem geringeren Maße die al-Nur Partei, richten ihr Handeln nach politisch-strategischen Interessen aus” (S. 202).

Mustafa hat ein informatives und kenntnisreiches Buch zum Thema vorgelegt. Differenziert arbeitet er Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der Organisationen heraus. Er macht auch auf analytisch bedeutsame Gesichtspunkte aufmerksam, wozu etwa die Bedeutung der sozialen Dienstleistungen oder der Kontext der Krisenwahrnehmungen zur Erklärung von deren Aufstieg zählen (vgl. S. 45f.).

Beachtenswert sind auch die Erörterungen zu wirtschaftspolitischen Positionen, welche den möglichen Einklang von politischem Islam und reiner Marktwirtschaft (vgl. S. 158) betonen. Angesichts des Antipluralismus und der Religionsfixierung kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden, dass die genannten Intellektuellen die Grundprinzipien der Moderne akzeptieren. Gleiches gilt gegenüber der Annahme, wonach etwa die FJP Gewaltenteilung oder Pluralismus akzeptiere (vgl. S. 141). Der gelegentlich als Beleg von Mustafa betonte Pragmatismus kann auch politisches Machtinstrument sein und muss nicht für innere Überzeugungen stehen.

 


Imad Mustafa, Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hisbollah, Wien 2013 (Promedia-Verlag), 230 S., 17,90 Euro